Kuba – Über die linienuntreue Szene, die US-Unterwanderung und die Verfehlungen polarisierender Argumentation – Teil 1+2
Die Proteste in Kuba von Anfang Juli nähren kaum noch Nachrichten im medialen Mainstream, was nicht bedeutet, dass sie keine Folgen hatten und dass die Vordergründe der Berichterstattung den historisch gewachsenen Hintergründen gerecht wurden. Dies will der nachstehende, in zwei Teilen erscheinende Beitrag in Umrissen versuchen. Von Frederico Füllgraf.
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Die Regierung Miguel Díaz-Canel reagierte prompt. Die Beschleunigung des vor zwei Jahren vereinbarten Plans für Wirtschaftsreformen, die Öffnung neuer Verhandlungsräume für die Beteiligung gesellschaftlicher Akteure und die „friedliche Anerkennung und Bewältigung abweichender Meinungen” wollen Partei und Regierung als unmittelbare Herausforderungen ernstnehmen. Zum einen rief Díaz-Canel zur weiteren Unterstützung des sozialistischen Gesellschaftssystems auf, das die Verfassung von 2019 als „unwiderruflich“ festlegt, kündigte jedoch zum anderen ein Paket wirtschaftlicher Maßnahmen an, die im Wesentlichen darauf abzielen, die Lebensmittel-Verknappung zu mildern und den Schutz für sozial gefährdete Familien auszuweiten.
Ab Montag, den 19. Juli, trat ferner eine Ausnahmeregelung mit Wirkung bis zum 31. Dezember 2021 in Kraft, womit Kubaner oder Ausländer, die nach der Insel reisen, unbegrenzt und steuerfrei Lebensmittel, Medikamente, medizinische Versorgung und Toilettenartikel in ihrem Gepäck einführen dürfen. Eine weitere der am 16. Juli gemeldeten Maßnahmen sieht vor, mehr als 200.000 Menschen zu helfen, die aus verschiedenen Gründen keinen Zugang zu Lebensmitteln haben, diesen Zugang über Lebensmittelkarten zu sichern. Die im Jahr 1962 von der Revolutions-Regierung als Verteilungshebel geschaffenen Lebensmittel- oder Rationierungskarten sicherten den Bürgern einen monatlichen Lebensmittel-Grundkorb an Reis, Zucker, Getreide, Kaffee, Öl und tierischem Eiweiß, der zwar den gesamten Nahrungsbedarf nicht deckte, zumindest aber eine Entlastung für einkommensschwache Haushalte und sozial gefährdete Gruppen darstellte. Somit werden die im Verlauf der Wirtschaftsreformen unter Präsident Rául Castro abgeschafften Rationierungskarten teilweise oder vorübergehend neu eingeführt.
Auch die Auszahlung von Gehältern in Staatsbetrieben soll flexibilisiert werden, um Effizienz und Produktivität zu steigern. Nach offiziellen Angaben sollen ebenso im Verlauf der kommenden Wochen die seit langem angekündigten gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz kleiner und mittelständischer, sowohl staatlicher wie privater Unternehmen in Kraft treten. „Die Maßnahmen sind positiv, wir sollten aber keine Wunder von ihnen erwarten, weil sie den angesammelten Bedarf nicht decken“, warnte der auch auf Regierungsseite angesehene kubanische Ökonom Omar Everleny Pérez Villanueva gegenüber der Nachrichtenagentur Inter Press Service/IPS.
Die anderen, indes heikleren Folgen der Proteste, sind genuin politischer Natur.
Selbstkritik und Dialog-Angebot: die unmittelbaren politischen Folgen der Proteste
Während der Demonstrationen vom vergangenen 11. und 12. Juli in – je nach Quelle – 19 bis 40 kubanischen Städten gingen bekanntlich Tausende, nicht nur Jugendliche, sondern erzürnte Bürger mit Forderungen nach politischen und wirtschaftlichen Veränderungen auf die Straße. Allerdings nicht hundertprozentig friedlich, wie es in der Mehrheit der westlichen Medien hieß, sondern mit Gewalt gegen Polizei und regierungstreuen Zivilisten und mit Vandalismus gegen Geschäfte und Fahrzeuge. Justiz- und Innenministerium sicherten zu, „das Gesetz mit angemessenen Verfahrensgarantien“ gegen die Festgenommenen anzuwenden, deren Zahl je nach Quelle bis um das Zehnfache variiert.
Laut CNN waren es am 13. Juli „über 100“, nach aktualisierten Angaben der spanischen Zeitung La Razón vom 20. Juli 500 Verhaftete, der aktuellste Bericht von Amnesty International vom 22. Juli nennt überhaupt keine Zahl, doch das kubanische Portal 14YMedio machte bombastische Angaben: „mehr als 5.000 Festgenommene, darunter Aktivisten und Journalisten“. Fußnote: 14YMedio leidet unter mangelnder Glaubwürdigkeit. Das Medium wird von der oppositionellen kubanischen Aktivistin, Star-Bloggerin und langjährigen Moderatorin der Deutschen Welle TV, Yoani Sánchez, und ihrem mehrfach verhafteten Ehemann Reinaldo Escobar herausgegeben.
Zu den renommierten Festgenommenen gehören unter anderen der Fotograf Anyelo Troya González und der Künstler und Führungsfigur der San-Isidro-Bewegung, Luis Manuel Otero Alcántara. Andere, wie der Dramaturg Yunior Garcia Aguilera, waren Ziel von Überwachung, Internet-Sperrung und Warnungen. 14YMedio hatte die Öffentlichkeit mit dem Manipulationsversuch schockiert, bei den Festgenommenen handele es sich um „von der Polizei Verschleppte“, also um „Verschwundene“; ein in gesamt Südamerika nach wie vor mit Schrecken besetzter Begriff, weil er an die schlimmsten, zig tausendfachen Menschenrechtsverbrechen der rechtsradikalen Militärdiktaturen erinnert und für die Beschreibung der Ereignisse in Kuba vollkommen fehl am Platz ist. In Wahrheit wurden jedoch namhafte Verhaftete mehrheitlich in das Polizeirevier Cuarta Estación und von dort in die Einheit 100 y Aldabó abgeführt.
Die Regierung Díaz-Canel hatte den Tätern die Anwendung des Gesetzes mit ordentlichen rechtlichen Verfahren zugesichert. Doch das Portal El Toque – das im Jahr 2014 als Projekt der Lateinamerika-Abteilung der ehemaligen Radio Nederland Wereldomroep gefördert wurde – meldete, dass Troya González und 10 weitere Häftlinge am 21. Juli von einem Gericht im Eilverfahren verurteilt wurden; ein Vorgang, bei dem Personen, deren Strafrahmen ein Jahr Freiheitsentzug nicht überschreitet, in weniger als 20 Tagen vor Gericht gestellt werden können. Der Fotograf wurde wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ zu einem Jahr Freiheitsentzug verurteilt, während von den übrigen elf Angeklagten angeblich nur zwei einen Anwalt bestellen durften, kommentierte El Toque.
„Die Leute fordern kurzfristig konkrete Ergebnisse. Wir müssen das Wichtigste, das (Anm. FF: Gesellschafts-) Projekt, retten und dafür müssen wir bestimmte, bestehende Vorstellungen im kubanischen Wirtschaftsmodell überwinden“, warnte noch einmal der Ökonom Omar Everleny Díaz Villanueva.
Präsident Miguel Díaz-Canel entging die Stimmung nicht. Bereits am Samstag, den 17. Juli, forderte er in einer Rede während eines regierungstreuen Aufmarsches auf Havannas Küstenpromenade Malecón eine „notwendige Selbstkritik“ und eine „tiefe Überprüfung unserer Methoden und Arbeitsstile, die mit dem Willen zum Dienst am Volk kollidieren, denn die Bürokratie, die Hindernisse und die Unsensibilität einiger richten so viel Schaden an“. Zwei Tage später, während eines Treffens mit Mitgliedern des Ministerrates und Behörden der 15 Provinzen Kubas, forderte der Staatschef und Parteivorsitzende „Räume für Debatten über die am meisten komplexen Themen“. „Unterschiedliche Teilnehmer sollen Vorschläge unterbreiten und die Möglichkeit ihrer Umsetzung bewerten.“
Kommt es in Kuba tatsächlich zum ernsthaften innenpolitischen Dialog?
Kubas prominentester Schriftsteller Leonardo Padura und Liedermacher Sílvio Rodríguez eröffnen die Debatte
Der weltweit renommierte kubanische Komponist und Sänger Sílvio Rodríguez, ein engagierter, jedoch kritischer Anhänger der Castro-Revolution, plädierte nach einem Treffen mit mehreren Angeklagten für eine Amnestie für die gewaltlosen Demonstranten. Der sich nach wie vor als Marxist bezeichnende Künstler berichtete von einem von Yunior García Aguilera angeregten Treffen, an dem auch dessen Ehefrau und die Filmproduzentin Dayana Prieto beteiligt waren, und schrieb: „Das Treffen mit Yunior und Dayana war gut, ich übertreibe nicht, wenn ich brüderlich sage, es gab Dialog, Austausch, wir hörten einander aufmerksam und respektvoll zu“. Das Schmerzlichste in diesem Gespräch sei gewesen, so der Autor mehrfacher Klassiker des kubanischen Trova-Genres, „zu hören, dass sie (García Aguilera und Begleitung) sich als Generation nicht mehr als Teil des kubanischen Prozesses, sondern als etwas anderes fühlten… Sie haben mir ihre Argumente erklärt, ihre Frustration“, beklagte Rodríguez und forderte: „Es muss mehr Brücken geben, es muss mehr Dialog geben, es muss weniger Vorurteile geben, weniger Lust auf Schläge und mehr Lust, den Berg der anhängigen wirtschaftlichen und politischen Fragen zu überwinden“.
Leonardo Padura, Kubas weltweit prominentester Romanautor der Gegenwart, mit Dutzenden von Übersetzungen, darunter mindestens 11 Werken in deutscher Sprache, veröffentlichte unmittelbar nach den Protesten einen Aufruf in spanischen und lateinamerikanischen Medien mit dem Titel „Ein Schrei“ und einen dramatischen Appell für umgehende sozialökonomische Lösungen und politischen Dialog, dessen wichtigsten Passagen zum konstruktiven Handeln auffordern. Er schrieb:
„Es scheint sehr gut möglich, dass alles, was in Kuba seit dem 11. Juli passiert ist, von einer größeren oder geringeren Anzahl von Menschen, die dem System widersprechen, ermutigt oder sogar bezahlt wurde, um das Land zu destabilisieren und Chaos und Unsicherheit zu erzeugen. Es stimmt auch, dass es später, wie es oft bei diesen Ereignissen geschieht, zu opportunistischen und bedauerlichen Vandalismusakten kam. Aber ich denke, dass keiner der Beweise dem Schrei, den wir gehört haben, auch nur ein Lütt der Vernunft entzieht. Ein Schrei, der auch das Ergebnis der Verzweiflung einer Gesellschaft ist, die nicht nur eine lange Wirtschaftskrise und eine punktuelle sanitäre Krise durchlebt, sondern auch eine Vertrauenskrise und einen Erwartungsverlust.“
„Auf diese verzweifelte Forderung sollten die kubanischen Behörden nicht mit den üblichen, jahrelang wiederholten Parolen und den Antworten reagieren, die sie hören wollen. Auch nicht mit Erklärungen, so überzeugend und notwendig sie auch sein mögen. Was auf der Tagesordnung steht, sind Lösungsangebote, die viele Bürger erwarten oder fordern, von denen einige auf der Straße demonstrieren, andere in sozialen Netzwerken ihre Meinung, Enttäuschung oder Ablehnung äußern. Viele sind es, die die wenigen und abgewerteten Pesos (Anm.FF.: kubanische Währung) zählen, die sie in ihren verarmten Taschen tragen. Viele, viele mehr sind es, die in resigniertem Schweigen stundenlang bei Sonne oder Regen, auch während der (Anm.FF: Covid-19-) Pandemie anstehen, die Schlangen auf Lebensmittel-Märkten und für den Kauf von Medikamenten vor Apotheken bilden. Schlangestehen für unser täglich‘ Brot und für alles Erdenkliche und Notwendige.“
„Jedoch, abgesehen von all dem Erwähnten, glaube ich, dass die Kubaner die Hoffnung wiedergewinnen und sich ein Bild von ihrer Zukunft machen müssen. Wenn die Hoffnung verlorengeht, geht die Bedeutung jedes humanistischen Sozialprojekts verloren. Und die Hoffnung wird nicht mit Gewalt zurückgewonnen. Sie kann nur mit jenen Lösungen und den Veränderungen und sozialen Dialogen wiedergewonnen werden, die, weil sie nicht umgesetzt wurden, neben vielen anderen verheerenden Auswirkungen den Auswanderungstrieb so vieler Kubaner verursacht und jetzt den Schrei der Verzweiflung der Menschen ausgelöst haben. Unter diesen Menschen wurden sicherlich einige gegen die Regierung angeheuert, es agierten auch opportunistische Kriminelle, doch kann ich nicht glauben, dass es in meinem Land derzeit so viele Menschen geben soll, so viele gebürtige und gebildete Kubaner unter uns, die sich (freiwillig) verkaufen oder Verbrechen begehen. Denn wenn es so wäre, würde es bedeuten, dass das bestehende Gesellschaftssystem diese Auswüchse gefördert hätte.“
Der spontane Entschluss – ohne an eine Führung gebunden zu sein, ohne Gegenleistung zu erhalten, auch nicht, um unterwegs etwas zu stehlen – mit dem auf der Straße und in den Netzwerken eine beachtliche Anzahl von Menschen demonstriert hat, sollte eine Warnung sein. Und ich denke, es ist auch ein alarmierendes Beispiel für die Entfremdung, die zwischen den führenden politischen Sphären und der Straße sichtbar wurde (und dies wurde sogar von kubanischen Führern erkannt). Und nur so erklärt sich, was geschehen ist, besonders in einem Land, in dem fast alles bekannt ist, wenn man – wie wir alle wissen – es wissen will. Um die Verzweifelten zu überzeugen und zu beruhigen, kann Gewalt und Verfinsterung nicht die Methode für Lösungen sein, wie zum Beispiel die Sperrung des Internets, die die Kommunikation vieler seit Tagen unterbrochen, dennoch die Verbindungen derer, die etwas dafür oder dagegen sagen wollen, nicht behindert hat. Viel weniger kann die gewaltsame Reaktion, insbesondere gegen gewaltfreie Menschen, als überzeugendes Argument verwendet werden. Und es ist ja bekannt, dass Gewalt nicht nur körperlich sein kann.“
Titelbild: Delpixel/shutterstock.com
Die Proteste in Kuba von Anfang Juli nähren kaum noch Nachrichten im medialen Mainstream, was nicht bedeutet, dass sie keine Folgen hatten und dass die Vordergründe der Berichterstattung den historisch gewachsenen Hintergründen gerecht wurden. Dies will der nachstehende, in zwei Teilen erscheinende Beitrag in Umrissen versuchen. Von Frederico Füllgraf.
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Die „Mafia in Florida“ und andere Szenarien
Bei der Einschätzung des neben den Ursachen zentralen Aspekts der Proteste – nämlich die bereits von Padura angesprochene Fernsteuerung – übertrieb Díaz-Canel allerdings nicht, als er behauptete, „Wir können die sogenannten Fake News demontieren, die Lügen aufschlüsseln, zeigen, wie die gesamte auf den Kopf gestellte Realität Kubas in virtuellen Räumen erfunden wurde, aber sie haben der nationalen Seele, die zu ihren heiligsten Werten gehört – dem Bürgerfrieden, dem Zusammenleben, der Solidarität und der Einheit – bereits unermesslichen Schaden zugefügt. Wir sind tatsächlich dem raffinierten Feuer eines Cyberkriegs ausgesetzt, der Cyberterrorismus und Medienterrorismus zu seinen aggressiven Instrumenten zählt.“
Untersuchungen verschiedener internationaler Fachleute für die sogenannten „sozialen Netzwerke“ dokumentieren, dass in der Tat mächtige Hebel der US-Regierung und der rechtsradikalen kubanischen Diaspora in Florida, sowie Trolls und Bots in Europa, mit einem intensiven digitalen Angriff die Proteste zu steuern versuchten; mit Worten der Regierung Díaz-Canel, ein Angriff, der darauf abzielte, „Unruhen und Instabilität im Land zu fördern“, und als „Werkzeug unkonventioneller Kriegsführung” definiert wurde.
Johana Tablada, stellvertretende Generaldirektorin im kubanischen Außenministerium, zuständig für US-Angelegenheiten, machte jüngst auf die Zusammensetzung des Kommandos dieser politischen Riege aufmerksam, die jenseits des ultra-rechten Spektrums der US-Politik und der kubanischen Exilgemeinschaft wenig bekannt ist. Soweit bisher bekannt, orchestrierten vier US-Politiker den Versuch, die Regierung in Kuba zu stürzen: aus Florida die republikanischen Senatoren Marco Rubio und Rick Scott sowie die republikanische Abgeordnete María Elvira Salazar und aus New Jersey der demokratische Senator Bob Menendez. Doch dazu sollten auch der Bürgermeister von Miami, Francis X. Suarez, und eine Reihe kubanisch-amerikanischer Geschäfts- und Fachleute, wie Emilio Braun von den Vulcan Anlagefunds und der Anwalt Marcell Felipe, gezählt werden. Nach Einschätzung Tabladas bilden diese Personen den Kern einer „Mafia“ (Tablada), die die Verschärfung der Blockade gegen Kuba fordern.
Felipe leitet die Inspire America Foundation, die Tablada als „Erbin der antikubanischen, reaktionärsten und Pro-Batista-Traditionen aus Südflorida“ bezeichnet, womit Kubas von Fidel Castro gestürzter ehemaliger Militärdiktator Fulgencio Batista gemeint ist. Diese Stiftung ist mit einer ominösen „Assembly of the Cuban Resistance“ („Versammlung des kubanischen Widerstands“) – einer Koalition antikommunistischer Gruppen, die eine US-Invasion in Kuba fordert – verzahnt. Der vereinende Geist dieser Szene ist Mauricio Claver-Carone, ein ehemaliger Geschäftsführer der „Cuba Democracy Advocates“, Trumps wichtigster Berater für Kuba und gegenwärtiger Chef der Inter-American Development Bank IDB (Interamerikanischen Entwicklungsbank) mit Sitz in Washington D.C. Claver-Carone, so Tablada, „war der führende Kopf der Destabilisierungs-Lobbyisten, die mit einer Politik des Hasses und der Aggression im US-Kongress und landesweit in den USA die anti-kubanische Agenda diktieren oder befeuern. Das Hauptziel dieser Leute“, so Tablada, „ist der Sturz der kubanischen Revolution.“ Ihr Plan bestehe anscheinend darin, „Kuba in die Zeit von Batista zurückzubomben, als US-Konzerne und Gangster auf der Insel randalierten“.
Doch nicht allein aus Washington und Florida operieren die mit Dollarmillionen finanzierten „Systemwechsler“. Auch von Mexiko aus wurde Kuba mit digitalen Destabilisierungsmanövern überzogen. Derjenige, der dies anprangerte, war Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador. In einer Pressekonferenz vom vergangenen 12. Juli warf er der US-finanzierten NGO ARTICLE 19 – Defending freedom of expression and information ausländischen Interventionismus gegen Kuba vor und verwies auf die politische Aufbereitung und Propagierung falscher Tatsachen gegen die kubanische Souveränität. „Ich stelle fest, sie intervenieren. Zum Beispiel habe ich gestern in sozialen Netzwerken die Mitteilung einer Gruppe namens Artículo19 gesehen, einer journalistischen Vereinigung, die in Mexiko von der US-Regierung, der US-Botschaft finanziert wird. Zufälligerweise hat diese Organisation, die wir bereits angeprangert haben, ein Foto geknipst und dies ist nur ein Beispiel dafür, was sie weltweit gegen diejenigen getan haben, die nicht mit der kubanischen Regierung einverstanden sind“, protestierte der Staatschef.
Eineinhalb Monate davor hatte López Obrador bereits eine andere NGO, „Mexicanos contra la Corrupción“ („Mexikaner gegen die Korruption“) und ihre US-Sponsoren angeprangert und mit einer diplomatischen Note von der US-Regierung eine Erklärung verlangt, die niemals eintraf. „Das sollte niemals gemacht werden, sie dürfen diesen Organisationen kein Geld geben, es ist eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes, und Mexiko ist ein unabhängiges, freies und souveränes Land“, protestierte der Präsident während seiner üblichen Morgenkonferenz am vergangenen 7. Mai. Bei der Bekanntgabe seiner unbeantworteten Protest-Note versicherte der Präsident, dass die Organisation seit 2018 über die US-Botschaft in Mexiko 1,8 Millionen Dollar erhalten hätte. Er stellte Verbindungen der NGO zu einer Koalition ultrakonservativer Oppositionsparteien her, die bei den Parlamentswahlen vom vergangenen 6. Juni seiner Partei die Kontrolle über das Abgeordnetenhaus entreißen wollte.
Allem Anschein nach operiert in Mexiko bereits eine Variante der in Brasilien vom US-Department of Justice ausgebildeten und überwachten „Einsatzgruppe Lavajato“ („Unternehmen Autowaschanlage“) unter Leitung des ehemaligen Richters und Jair Bolsonaros Justizministers Sérgio Moro. Das im juristischen Fachjargon mit „Lawfare“ (juristischer Krieg) bezeichnete Vorgehen Moros und der brasilianischen Staatsanwaltschaft hatte eminent politischen Charakter und zielte auf den Sturz der Präsidentin Dilma Rousseff im Jahr 2016 und mit der Verhaftung von Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva auf das Verbot seiner Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2018; eine während der Administration Donald Trump weitgehend eingestellte Agenda, jedoch von seinem Nachfolger Joe Biden erneut befeuerte Offensive.
Doch zurück zu Kuba. Der vom mexikanischen Präsidenten missbilligte ausländische Interventionismus gegen Kuba umfasst Dutzende von NGOs, digitalen Medien, AktivistInnen und „Produzenten“ in der Kultur-, insbesondere in der Musikszene. Zwei Szenarien – ein mediales und ein musikalisches – machen die tiefen, breiten und seit Jahren wirkenden politischen Werkzeuge der US-amerikanischen medialen und digitalen Destabilisierungspolitik gegenüber Kuba deutlich.
Von Radio Martí und Yoani Sánchez zu den US-finanzierten Kampfmedien
„Die Medien berieseln die sozialen Netzwerke ständig mit Informationen über Kuba. Sie werden als unabhängig oder alternativ klassifiziert. Aber es genügt, den Weg des Geldes (´follow the money´) zu gehen, der sie ermutigt und artikuliert, um zu wissen, von wem sie abhängig sind und auf welche redaktionelle Linie sie reagieren“, kommentierte Ende 2020 die regierungsnahe Plattform Razones de Cuba und erklärte, „die mit digitalen Plattformen gesteuerte Kommunikations-Strategie ist Teil des politischen Layouts der US-Regierung“.
Nach Erkenntnissen der Plattform Ecured, auch als „Wikipedia des offiziellen Kuba“ bekannt, „geht der Plan einer Neo-Konterrevolution in Kuba auf die frühen 2000er Jahre zurück, genauer gesagt auf den 14. Mai 2004“. An diesem Tag soll ein Treffen von CIA-Beamten in der Residenz eines der Beamten der damaligen diplomatischen Interessenvertretung der USA in Havanna stattgefunden haben, bei dem die Idee entwickelt wurde, anstatt der traditionellen Konterrevolution mit Invasions- und Aufstandsversuchen „eine Konterrevolution mit neuem Gesicht und Diskurs zu schaffen“. So seien Dutzende von digitalen Medien und Netzwerke wie CiberCuba, ADN Cuba, Cubans por el Mundo, Cubita Now, Cubanet, Periodismo de Barrio, El Toque, El Estornudo und YucaByte entstanden, zunächst jedoch vom Ausland, vor allem aus den USA betrieben. Dieses Szenario geht aus einem Bericht der sogenannten „Kommission zur Unterstützung eines freien Kuba” vom Juni 2004 hervor, die damals bereits die namhaftesten Kampfmedien, einschließlich der Förderung von Presseprojekten, gegen die Insel auflistete.
Diesem Anfangsstadium folgte in der Nach-George-W.-Bush-Ära allerdings der Auftakt der Blogger-Szene innerhalb Kubas, deren baldige „Stars” die Philologin Yoani Sánchez und Ehemann Reinaldo Escobar verkörperten. Allerdings wieder in enger Absprache mit der diplomatischen Interessenvertretung der USA in Havanna, wie zwei durchgesickerte vertrauliche Kabelberichte aus den Jahren 2007 und 2009 dokumentierten. „Ich wäre sehr verärgert, wenn die zahlreichen Gespräche, die ich mit Yoani Sánchez geführt habe, veröffentlicht würden. Sie könnte die Folgen ein Leben lang bezahlen“, schrieb Michael Parmly, der damalige US-Gesandte in Havanna, der sich regelmäßig mit Yoani Sánchez in seiner persönlichen diplomatischen Residenz traf, in seinen Gesprächsnotizen.
Nachdem sie 2002 in die Schweiz ausgewandert war, kehrte Sánchez zwei Jahre später nach Kuba zurück und schloss sich 2007 mit ihrem Blog Generación Y der DissidentInnen-Szene mit harscher Kritik an der Regierung an. „Kein Dissident in Kuba – vielleicht auf der ganzen Welt – erlangt in so kurzer Zeit derart viele internationale Auszeichnungen wie Sánchez, jedoch mit einer besonderen Eigenschaft: Sie haben Yoani Sánchez genug Geld zur Verfügung gestellt, um für den Rest ihres Lebens unbesorgt in Kuba zu leben. Unter den Auszeichnungen gewann sie 2008 den Deutsche-Welle-Award für das beste Blog. In Zahlen ausgedrückt entsprachen die erhaltenen 250.000 Euro um das Jahr 2010 mehr als 20 Jahre Mindestlohn in einem Land wie Frankreich.
Im Jahr 2009 schlug ein Interview von Sánchez mit US-Präsident Barack Obama Wogen der Anbetung in der westlichen Presse. Die von Wikileaks angezapften Berichte des US-Gesandten in Havanna erzählen jedoch eine andere, die tatsächliche Version der aufsehenerregenden Geschichte. Nämlich, dass nicht etwa Obama, sondern ein Beamter in Havanna (etwa Parmly?) die Antworten an Sánchez verfasste. Noch peinlicher war die Enthüllung, dass entgegen Sánchez‘ Behauptungen niemals ein Fragebogen an Präsident Raúl Castro geschickt wurde.
Sánchez nahm es mit nachweisbaren Fakten und der Wahrheit niemals genau. Die Erkenntnis erhärtete sich 2012 mit einer Untersuchung ihres Twitter-Profils, die nahelegte, dass die Bloggerin zu den „Pionieren“ des Roboter-Einsatzes und der Fake News zur Potenzierung ihrer Publizität gehörte. Die Website Followerwonk analysierte Sánchez‘ angebliche Twitter-Anhängerschaft mit einer Fallstudie und stieß auf eine beeindruckende Aktivität ihres Profils im Jahr 2010. So hatte sich Sánchez bis Juni 2010 täglich für mehr als 200 verschiedene Twitter-Konten angemeldet, wobei Spitzenwerte von 700 Konten in 24 Stunden erreicht wurden. Da es nach wie vor schier unmöglich erscheint, in so kurzer Zeit so viele Konten zu abonnieren, es sei denn, man verbringt Tag und Nacht ganze Stunden damit, schlussfolgerte Followerwonk, dass sie von einem Computer-Roboter erzeugt wurden.
Sánchez‘ krumme Digital-Umtriebe, nebst ungenauen und fragwürdigen Angaben über Kuba, hinderten die Deutsche Welle jedoch nicht daran, die Kubanerin ab 2013 unter Vertrag zu nehmen und ihr die Moderation eines Programms mit dem Titel „Die Suche nach der Wahrheit“ zu übertragen. Von dem in den 1980er Jahren von der US-Regierung als „Kampfsender“ in Florida gegründeten Radio Martí abgesehen, gab es zum ersten Mal eine Stimme der kubanischen Dissidenz
Parallel dazu bauten das US-amerikanische State Department, die Internationale Entwicklungsbehörde USAID und die mit dem CIA vernetzte National Endowment for Democracy (Nationale Stiftung für Demokratie/NED) eine Medienmaschinerie in den USA und innerhalb Kubas auf – jedoch auch mit der Registrierung von NGOs in Drittländern wie Mexiko oder Spanien – die in den vergangenen 20 Jahren mindestens 500 Millionen Dollar für die politische Destabilisierung in Kuba verschlungen hat.
Razones de Cuba schlussfolgerte aus der Beobachtung der US-Schachzüge, die neue Konterrevolution versuchte ihre menschlichen Ressourcen hauptsächlich unter jungen Leuten zu finden, die einen wichtigen sozialen Einfluss als Ideologie-Erzeuger ausübten, zum Beispiel Journalisten, Akademiker und Künstler. Mit diesem Kalkül seien verschiedene Blogger rekrutiert, trainiert und eingesetzt worden, die in Kuba mit einer „Landkarte der kubanischen Blogosphäre“ identifiziert wurden. Darauf setzte offenbar auch Jahre später US-Präsident Barack Obama: Der harte und aggressive Kurs gegen Kuba war gescheitert und machte es notwendig, die Erreichung der Ziele auf andere Weise, nämlich mit subversiver „soft power“, zu suchen.
Die Neuorientierung diente auch der Stiftung Open Society des Milliardärs George Soros als Anlass, mit dem Angebot von Gruppenprojekten gegen Kuba einzusteigen. Mit Erfahrungen in osteuropäischen Ländern wie Serbien, Georgien, Ukraine und Weißrussland, aber auch im sogenannten „Arabischen Frühling“, installierte Open Society 2014 das sogenannte Cuba Posible „Laboratory of Ideas“, eine Webseite, die unter dem Deckmantel der Debatte und der Ausübung von öffentlicher Kritik sich der Ausarbeitung und Umsetzung von Leitlinien und der Aktualisierung des kubanischen Wirtschaftsmodells widmete.
Mit der medialen Offensive verglichen, rangiert allerdings die US-Intervention in der kubanischen Musikszene als filmreifes Meisterstück der Konspiration.
“Patria y Vida” oder wie die USA die Musikszene Kubas unterwanderten
Die Proteste vom 11. und 12. Juli in Kuba standen unter einem klaren Motto: “Patria y Vida” („Heimat und Leben“). So lautet der Titel eines Rap-Liedes, Patria y Vida, das vor einigen Monaten Kubas Regierung verärgerte und bei den Demonstrationen vom 11. und 12. Juli erneut zu hören und als Motto auf vielerlei Plakaten zu lesen war. „Mein Volk bittet um Freiheit, keine Doktrinen mehr// Lasst uns nicht mehr Heimat oder Tod schreien// sondern Heimat und Leben“, heißt es in einem Vers des Songs, der für viele innerhalb und außerhalb Kubas zur Hymne geworden ist. „Heimat und Leben“ spielt auf das von Fidel Castro in den 1960er Jahren geprägte historische Motto der kubanischen Revolution „Heimat oder Tod, wir werden siegen!“ an. Der Song stellt die Legitimität der Regierung infrage und prangert die sozialpolitische und wirtschaftliche Lage der Insel an.
Autoren und Interpreten des Hits sind Künstler auf Kuba wie die Rapper Maykel Osorbo und El Funky, doch vor allem aus der kubanischen Diaspora in Florida wie Descemer Bueno, Yotuel Romero und die Band Gente de Zona, die das Lied in Arbeitsteilung zwischen Miami und Havanna produzierten. Nach seiner Veröffentlichung übertraf der Song in weniger als 72 Stunden eine Million Aufrufe, zählt derzeit fast sechs Millionen Aufrufe auf YouTube und ging viral in verschiedenen sozialen Netzwerken in Kuba. Die Verbreitung des AgitProp-Raps löste Irritationen in der kubanischen Regierung aus, die das Werk als „feige“ und seine Autoren als „Ratten“ und „Söldner“ bezeichneten. „Patria y Vida“ ist der vorläufige Höhepunkt einer mehr als zehnjährigen musikpolitischen US-Offensive in Kuba.
Mit dem Artikel „Kuba – Der eklatante Versuch der USA, soziale Proteste mit digital gesteuertem Regime-Change-Manöver umzufunktionieren“ riefen die NachDenkSeiten am 16. Juli die Enthüllungen von Associated Press (AP) in Erinnerung, mit denen der Nachrichtendienst im April 2014 dokumentierte, dass USAID die Einrichtung des geheimen „kubanischen Twitter“/ZunZuneo-Programms finanziert hatte, um politische Meinungsverschiedenheiten auf der Insel zu schüren und den staatlichen „Würgegriff“ im Internet zu umgehen. Das war jedoch nur ein Teil einer größeren Operation. Eine zweite AP-Untersuchung vom August 2014 ergab, dass die Agentur junge Lateinamerikaner rekrutierte, um mit getarnten Gesundheits- und Wohlfahrtsprogrammen einen radikalen politischen Wandel in Kuba zu provozieren.
Im Dezember 2014 gelang AP eine weitere Enttarnung, nämlich dass USAID heimlich Kubas Underground-Hip-Hop-Szene förderte und unwissende Rapper rekrutierte, um eine Jugendbewegung gegen die Regierung aus der Taufe zu heben. Das USAID-Geheimunternehmen griff auf Erfahrungen aus Serbien zurück, wo im Jahr 2000 studentische Protestkonzerte mit dem Ziel angezettelt worden waren, den damaligen Präsidenten Slobodan Milosevic zu stürzen. Folgerichtig spannte die US-Agentur eine Gruppe von Serben um den „Produzenten“ Rajko Bozic für die Leitung des geheimen kubanischen Hip-Hop-Programms ein.
USAID gab die Losung „Rap is war“ („Rap ist Krieg“) aus und die Serben rekrutierten zunächst die Rapper-Band Los Aldeanos, deren kritische bis aufrührerische Texte die Regierung zur Einschränkung ihrer Auftritte provoziert hatten. Los Aldeanos half dennoch bei der Produktion eines USAID-Underground-TV-Projekts zur „Jugendkultur“ und erhielt während seiner Auftritte in Serbien eine politische Ausbildung. Doch die Rolle der US-Regierung als geheimer Auftraggeber im Hintergrund soll der Band angeblich niemals verraten worden sein.
Die jungen kubanischen Musiker gingen ein hohes Risiko ein. Mindestens sechs Mal wurden USAID-Beauftragte oder mit ihnen zusammenarbeitende Kubaner von der Regierung Kubas festgenommen oder verhört. Wiederholt beschlagnahmten die Behörden auch Computer-Ausrüstungen und Unterlagen, die das Projekt mit USAID in Verbindung brachten. Doch die USAID-Agenten nahmen darauf keine Rücksicht und setzten die unwissenden Künstler, allen voran Aldeanos-Frontmann Aldo Rodriguez, immer wieder neuen Risiken aus.
Ziel des hartnäckigen Kurses war der Aufbau des „sozialen Netzwerks“ Talentocubano, das zwar auf YouTube seit Jahren eingeschläfert zu sein scheint, doch nach wie vor als „walking dead“ seine Werbung auf Facebook weiterbetreibt. Ein Kubaner, der für die Auftragnehmer arbeitete, machte um das Jahr 2010 etwa 200 „sozialbewusste Jugendliche“ aus und vernetzte sie mit der Website, von der die Manager hofften, sie könnten Auslöser einer „sozialen Bewegung“ sein.
Das serbische Team, das von Creative Associates International – demselben Washingtoner Konzern, der im Auftrag von USAID auch das geheime ZunZuneo-Projekt leitete – angeheuert wurde, nutzte eine panamaische Scheinfirma und eine Bank in Liechtenstein, um die Geldspuren vor den kubanischen Behörden zu verbergen. Das Strippenziehen von USAID war derart verdeckt, dass selbst das US-Finanzministerium eine der USAID-Transaktionen unter dem Verdacht einfror, dass sie gegen das US-Embargo verstoße.
Bozics Ziel war es, den Druck der Regierung auf Los Aldeanos zu verstärken und die Feindseligkeit gegenüber der Regierungs-Zensur zu schüren. Obwohl die kubanische Regierung der Gruppe einen öffentlichen Auftritt in Havanna untersagt hatte, veranstalteten Los Aldeanos am 5. Juni 2009 ein Konzert für 150 Fans in Candelaria. Bozic und seine Crew filmten die Show und hielten die Kameras am Laufen, als die Polizei danach auftauchte, um Rodriguez zu verhaften, doch die Crew duckte sich weg.
Kurz nach Rodriguez‘ Verhaftung versuchte der serbische Agent Bozic den kolumbianischen Rockstar Juanes zu rekrutieren, um das Projekt aufrechtzuerhalten. Juanes lehnte es jedoch ab, die Bühne mit der dissidenten Hip-Hop-Gruppe zu teilen. Woraufhin Creative Associates damit begann, kubanische Hip-Hop-Künstler für Workshops zum „Führungstraining“ nach Madrid und Amsterdam zu rekrutieren. Ziel war ihre Indoktrinierung für die Agenten-Tätigkeit „des sozialen Wandels“. Neben anderen Aufgaben lernten die Gruppen in Workshops, wie „Guerilla-Marketing“ und Graffiti-Kampagnen genutzt werden können, um ihre Musik und politische Botschaft zu verbreiten.
Doch trotz des leichten Geldes und der Bemühungen der US-Regierung erwies sich das Hip-Hop-Programm als erfolglos. „USAID hat den Kongress nie darüber informiert und hätte nie mit so etwas Inkompetentem und Rücksichtslosem in Verbindung gebracht werden dürfen“, erklärte Vermonts Senator Patrick Leahy gegenüber AP. Fest steht, die Creative-Associates-Kampagne im Auftrag von USAID stützte sich auf naive Jugendliche aus Kuba und Lateinamerika. Die Einwanderer kamen als Helfer verkleidet auf die Insel, waren aber eigentlich da, um der kubanischen Jugend durch die Hip-Hop-Szene subversive Ideen vorzustellen. Im Jahr 2011 enttarnte die kubanische Regierung schließlich das geheime Projekt und ging gegen Creative Associates und seine Tochtergesellschaften vor.
Der nicht gerade glückliche politische Umgang des Staates mit der Kultur-, insbesondere mit der Medien- und Musikszene – zumal mit der Ermutigung zur massenhaften Verbreitung des Internets und dem damit verbundenen, unvermeidlichen Zugang zu den Werten des neoliberalen westlichen Wirtschaftssystems und seiner Konsumgesellschaft – unterstreicht die Aktualität der Warnung Leonardo Paduras vor der keimenden Entfremdung zwischen Staatsführung und Straße. Noch ist in Kuba Zeit zum Umdenken.
Titelbild: Delpixel/shutterstock.com