Schlag für Kirchner
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Argentinien: Linke Vizepräsidentin in Korruptionsprozess verurteilt. Sie kritisiert »Justizmafia« und »Parallelstaat«
Von Florencia Beloso, Buenos Aires
Argentiniens Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner ist am Dienstag (Ortszeit) in einem Korruptionsprozess zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Zudem sperrten die Richter Kirchner lebenslang für die Ausübung öffentlicher Ämter. Die Justiz hat sie des Verwaltungsbetrugs für schuldig befunden. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass eine Person in diesem Amt von einem Gericht verurteilt wurde.
Untersucht wurde in dem Fall die Vergabe öffentlicher Aufträge im Zeitraum 2003 bis 2015. Dabei geht es um die Amtszeit als Staatschef ihres mittlerweile verstorbenen Ehemanns Néstor Kirchner und um zwei weitere Amtszeiten Kirchners als Präsidentin. Den Ermittlungen zufolge wurden die Aufträge dem patagonischen Geschäftsmann und Freund Kirchners, Lázaro Báez, zugespielt. Der Anklagepunkt der Bildung einer unerlaubten Vereinigung wurde fallengelassen.
Kirchner wies die Vorwürfe im Anschluss in sozialen Netzwerken als politisch motiviert zurück. »Das ist ein paralleler Staatsapparat und eine Justizmafia«, sagte sie nach der Urteilsverkündung. Die eigentliche Strafe sei, dass sie nun keine Ämter mehr ausüben dürfe. Sie würde bestraft, weil sie immer durch Wählerstimmen in ihre Ämter gekommen sei. Mit dem Urteil hätten ihre Gegner nun ihr Ziel erreicht, sie zu ächten und aus dem politischen Spiel auszuschließen.
Der argentinische Präsident Alberto Fernández stellte sich hinter Kirchner: »Heute wurde in Argentinien eine unschuldige Person verurteilt. Jemand, den die echten Machthaber über die Medien stigmatisieren und durch selbstgefällige Richter verfolgen wollen, die sich an Wochenenden in Privatflugzeugen und Luxusvillen vergnügen«, schrieb der Staatschef auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Fernández spielte hier auf einen kürzlich bekanntgewordenen Skandal hin. Richter, Staatsanwälte und führende Persönlichkeiten der rechten Oppositionspartei Juntos por el Cambio (JxC) des früheren Staatschefs Mauricio Macri hatten sich mit Vertreten des Medienkonzerns Clarín im Süden des Landes am Lago Escondido getroffen. Sie wohnten dabei in der Villa des britischen Tycoons Joe Lewis. Nach dem Bekanntwerden des Treffens wurden Chats der Protagonisten öffentlich, in denen sie ihre Antworten auf mögliche journalistische Anfragen zu der Reise koordinierten.
Nicht nur der Staatschef, auch Kirchner selbst führte diesen Fall als einen Beweis für den »Parallelstaat« an. Dabei betonte sie insbesondere die Rolle des Vorstandsvorsitzenden des Medienunternehmens Clarín. Sie wolle sich aber dem Urteil beugen und demgemäß 2023 nicht mehr kandidieren. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass sie im Dezember nächsten Jahres, wenn ihr Mandat ausläuft, ins Gefängnis kommen könnte, da sie dann keine Immunität mehr genießen werde – es sei denn, sie werde zuvor erschossen.
Damit verwies sie auf den Stand der Ermittlungen bezüglich des Attentates auf sie. Fortschritte gibt es dabei keine. Das heißt im Klartext, dass die Hoffnung auf Aufklärung über die möglichen Drahtzieher schwindet. Am 1. September hatte ein Faschist versucht, Kirchner vor ihrem Haus zu erschießen, allerdings löste sich kein Schuss aus der Pistole. Die Vizepräsidentin vermutet die Hintermänner der Tat im »Parallelstaat«.
Die Ankündigung Kirchners, nicht zu kandidieren, verschiebt die politischen Kräfteverhältnisse im Land beträchtlich. Die Begründung des nun vom Gericht gefällten Urteils soll im März 2023 vorliegen.