Eine neue Ära
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Solidarisch und effizient: Lateinamerika setzt verstärkt auf gutes Verhältnis zu China
Von Volker Hermsdorf
Auf CELAC-Gipfeltreffen führen üblicherweise Vertreter der lateinamerikanischen und karibischen Staaten das Wort. Die Videoansprache des chinesischen Präsidenten Xi Jinping war also ungewöhnlich, für die Teilnehmer jedoch keine Überraschung. Der gastgebende mexikanische Staatschef Andrés Manuel López Obrador hatte in mehreren Beiträgen erklärt, dass die Region »ihre Stagnation und Rückständigkeit in den Bereichen Produktion, Technologie und Wissenschaft« überwinden müsse, in denen sich China auszeichne.
Auch Xi habe in seiner Botschaft keinen Zweifel daran gelassen, dass sein Land die Präsenz auf dem wichtigen lateinamerikanischen Markt über alle anderen Interessen stellt, berichtete der kubanische Prensa Latina-Journalist Luis Arce Isaac. Nach Gründung des CELAC-China-Forums im Jahr 2014 hätten sich die Beziehungen positiv entwickelt und das Staatenbündnis sei zu einer wichtigen Plattform geworden, um Wirtschaftsakteure zusammenzubringen, hatte Xi erklärt.
Die Länder Lateinamerikas und der Karibik, deren Wirtschaft allein im vergangenen Jahr um 7,4 Prozent schrumpfte, hoffen, mit chinesischer Hilfe ein Ausbluten der Region abwenden zu können. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karbibik (CEPAL) meldete seit Beginn der Pandemie drei Millionen Unternehmenskonkurse, mindestens 50 Millionen Menschen verloren ihre Arbeit. »Lateinamerika ist der rückständigste Kontinent der Welt. Unsere mehr als 600 Millionen Einwohner machen acht Prozent der Weltbevölkerung aus, aber wir haben dreißig Prozent der Covid-19-Toten. 200 Millionen Menschen sind arm, und ein Drittel der Lateinamerikaner hat kein eigenes Bett«, zitierte das russische Nachrichtenportal Sputnik den chilenischen Politiker Marco Enríquez-Ominami, der für die linke Puebla-Gruppe am CELAC-Gipfel teilnahm. »Europa und die USA haben sich bei der Wahl ihrer strategischen Partner in Lateinamerika geirrt. Für Emmanuel Macron war Macri der Ansprechpartner, Angela Merkel setzt auf Duque und für Donald Trump war Bolsonaro der beste Verbündete«. Doch alle seien gescheitert, erklärte Enríquez-Ominami.
Während die Europäer im globalen Kampf gegen die Pandemie Washingtons egoistischer »America First«-Politik folgen, verhält sich China aus Sicht vieler Lateinamerikaner solidarischer und ist zudem effizient. Nicht nur für Mittelamerika und den Süden, sondern auch für den Norden des Kontinents sei die Kooperation mit Beijing überlebenswichtig, ist López Obrador überzeugt. »Dazu ist es jedoch erforderlich, alte Strukturen zu überwinden, die nach wie vor ein rückwärtsgewandtes Denken prägen, wie die Politik der Feindseligkeiten und Blockaden, die Ära der Unterwerfung und der Kanonenboote, des Lakaientums und die aggressiven, nutzlosen Mechanismen der OAS«, erläuterte der Journalist Arce Isaac die Zielsetzung des mexikanischen Präsidenten.
»Anzustreben wäre, dass China nicht diskriminiert oder isoliert wird, sondern zur Teilnahme eingeladen. Das ist nur sehr schwer machbar, weil die derzeitige US-Regierung von Joseph Biden sich ebenso obstruktiv verhält wie die von Donald Trump«, schrieb Prensa Latina. Xi habe das Interesse seines Landes an einer »neuen Ära« in den Beziehungen, »die von Gleichheit, gegenseitigem Nutzen, Innovation, Offenheit und Wohlergehen für die Menschen geprägt ist«, deutlich gemacht und dabei auf dem CELAC-Gipfel den Einfluss der Volksrepublik in Lateinamerika weiter verstärkt.