Langsame Erholung
Vor der Wahl im Oktober 2020 in Bolivien litt das Land unter mindestens drei Krisen: Politisch war das Putschistenregime weder legitimiert noch gab es demokratische Rechte im Land, das Gesundheitssystem lag am Boden, mit der Wirtschaft ging es bergab. Der eindeutige Sieg des Präsidentschaftskandidaten der Bewegung zum Sozialismus (MAS), Luis Arce, mit rund 55 Prozent der Stimmen bedeutete eine Zäsur für das Land. Gleichzeitig zeigte er wirkungsvoll, dass es beim Wahlsieg von Evo Morales 2019 keinen Wahlbetrug gegeben hatte.
Der von Arce verfolgte Kurs ermöglichte laut Zahlen des bolivianischen Wirtschaftsministeriums allein im ersten Quartal 2021 ein Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent. Jedoch forderte die Coronapandemie auch während der ersten Monate seiner Regierung viele Todesopfer. Ein erheblicher Anteil der bolivianischen Bevölkerung ist ohne geregeltes Einkommen im informellen Sektor tätig, weshalb Ausgangssperren, wie sie unter der Putschregierung durchgesetzt worden waren, für die neue MAS-Regierung keine Option darstellten. Zu sehr sind die zu einem großen Teil jungen Menschen auf ihren Broterwerb im öffentlichen Raum angewiesen, ein staatlicher finanzieller Spielraum für kurzfristige Maßnahmen wie beispielsweise Kurzarbeitergeld besteht nicht.
Dem versucht die MAS-Regierung durch ihre Impfkampagne gegen das Coronavirus entgegenzusteuern. Dank geschickter Verhandlungen hat Bolivien im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern eine relativ hohe Impfquote. Laut dem bolivianischen Gesundheitsministerium haben mittlerweile fast drei Millionen der etwa zwölf Millionen Bolivianerinnen und Bolivianer eine erste Dosis erhalten, rund 1,9 Millionen sind inzwischen komplett immunisiert.
Auch die juristische Aufarbeitung des Putsches vom November 2019 geht voran – auch dank nicht nachlassender Forderungen sozialer Bewegungen nach Gerechtigkeit für die Opfer der Repressionsorgane. Am 12. März wurde Jeanine Áñez, die sich nach dem Staatsstreich selbst zur »Übergangspräsidentin« ausgerufen hatte, wegen »Aufwiegelung, Terrorismus und Verschwörung« festgenommen. Ein weiterer Drahtzieher des Putsches, der Ultrarechte Luis Fernando Camacho, konnte bei den Regionalwahlen im März dieses Jahres das Gourverneursamt im Departamento Santa Cruz für sich gewinnen. Das bedeutet allerdings nicht, dass er nicht für die Finanzierung und Durchführung des Staatsstreichs zur Rechenschaft gezogen werden könnte. In Bolivien haben politische Amtsträger keine Immunität. So gibt es durchaus Fälle, bei denen gewählte Bürgermeister und Gouverneure wegen Korruption zu Gefängnisstrafen oder Hausarrest verurteilt worden waren.
Carlos Mesa, der bei der Präsidentenwahl 2019 gegen den damaligen MAS-Amtsinhaber Evo Morales unterlegen war und daraufhin zur »Rebellion« aufgerufen hatte, wurde am 17. Juni als Zeuge von der Staatsanwaltschaft zur Aufarbeitung des Putsches zwangsgeladen. Dabei machte er von seinem Schweigerecht Gebrauch, mutmaßlich, um sich selbst nicht zu belasten. Erst am Donnerstag (Ortszeit) kündigte der Vorsitzende der Menschenrechtskommission im Senat, der MAS-Abgeordnete Juan José Jáuregui, eine Anzeige gegen Mesa an, da dieser den von ihm behaupteten »monumentalen« Wahlbetrug von 2019 nicht bewiesen habe. Durch die Falschbehauptung habe er bewusst Gewalt und Chaos im Land provoziert.