Hoffnung für Brasilien
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Lula könnte gegen Bolsonaro antreten
Von Frederic Schnatterer
Auch wenn die Anwälte des brasilianischen Expräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva nach der Entscheidung des Obersten Gerichts am Donnerstag (Ortszeit) erklärten, sie stelle »die Rechtssicherheit und Glaubwürdigkeit des Justizsystems unseres Landes wieder her« – ganz so einfach ist es nicht. Zwar bestätigten acht der insgesamt elf Richter in der Hauptstadt Brasília die Aufhebung der Skandalurteile gegen Lula. Allerdings nur aus formalen Gründen. Freigesprochen wurde Lula nicht.
Dabei wäre es längst an der Zeit für einen vollumfänglichen Freispruch. Die Verurteilungen von Lula wegen angeblicher Korruptionsvergehen sowie Geldwäsche waren nicht weniger als ein Justizputsch gegen einen extrem beliebten Politiker, der den Mächtigen ein Dorn im Auge ist. Dass keine Beweise vorgelegt werden konnten, interessierte die Richter der Klassenjustiz nicht: Der Gewerkschafter aus der Arbeiterpartei (PT) wurde wenige Monate vor der Präsidentenwahl 2018 zu zwölf Jahren und einem Monat Haft verurteilt. Durch das Urteil wurde der Favorit aus dem Rennen um die Präsidentschaft geworfen. Lulas Ausschaltung verhinderte seine zweite Amtszeit.
Die Folgen sind bekannt: Statt dessen wurde mit Jair Bolsonaro ein Ultrarechter Chef des größten südamerikanischen Staates. Die Bilanz nach drei Jahren Bolsonaro ist verheerend: Sozialkahlschlag und Privatisierungen haben die Ärmsten noch ärmer gemacht, Nichtweiße und sexuelle Minderheiten werden – angespornt durch Regierungsmitglieder – von Faschisten bedroht, die Militärdiktatur offen verherrlicht. Hinzu kommt seit mehr als einem Jahr die Coronapandemie, bei deren Bekämpfung Bolsonaro beispiellos versagt: Die Zahl der Neuinfektionen steigt täglich, Medikamente und Sauerstoff zur Behandlung von Covid-19-Patienten werden knapp, die Impfkampagne läuft bestenfalls schleppend an – auch weil Bolsonaro antikommunistische Ressentiments gegen China über den Schutz der Bevölkerung stellt.
Kein Wunder, dass Umfragen Lula für die Präsidentenwahl im kommenden Jahr beste Chancen auf einen Sieg gegen Bolsonaro vorhersagen. Die Aufhebung der Urteile gegen den Linkspolitiker würde eine Kandidatur Lulas möglich machen. Zuletzt am Donnerstag erklärte der Gewerkschafter in seiner sympathisch-bescheidenen Art, bereitzustehen, falls er gebraucht werde. Und das wird er, eine weitere Amtszeit Bolsonaros wäre für große Teile der Bevölkerung nicht zu verkraften. Lula ist derzeit der einzige, dem zuzutrauen ist, den Ultrarechten an den Urnen zu schlagen. Denn trotz der Hetzkampagnen und der 580 Tage währenden Einkerkerung ist Lula bei den »kleinen Leuten« in Brasilien weiterhin extrem beliebt. Denn: Er ist nicht nur ein Politiker, sondern längst auch ein Symbol für den Kampf um Gerechtigkeit – sowohl für sich selbst als auch für die überwiegende Mehrheit der Brasilianerinnen und Brasilianer.