Folterlager weiter in Betrieb
Fionnuala Ní Aoláin, Sonderberichterstatterin der UNO für den Schutz von Menschenrechten bei Terrorismusbekämpfung, hat am selben Tag in New York einen Bericht zur humanitären Lage im Gefangenenlager von Guantanamo vorgelegt. Auch wenn sie »bedeutende Verbesserungen« konzediert, hält sie die Behandlung der verbliebenen Gefangenen für »grausam, unmenschlich, herabwürdigend« und fordert die Schließung des Lagers.
Dass die USA besser darin sind, Menschenrechte bei anderen einzufordern als sie selbst einzuhalten, mag als bekannt gelten. Weniger bekannt scheint, wie weit die sogenannten Anführer der freien Welt hinter der geschichtlichen Norm zurückliegen. Das Folterverbot ist ein Element moderner Staatlichkeit. Neben dem Rechtsgrundsatz »in dubio pro reo«, der 1804 im Code civil festgeschriebenen Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, einer entwickelten Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Trennung von Staat und Kirche oder der freien Berufswahl. Das erste Land der Erde, das die Folter abschaffte, war Preußen, dessen König Friedrich II. am 3. Juni 1740 eine entsprechende Order erließ. Als globale Norm wurde die Abschaffung 1948 von der UNO postuliert, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Am 10. Dezember 1984 machten die Vereinten Nationen die Forderung verbindlich, mit der Konvention gegen Folter. Seither sind dem Übereinkommen 170 Staaten beigetreten.
Dass Macht nicht aus Recht folgt, sondern gerade umgekehrt, trübt den Glanz der edlen UN-Beschlüsse beträchtlich ein. Im Dezember 2014 verzeichnete Amnesty International für den Zeitraum 2009 bis 2014 Folter und Misshandlungen in 141 Ländern der Erde. Bei manchen von ihnen handelte es sich um Einzelfälle, in vielen kam Folter routinemäßig zur Anwendung. Das Gefangenenlager, das die USA in Guantanamo betreiben, erhält in diesem Zusammenhang aufschlussreiche Bedeutung.
Als Militärmacht mit zahllosen Stützpunkten außerhalb der Landesgrenzen haben die USA besondere Möglichkeiten, rechtsfreie Räume zu nutzen. Handlungen von US-Bürgern können dort zwar ebenfalls verfolgt werden, die Möglichkeiten der Diskretion werden allerdings größer. 780 Menschen aus 50 Ländern waren seit Januar 2002 in Guantanamo inhaftiert. Wie viele von ihnen genau und nach welchen Methoden gefoltert wurden, bleibt aufgrund der Geheimhaltung Washingtons nicht ermittelbar. Die dokumentierten Praktiken sind hinlänglich eindrucksvoll, sie sind sowohl vordergründig physischer Natur (Waterboarding, Schlafentzug, Schläge auf Geschlechtsteile) als auch seelischer (Verletzung religiöser Gefühle, sexuelle Demütigung, Drohungen, die Familien in Mitleidenschaft zu ziehen).
Der seit 2004 durch mehrere Urteile des Supreme Courts schleppend vollzogene Abbau der Praktiken ist dem jüngsten UN-Bericht zufolge nun nie vollendet worden. Nach wie vor sind in Guantanamo 30 Häftlinge stationiert. Ní Aoláin sprach am Montag von fast ständiger Überwachung, Isolationshaft mit dem Ziel der Zermürbung und stark eingeschränktem Kontakt zu Familienangehörigen. Das komme »einer Verletzung der Grund- und Freiheitsrechte von Gefangenen gleich«. Und zumindest die Isolationshaft, muss hier ergänzt werden, ist eine klassische Methode der Folter.
Washington hat übrigens umgehend auf den UN-Report reagiert. In einem Antwortschreiben an den Menschenrechtsrat heißt es, die Erkenntnisse der Sonderermittlerin dokumentieren »allein deren eigene« Sichtweise.