Treten wir miteinander in Dialog?
http://de.granma.cu/cuba/2021-08-17/treten-wir-miteinander-in-dialog
Unter den gegenwärtigen Bedingungen der kapitalistischen Herrschaft bedeutet die Teilnahme an einem Dialog oder die Forderung nach einem solchen, dass die konkrete Agenda, der Lebenslauf der Gesprächspartner und alle Ungleichheiten, die die Initiative umgeben, deutlich gemacht werden
Autor: Fernando Buen Abad |
Der Dialog ist eine soziale Tatsache, die für viele ein Zeichen für „höfliche Umgangsform“ ist. Der Dialog hat eine „gute Presse“ und ist in der Regel die beste Strategie, um (gute oder schlechte) Vereinbarungen oder Meinungsverschiedenheiten beizulegen. Und ein echter Dialog verzichtet nur selten auf die Chancengleichheit und vor allem auf die Gleichheit der Bedingungen.
Wir wissen, dass die Hauptvoraussetzung für die Entwicklung eines Dialogs in seiner ganzen semantischen und praktischen Ausdehnung in der offenen, überprüfbaren und proaktiven Bereitschaft liegt, zuzuhören, was der Gesprächspartner denkt und tut, ob es uns gefällt oder nicht. Eine solche Bereitschaft zum Zuhören erfordert in ihrer Proaktivität auch die Bereitschaft, relevante, konkrete und gemeinsame Vereinbarungen zu treffen, die zu einer Änderung der Einstellungen führen. Der nächste Schritt eines guten Dialogs wäre eine harmonische Koexistenz. Dies setzt jedoch die Gleichheit (und nicht die Einheitlichkeit) der objektiven und subjektiven Positionen voraus. Ist dies in klassengeteilten Gesellschaften möglich? Nur brüderliche Völker führen einen ehrlichen Dialog.
Auch unter ungleichen Bedingungen ist ein gewisses Maß an Dialog möglich, aber es wird immer ein Dialog sein, der von Asymmetrien bestimmt wird, und es ist von größter methodischer Bedeutung zu beobachten, wie und in welchem Maße solche Asymmetrien die Merkmale des Dialogs und seine kurz-, mittel- und langfristigen Folgen beeinflussen. Das wäre alles perfekt, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass in der Regel Hinterhalte aufgedeckt werden, die erkennen lassen, dass der zivilisierten Wille zur Beilegung von Streitigkeiten nur ein scheinbarer ist. Wir haben gesehen, wie Dialoge mit Lächeln und vielversprechenden Reden aufgehübscht wurden, um dann sofort mit tausend und einer schmutzigen Masche verraten zu werden, wie die Friedensdialoge für Kolumbien verraten wurden, wie die Dialog-Farcen der San Isidro (Putsch)-Bewegung in Kuba. Und Tausende anderer Beispiele.
Die Geschichte der Dialoge ist von den unterschiedlichsten Erfahrungen geprägt, die von der Geburt des Wissens (in der Maieutik des Sokrates) bis hin zu den Fälschungen in der Verwendung des manipulierten Dialogs als ideologischer Hinterhalt reichen, um dem, was unerkennbar, unannehmbar und unmoralisch ist, trickreich den gleichen Rang einzuräumen. Wie die Dialoge, die das Imperium einberuft, oder die Dialoge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die Dialoge, die im Fernsehen als Beispiele für die bürgerliche Demokratie im Showbusiness verwendet werden, oder die Dialoge, die der Jugend vorgeschlagen werden, um sie glauben zu machen, dass im Kapitalismus „wir alle gleich sind“. Und viele fallen naiv darauf herein.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen der kapitalistischen Herrschaft bedeutet die Teilnahme an einem Dialog oder die Forderung nach einem solchen, dass die konkrete Agenda, die Lebensläufe der Gesprächspartner und alle Ungleichheiten, die die Initiative umgeben, deutlich gemacht werden. Wir können nicht über die Armut in der Welt sprechen, wenn einer der Gesprächspartner hungrig ist. Ein Dialog kann nicht stattfinden, ohne dass Zwang, Drohungen oder Einschränkungen, die vor oder während des Dialogs auferlegt werden, angeprangert werden. Es kann keinen Dialog über Frieden mit den Herren über die Kriegsindustrie des Planeten geben; es kann keinen Dialog über Kultur mit denen geben, die über die ideologische Kriegsmaschinerie herrschen, die sie als „Medien“ tarnen. Es kann keinen Dialog über Demokratie geben, wenn sie unsere Länder blockiert halten. Das hat nichts mit Dialog oder Zivilisation zu tun. Wir können zwar zu ihren Tischen gehen, aber wir werden niemals naiv dorthingehen.
Man ist nicht stur, wenn man menschenwürdige Bedingungen fordert. Inakzeptabel ist es, in eine Falle zu tappen, die sie uns schon tausendmal gestellt haben, indem sie ihre autoritäre und und ihre Macht als Klasse missbrauchten. Es ist nicht arrogant, Chancengleichheit und gleiche Bedingungen zu fordern. Es ist keine Petitesse, den Inhalt der Tagesordnungen einer gründlichen Prüfung zu unterziehen und vor allem unser Recht geltend zu machen, in die Tagesordnungen die Themen aufzunehmen, die für uns von Bedeutung sind und uns schon immer beunruhigen.
Müssen wir mit jedem einen Dialog führen? Nur wenn sie die Völker respektieren, wenn sie das Vertrauen der Kämpfenden verdienen. Wir brauchen wissenschaftliche Instrumente und theoretisch-methodische Hilfen, um ausreichend informiert an einen Dialogtisch zu kommen, um ausreichend gewarnt zu sein vor möglichen bürgerlichen Tricksereien, um genährt zu werden von der Erfahrung des Kampfes an der Basis. Wir müssen um jeden Preis vermeiden, dass eine nicht abgesprochene Agenda befolgt wird, auch wenn sie als kollektiv getarnt ist. Es muss sichergestellt sein, dass wir eine gemeinsame Sprache sprechen werden, ohne „technischen“ Jargon, ohne semantische Verwicklungen, die wir nicht verstehen oder zu denen wir nicht konsultiert wurden. Wir müssen mit der moralischen Kraft unserer Kampfgeschichte und unserer großen revolutionären Siege auftreten, aber niemals naiv. „Wir sind öfter durch Täuschung als durch Gewalt besiegt worden“, sagte der große Simón Bolívar, der viel vom Dialog verstand.