«Schweiz lässt Souveränität in vorauseilendem Gehorsam fallen»
Urs P. Gasche / Ein ehemaliger Staatsanwalt des Bundes verlangt eine öffentliche Debatte über das Einknicken gegenüber «imperialem Akt der USA»
Beim Rahmenabkommen mit der EU habe in der Schweiz eine grosse Debatte über allfällige Souveränitätseinbussen stattgefunden. Zu keiner Debatte, sondern zu einem «stillen Souveränitätsverzicht» hingegen sei es gekommen, als Grossbanken und Postfinance sich «in vorauseilendem Gehorsam amerikanischem Recht unterworfen haben». Das kritisiert Lienhard Ochsner, der von 2003 bis 2017 als ein Staatsanwalt des Bundes amtete. In einem Gastbeitrag in der NZZ vom 30. Juni erinnert Ochsner an die Weigerung von Grossbanken, von Kantonalbanken und von der Postfinance, Beträge ihrer Kunden auf Konten humanitärer Organisationen zu übertragen, die bei den gleichen Schweizer Banken ebenfalls über Konten verfügen. Der Grund: Diese humanitären Organisationen unterstützen zivile Aktivitäten auf Kuba. Doch die USA hätten Geldüberweisungen nach Kuba verboten. Laut Schweizer Banken sei das Risiko zu gross, von fremden US-Richtern belangt zu werden.
Doch den US-Wirtschaftssanktionen gegen Kuba haben sich weder die Schweiz noch die EU angeschlossen. Trotzdem beanspruchen die USA für sich, dass ihre Gesetze auch exterritorial, also weit über ihre Grenzen hinaus gelten würden. Konkret: Auch US-Firmen mit Sitz in der Schweiz oder in der EU – und ebenfalls alle Manager und Verwaltungsräte mit einem US-Pass in Schweizer oder EU-Unternehmen – werden von der US-Justiz belangt, wenn sie die Boykott-Massnahmen der USA nicht einhalten.
Die EU setzte im Jahr 1996 wenigstens eine Verordnung in Kraft, welche Betroffene von «imperialen Souveränitätsansprüchen» (so Ochsner) schützen soll.
Der ehemalige Staatsanwalt des Bundes stellt die rhetorische Frage: «Was tut die Schweiz? Belässt sie es beim stillen Souveränitätsverzicht? … Oder wäre es nicht ein Akt souveränen Staatshandelns, die Bürger und Bürgerinnen sowie Unternehmen vor dem Zugriff und dem Urteil fremder Richter zu schützen?»
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