Der stille Souveränitätsverzicht: wie sich Schweizer Banken fremdem Recht beugen
Souverän ist, wer sein unilateral erlassenes Recht weltweit durchsetzen kann. In der Schweiz wird zwar viel über Souveränität diskutiert, allzu oft aber schauen wir bei Souveränitätseinbussen weg.
In den vergangenen Monaten hatte die Souveränitätsdebatte in der Schweiz Hochkonjunktur. Anlass dafür waren die Verhandlungen zum Rahmenabkommen, es ging um die Frage: Wer schützt die Schweizer Bürgerinnen und Bürger vor der Anwendung von ausländischem Recht? Welche Souveränitätseinbussen wir andernorts hinnehmen, wurde dabei nicht diskutiert. Ein Beispiel: Privatpersonen in der Schweiz wollten von ihren Konten bei Schweizer Banken Gelder an humanitäre Organisationen mit Konten in der Schweiz bei ebenfalls schweizerischen Bankinstituten überweisen. Die Antwort der Banken: Die Transaktionen würden nicht ausgeführt, da diese einen Bezug zu Kuba hätten und Kuba von den USA mit Wirtschaftssanktionen belegt sei, dazu gehörten auch Geldüberweisungen.
Vorauseilender Gehorsam
Es ging hier also zunächst nur um Transaktionen von Bank zu Bank in der Schweiz. Bereits solche inländischen Geldüberweisungen auszuführen, war mithin für die Banken ein zu grosses Risiko, allenfalls von fremden Richtern belangt zu werden. In vorauseilendem Gehorsam haben sich Schweizer Banken amerikanischem Recht unterworfen, das in der Schweiz grundsätzlich keine Anwendung findet. Zum Kreis der involvierten Bankinstitute gehören solche von Kantonen, die Postfinance und Grossbanken.
Die USA haben Sanktionen gegenüber Kuba erlassen, die auch Transaktionen nach Kuba betreffen. Ihnen hat sich die Schweiz und haben sich u. a. auch die Staaten der EU nicht angeschlossen, beziehungsweise sie haben sie nicht übernommen. Trotzdem haben sie extraterritoriale Auswirkungen, zumal Rechtssubjekte, d. h. Personen und Unternehmen auch ohne Wohnsitz bzw. Sitz in den USA, grundsätzlich bei Verstössen mit Sanktionen belegt werden können. Die USA haben also die Anwendbarkeit der Sanktionen weit über die eigenen Grenzen hinaus ausgedehnt, völkerrechtlich ein zweifelhafter Vorgang – sozusagen ein Akt imperialer Souveränität.
Explizit ausgenommen von Sanktionen sind eigentlich Transaktionen für humanitäre Projekte, dies auch für Rechtssubjekte in den USA. Die in der Schweiz involvierten Banken tun also sogar mehr, als amerikanische Rechtssubjekte tun müssen. Dieser überschiessende Gehorsam wird seitens der Banken mit angeblichen Rechtsrisiken in den USA begründet, zu deren Beurteilung sie bankenrechtlich verpflichtet seien.
Der Finanzmarktaufsicht (Finma) obliegt u. a. der Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte. Dazu gehört auch die Sicherstellung eines reibungslosen Zahlungsverkehrs. Zum Prüfungsprogramm der Finma gehört zudem die Einschätzung, ob von den Banken eine korrekte Risikobeurteilung vorgenommen wird. Die Finma kommt allerdings im vorliegenden Kontext zu dem Schluss, dass es ihr bei einer Einschränkung des Dienstleistungsangebots seitens der Banken als Folge der bankinternen Risikobeurteilung nicht möglich sei, aufsichtsrechtlich zu intervenieren.
Was tut die Schweiz?
Bereits 1996 hat die EU eine Verordnung zum Schutz vor Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte in Kraft gesetzt – ein Akt situationsadäquater Souveränität der EU im Interesse der Mitgliedsländer und zum Schutz von deren Bürgern und Unternehmen. In die Schranken gewiesen wird damit ein imperialer Souveränitätsanspruch. Geschützt werden die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen von Personen und Unternehmen, die von unilateral erlassenen Massnahmen eines Drittstaates beeinträchtigt beziehungsweise geschädigt werden, namentlich indem sie für allfällige durch die Anwendung des extraterritorialen Rechts entstandene Kosten entschädigt werden.
Die Frage steht im Raum: Was tut die Schweiz? Belässt sie es beim stillen Souveränitätsverzicht – still deshalb, weil dazu im Unterschied zum Rahmenabkommen keine öffentliche Debatte stattgefunden hat –, oder wäre es nicht ein Akt souveränen Staatshandelns, die Bürger und Bürgerinnen sowie Unternehmen vor dem Zugriff und dem Urteil fremder Richter zu schützen?
Lienhard Ochsner ist Rechtsanwalt, ehemaliger bernischer Untersuchungsrichter und Gerichtspräsident und war von 2003 bis 2017 Staatsanwalt des Bundes.