Die kulturelle Saat der Revolution ist vielleicht ihre schönste und bedeutungsvollste Bilanz (1.Teil)
Gespräch mit dem Dichter und Minister für Kultur Alpidio Alonso
Autor: Pedro de la Hoz |
Dieses Gespräch mit dem Minister für Kultur und dem Dichter Alpidio Alonso wurde Tage vor dem Gedenken des 60. Jahrestags der „Worte an die Intellektuellen“ vereinbart. Wir befragten in zur Aktualität jener grundlegenden Ansprache und der Art und Weise, in der ihre Konzepte in der heutigen Schaffung, Förderung und Rezeption der künstlerischen und literarischen Produktion verkörpert sind.
–Wie gestaltet sich der Dialog zwischen der politischen sowie der künstlerischen und literarischen Avantgarde im aktuellen Kontext?
–Dieser von Fidel begründete Dialog ist ein Schlüsselement gewesen. Ohne dieses Klima des Vertrauens und der Rückkoppelung, das ganz zu Anfang etabliert wurde, wäre es nicht möglich gewesen, die Ergebnisse zu erreichen, die die kubanische Kultur heute auszeichnet. Die Fruchtbarkeit dieses Dialogs ist für alle in einem außerordentlichen Werk sichtbar, das man nicht verleugnen kann, im Ausmaß der Verbreitung von Einrichtungen zur Entwicklung und Förderung der Kultur und in der Beteiligung unserer Schriftsteller und Künstler am großen Kulturprogramm der Revolution. Wie könnte man dies anders erklären, wenn nicht durch die Priorität, die die Kultur erhalten hat, nicht nur durch die Kraft und den Anstoß der Kunst und der Kultur Kubas sondern auch durch das, was die Revolution war und immer noch in Bezug auf Emanzipation, soziale Gerechtigkeit und Lebensqualität des Volkes ist?
„Die Besten der kubanischen Intellektualität begrüßten die siegreiche Revolution und machten sie sich eigen. In ihrer Kulturpolitik fanden unsere Schriftsteller und Künstler Antwort auf Wünsche, die zu Zeiten der Republik immer wieder übergangen wurden. Die Revolution hat ihre Arbeit nicht nur gewürdigt und dafür die günstigen Bedingungen geschaffen. Sie hat viel mehr, sehr viel mehr als das getan: Durch eine wahrhaftige Demokratisierung des Zugangs zur Kultur öffnete sie die Türen zum Lernen und Weiterbilden und formte ein gewaltiges Publikum, das in der Lage war, das künstlerische Werk in all seiner Fülle zu genießen.
Die Auswirkungen dieser Politik bei der Entwicklung von Bildung und Kultur ist unbestritten. Die Kultur nimmt im kubanischen sozialistischen Projekt eine zentrale Stelle ein. Kultur und Revolution sind für uns untrennbar miteinander verbunden. So hat es Fidel von Anfang an gesehen und so ist es geblieben. Die kulturelle Saat der Revolution ist vielleicht ihre schönste und bedeutungsvollste Bilanz.
Wenn wir davon sprechen, muss man unweigerlich an Fidel denken, an die besondere und herzliche Beziehung, die er mit der Kultur und den Intellektuellen aufbaute. Wo sonst in der Welt ist so etwas geschehen? Fidel war nicht nur der Führer der Revolution, sondern der Erste ihrer Intellektuellen und der Hauptverteidiger und – förderer der Kultur. Immer mit Gedanken beim Volk, dem wichtigsten Ziel überhaupt. Trotz Schwierigkeiten, Stolperstellen und einigen bedauerlichen Fehlern, die wir nicht verschweigen wollen und die längst korrigiert sind, stand in all diesen Jahren die kulturelle Agenda im Mittelpunkt der nationalen Agenda.
Diese Priorität blieb mit Raúl unverändert, in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen im Land, als, besonders nach den Parteitagen und ausgehend von der neuen Verfassung, die entscheidende Rolle der Kultur beim Aufbau der Gesellschaft, die wir anstreben, neu definiert und bekräftigt wurde.
Diese Berufung zur Kultur und zum Dialog hat einen natürlichen Weg in der Sensibilität und der Arbeit des Präsidenten Díaz-Canel an der Spitze des Staates und der Regierung und jetzt auch der Partei gefunden. Seine Art, die Prozesse der Leitung und Regierungsführung mit dem Wissen, der Innovation und der Wissenschaft zu verbinden, spricht deutlich dafür, dass es auch hier einen Willen zu Kontinuität gibt.
Seit dem letzten Kongress der UNEAC, der mit seiner Rede abschloss, die in brillanter Weise die Worte Fidels an die Intellektuellen in die Gegenwart holte und die das Plenum wegen ihres Mutes, ihrer Ehrlichkeit und Schärfe erschütterte, hat der Präsident die Einhaltung der dort getroffenen Beschlüsse systematisch weiter verfolgt und verschiedene Räume für die Reflexion zusammen mit der Avantgarde geschaffen, um die Probleme des kulturellen Lebens und die Leistungen der Einrichtungen zu bewerten.
In seinen Redebeiträgen hat er deutlich gemacht, was die Kultur für die Nation darstellt, er war Hauptkritiker der bürokratischen Hindernisse und Verzerrungen, die die Arbeit der Kulturschaffenden behindern und er hat die Kultur und die Künstler vor den Angriffen der Söldner und jener verteidigt, die das, was wir erreicht haben, zu spalten und zu zerstören versuchen.
– Als damals Fidel am 30. Juni 1961 zu den Intellektuellen sprach, sagte er, dass „ die Revolution die Freiheit verteidigt (…), dass die Revolution aus ihrem Wesen heraus nicht die Feindin der Freiheit sein könne. Ist dies ein Prinzip unserer Kulturpolitik gewesen?
–Die Gültigkeit dieses Prinzips liegt in der Originalität, der Komplexität und der Diversität der Kunst und der Literatur begründet, die in Kuba in diesen Jahren produziert wurde. Dies zu erreichen wäre in einem Klima der Intoleranz, der Unterdrückung das, wie uns jeden Tag die Pamphlete der Söldner und die feindliche Presse erzählen in unserem Land herrschen würde, nicht möglich gewesen.
Vielleicht, weil es alltäglich ist, weil es bei uns selbstverständlich geworden ist, sprechen wir so wenig darüber: Wenn es ein Land gibt, das stolz auf die von ihm geförderte Kunst sein kann, dann ist es Kuba. Trotz des Belagerungszustands unter dem wir gezwungen sind zu arbeiten, haben unsere Einrichtungen Raum gegeben und die verschiedensten Tendenzen und Stile des Schaffens unterstützt, ohne die üblichen merkantilistischen Bedingungen, die in anderen Umfeldern so häufig sind. Über die Preise, die hier verliehen werden, die Bücher und Zeitschriften, die veröffentlicht werden, die CDs, die aufgenommen werden, die Filme, die gedreht werden, die Ausstellungen, die eröffnet werden, die Theaterstücke, die aufgeführt werden, darüber entscheiden die Künstler über eine verantwortliche und transparente Beziehung zu den Institutionen. Keine unserer Institutionen trifft wichtige kulturpolitische Entscheidungen, ohne die Kriterien der dafür spezialisierten Kollektive, die sich meist aus Kunstschaffenden zusammensetzen. Gleichzeitig unterziehen die UNEAC und die AHS die Arbeit unserer Institutionen einer permanenten Überprüfung. Ich rechtfertige nicht die Willkür, die mehr als einmal unter uns vorgekommen ist, und die wir um jeden Preis vermeiden müssen, aber wir können auch nicht die verlogene und perverse Matrix derjenigen akzeptieren, die Kuba als ein Paradies der Zensur darstellen.
Die Rigorosität und die Verantwortung, mit der wir vorgehen, wird in dem Mainstream-Medien kaum erwähnt. Die Wahrheit wird systematisch von den käuflichen Medien ausgeblendet, die nach dem kleinsten Vorfall, der überall passieren kann, jagen, um dann daraus eine Nachricht zu machen.
In den Antipoden dessen, was wir verteidigen, spricht die Presse gemäß den Interessen, die sie vertritt, natürlich nicht von der verheerenden kulturellen Krise, die der Kapitalismus durchlebt, wo alles auf die Kategorie der Ware reduziert wurde und wo daher die allgegenwärtigen Kriterien der Rentabilität das letzte Wort haben. Dort werden die Spielregeln, einschließlich der ethischen Grenzen, vom Großkapital festgelegt. Das ist nicht unser Weg gewesen und er wird es auch niemals sein. Die Kriterien der Freiheit, die wir verfechten, beruhen auf ethischen Voraussetzungen, die dort schon lange hinweggefegt wurden. Daher halten wir die Rolle der Institution, ihre Verantwortlichkeit für das, was dem Volk angeboten wird, für so wichtig. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir so streng und kritisch mit dem umgehen müssen, was wir tun.
Diejenigen, die heute im Namen einer angeblich schöpferischen Freiheit die Rolle der Instutionen leugnen oder sie minimieren wollen, reproduzieren die gleichen neoliberalen Voraussetzungen und Ansätze, die vorsehen, die Rolle des Staates so weit wie möglich zu reduzieren, um dem Markt Raum zu geben, der angeblich alles auf wundersame Weise lösen wird.
Ich frage mich, welchen Platz die Tausenden von Studenten in unseren Kunstschulen, deren einzige Voraussetzung für den Eintritt in diese Schulen ein Abschluss und Talent ist, in diesem Modell finden würden? Oder einer der Hunderten von jungen Dichtern in unserem Land, mit fünf, zehn oder mehr veröffentlichten Büchern bei seriösen Verlagen, die sich nicht wegen des Umfangs beschwert haben und es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Werke zu verbreiten und zu promoten? Die kontrastreiche Realität zwischen der Unterstützung, die Künstler hier während der Pandemie erhalten haben und derjenigen, die an anderen Orten, auch in unendlich reicheren Ländern, ihrem Schicksal überlassen wurden, sollte ausreichen, um zu beurteilen, auf welcher Seite das wahre Engagement für die Kunst und die Arbeit der Künstler in der heutigen Welt zu finden ist.
Wir glauben nicht an die Möglichkeit einer aseptischen, sterilen Kunst , die nicht in den Widersprüchen der Realität und des Menschen verwurzelt ist. Denjenigen, die es wissen wollen, ist sehr wohl klar, dass es keine selbstgefällige, frivole Kunst ist, die wir fördern. Um dies zu untermauern, gibt es die Werke all der großen Künstler und Schriftsteller, die im Laufe der jahre in Kuba gearbeitet haben, ohne dass sie Konzessionen machen mussten.