Aggression mit Tradition
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Inflation und Wechselkursmanipulation als Waffe gegen linke Regierungen in Lateinamerika
Von Volker Hermsdorf
Seit dem Putsch gegen Salvador Allende wird die Inflation in Lateinamerika als politische Waffe eingesetzt. Allende hatte nach Amtsantritt im November 1970 in Chile die Löhne und Gehälter erhöht und einen Preisstopp verordnet. Weil immer mehr Güter aus den Geschäften verschwanden, schossen die Preise in die Höhe. Wechselkursmanipulationen durch transnationale Konzerne trieben die Inflation auf 100 Prozent. Die Devisenreserven des Landes schmolzen von knapp 380 auf 25 Millionen US-Dollar zusammen. Bei einem offiziellen Kurs von 46 Escudo wurde ein Dollar auf dem Schwarzmarkt für 400 Escudo gehandelt. Obwohl die Inflation vor allem Arme traf, schlugen Reiche in Villenvierteln auf leere Töpfe und riefen zum Sturz Allendes auf. Es war Teil der Vorbereitungen für den von der CIA inszenierten Putsch am 11. September 1973.
Auch in Nicaragua wurden Inflation und Wechselkursmanipulationen zur Waffe gegen die 1979 erfolgte sandinistische Revolution. Als weder Sanktionen noch der Contra-Krieg zum Sturz der Sandinisten führten, intensivierte Washington den Wirtschaftskrieg. Während ein US-Dollar Anfang 1987 noch 3.000 Córdoba kostete, wurde der Schwarzmarktkurs bis Ende des Jahres auf 30.000 Córdoba getrieben. Die Inflation lag bei 1.000 Prozent, Lebensmittel wurden knapp und Preise stiegen. Am 25. Februar 1990 siegte das bis dahin chancenlose rechte Wahlbündnis UNO der Zeitungsverlegerin Violeta Chamorro, die angekündigt hatte, Washington habe ihr das Ende der US-Sanktionen zugesagt.
Argentinien ist bereits mehrfach zum Spielball des Finanzkapitals geworden. Ende 2014, als die Inflationsrate des Landes zu den höchsten der Welt gehörte, führte Wirtschafts- und Finanzminister Axel Kicillof die Entwicklung auf »Währungsspekulationen der Finanzmärkte und Preistreiberei durch Konzerne« zurück. 2015 trat daraufhin der US-freundliche rechtskonservative Unternehmer Mauricio Macri die Nachfolge der linksliberalen Präsidentin Cristina Fernández an. Nach der 2019 erfolgten Wahl des Peronisten Alberto Fernández treibt das Land auf die nächste Pleite zu. Die Inflation stieg Ende 2021 auf über 50 Prozent, der US-Dollar wird auf dem Schwarzmarkt zum Doppelten des offiziellen Peso-Preises verkauft.
Der Wirtschaftskrieg gegen Venezuela wird nach Ansicht der Wissenschaftlerin Pasqualina Curcio an drei Flanken geführt. Dazu gehörten US-Sanktionen, Verknappung und Preistreiberei von Grundbedarfsgütern und Anheizen der Inflation durch Manipulation des Wechselkurses. Letzteres erfolge durch Portale wie Dólar Today, die auf Servern in Miami gehostet werden. Nachdem derartige Webseiten ab 2013 größeren Einfluss gewonnen hatten, hatte sich der Wechselkurs in Venezuela 2014 auf das 1.410fache erhöht, beobachtete der spanische Ökonom Alfredo Serrano. Im Mai 2018 klagte Generalstaatsanwalt Tarek William Saab den Betreiber des Portals »Dólar Pro«, Carlos Eduardo Marrón, an, »Finanzterrorismus zu betreiben und Kursspekulationen zu fördern, um die venezolanische Währung zu zerstören«.