Geteiltes Gedenken
An diesem Montag jährt sich der mit CIA-Hilfe organisierte Militärputsch gegen die Regierung der Volkseinheit (spanisch: Unidad Popular) von Salvador Allende in Chile zum 50. Mal. Zur zentralen Gedenkveranstaltung für die Opfer des Staatsstreichs vom 11. September 1973 und der darauffolgenden faschistischen Diktatur hat Chiles Präsident Gabriel Boric an diesem Tag amtierende und ehemalige Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika und Europa in den Präsidentenpalast »La Moneda« geladen. Der Sozialdemokrat bittet Gäste und Landsleute um ein Bekenntnis zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten. Doch Teile der chilenischen Rechten verweigern sich der Erklärung.
Fünf Tage vor der Gedenkfeier war es Boric gelungen, die noch lebenden ehemaligen Präsidenten Eduardo Frei Ruiz-Tagle, Ricardo Lagos, Michelle Bachelet und Sebastián Piñera dazu zu bringen, das Dokument »Für die Demokratie, heute und immer« zu unterzeichnen. »Wir wollen uns über unsere Differenzen hinweg gemeinsam für die Wahrung und Verteidigung der Demokratie einsetzen«, heißt es in einer dazu veröffentlichen Mitteilung. Obwohl die Minimalerklärung weder eine Verurteilung des Putsches noch Hinweise auf die Rolle der USA enthält, sorgte Piñeras Unterschrift in seiner Partei Chile Vamos, die eine eigene Erklärung ankündigte, für Unmut. Die Abgeordnete Camila Flores von der rechten Partei Renovación Nacional warf Piñera sogar vor, er ignoriere, »dass die große Mehrheit der Chilenen« den Putsch feiere. Unter dem Vorsitz des bekennenden Pinochet-Bewunderers José Antonio Kast dominiert Chiles Rechte ein Gremium, das einen Alternativentwurf zu der während der Diktatur verabschiedeten Verfassung erarbeiten soll.
Damit müsse man an diesem Jahrestag tragischerweise feststellen, dass den Pinochet-Anhängern »wieder einmal ein Schlag gegen das Volk gelungen ist«, schrieb die spanische Journalistin Carmen Parejo Rendón in einem Beitrag für RT. Das sei nichts Neues. »Nach dem Ende der Diktatur gab es keine wesentlichen Veränderungen (…). Eine Reihe von Regierungen unterschiedlicher politischer Couleur hat die unter Augusto Pinochet geschaffenen Grundlagen beibehalten«, so die Autorin. Auch die Regierung von Boric lasse keine Abkehr von dem vor 50 Jahren durchgesetzten neoliberalen Modell erkennen. Bei der chilenischen Linken handele es sich um »eine entkoffeinierte bürgerliche und verängstigte Linke, die die Basisforderungen des sozialen Aufbruchs nicht kennt oder verstehen will«, kritisiert Parejo.
Obwohl auch die vorgelegte Erklärung für Demokratie und Menschenrechte nichts an den Problemen des Landes ändern werde, sei sie »zumindest eine Willensbekundung, die Dinge anders machen zu wollen«, bewertete María Luisa Sepúlveda dagegen gegenüber der Zeitung La Tercera den Ansatz von Boric. Sie war Vizepräsidentin einer nach dem Bischof Sergio Valech benannten Kommission zur Untersuchung von Verfolgung und Folter während der Diktatur. Doch auch sie sei »enttäuscht« darüber, »wie wir den 50. Jahrestag des Putsches erreicht haben«. Sie hätte sich gewünscht, »dass wir 50 Jahre später ein friedlicheres Land haben, das diese Zeit besser aufgearbeitet hat«, fügte sie hinzu. »Die Opfer und ihre Familien haben ein Recht darauf, dass diese Gesellschaft begreift, dass das, was ihnen widerfahren ist, morgen auch anderen widerfahren kann. Solange wir nicht verstehen, dass Straffreiheit keine gute Praxis ist, werden wir nicht vorankommen«, kritisierte Sepúlveda die schleppende Verfolgung von Tätern, Anstiftern und Unterstützern der Diktatur.
Abhilfe soll nun ein »Nationaler Plan für die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit« bringen, den Boric und Justizminister Luis Cordero in der vergangenen Woche ankündigten. Das Verfahren sieht zunächst vor, alle Vermissten zu erfassen. Man gehe davon aus, dass sich daraus auch Hinweise auf Täter und Umstände von Verbrechen ergeben, hieß es. 50 Jahre nach dem Putsch sei dieses Vorhaben immerhin ein kleiner »Schritt nach vorn«, so die kommunistischen Abgeordneten Carmen Hertz und Lorena Pizarro.