Wende zur Hoffnung
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Von Volker Hermsdorf Strahlende Siegerin: Die Morena-Kandidatin Delfina Gómez Álvarez am Sonntag in Toluca (4.6.2023) Der Sieg von Mexikos Regierungspartei Morena im größten Bundesstaat des Landes hat eine Bedeutung, die weit über die Region hinausreicht. Delfina Gómez Álvarez wird als Gouverneurin nicht nur die erste Frau an der Spitze des als »Edomex« bezeichneten Estado de México sein, sondern hat es auch geschafft, die dortige 100jährige Vorherrschaft der rechtssozialdemokratischen Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) zu brechen. Zwar konnte die PRI den Gouverneursposten bei der ebenfalls am Sonntag erfolgten Wahl in dem an der Grenze zu Texas gelegenen kleinen Bundesstaat Coahuila verteidigen, doch ist die neoliberale Partei, die einst die Hegemonie in Mexiko innehatte, nach Einschätzung der Wirtschaftszeitung El Financiero dabei, von der politischen Landkarte zu verschwinden.Das Ergebnis vom Sonntag gilt als richtungsweisend für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. Mit knapp 12,7 Millionen Wahlberechtigten stellt México circa 13 Prozent der geschätzten 97 Millionen Wähler. Sollte die 2011 von Präsident Andrés Manuel López Obrador gegründete linkssozialdemokratische Partei Morena sich durchsetzen, dürfte eines der einflussreichsten Länder der Region weiter maßgeblich zur Integration der lateinamerikanischen Staaten beitragen. Die Chancen dafür stehen gut.
Edomex und Coahuila waren bislang die einzigen Bundesstaaten, in denen die PRI seit ihrer Gründung im Jahr 1929 ununterbrochen regierte. Künftig kann Morena die Kontrolle über den knapp 17 Millionen Einwohner starken Bundesstaat México und damit zugleich über den größten öffentlichen Haushalt übernehmen. Als zweitgrößte Wirtschaftsregion des Landes ist Edomex ein wichtiges Produktions- und Industriezentrum. Der Erfolg von Delfina Gómez fiel zwar mit einem Vorsprung von nur acht Punkten (statt der in Umfragen prognostizierten zehn bis 19) geringer aus als erwartet, bedeutender ist jedoch, dass Morena nun in 23 der 32 Bundesstaaten regiert.
Die Wahlsiegerin feierte das Ergebnis am Sonntag abend (Ortszeit) auf der Plaza de los Mártires in Toluca, der Hauptstadt des Estado de México, als »Wendepunkt der Hoffnung« für das Land. In ihrer ersten Rede nach der Wahl kündigte Gómez an, ihr Gehalt als Gouverneurin sowie auch die Gehälter hochrangiger Beamter zu kürzen und mehr Mittel für Menschen mit Behinderungen, Ältere, Lehrkräfte auf dem Land und werdende Mütter sowie für die Verbesserung der öffentlichen Straßen bereitzustellen. Ihr Ausruf »Der Wandel beginnt heute« bezog sich zwar zunächst auf den Machtwechsel im Bundesstaat, wirkte aber auch wie ein Beitrag zum Auftakt der Kampagne für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. In deren Vorfeld hat sich die Partei von Präsident Andrés Manuel López Obrador, die 2021 bei Zwischenwahlen ihre Zweidrittelmehrheit im Kongress verloren hatte, offenbar wieder konsolidiert.
Die von López Obrador eingeleiteten Maßnahmen zur Rückgewinnung der Kontrolle über die Stromversorgung und Ressourcen wie Erdöl und Lithium haben damit gute Aussichten, nach 2024 fortgesetzt zu werden. Seit seinem Amtsantritt 2018 hatte der Morena-Chef damit begonnen, die Deregulierung des Energiesektors durch die US-freundlichen Regierungen der vergangenen Jahrzehnte zurückzunehmen. Erst Anfang des Jahres erklärte er die Lithiumvorkommen per Dekret zum nationalen Eigentum und erteilte dem Staat die exklusive Vollmacht für ihren Abbau. Frühere Regierungen, so López Obrador, hätten es ausländischen Akteuren ermöglicht, sich zu bereichern, während Arbeiter und Bauern in Mexiko verarmten.