Putschversuch in Brasilien
Nachdem es der Bundespolizei gelungen war, die Kontrolle über das Gelände zurückzugewinnen, wurde als eine der ersten Reaktionen der Sicherheitschef der Hauptstadt, Bolsonaros früherer Justizminister Anderson Torres, entlassen. Die Generalstaatsanwaltschaft ersuchte den Obersten Gerichtshof, Haftbefehle gegen Torres und andere Amtsträger zu erlassen, die für »Handlungen und Unterlassungen« verantwortlich seien, die zu den Unruhen geführt hätten. »Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert ist«, erklärte die Vorsitzende der regierenden Arbeiterpartei (PT), Gleisi Hoffmann, im Kurznachrichtendienst Twitter.
Justizminister Flávio Dino bezeichnete die Vorfälle als »Putschversuch«, und Staatschef Lula da Silva erinnerte an Äußerungen Bolsonaros, der im Falle einer Wahlniederlage – unter Anspielung auf den Angriff von Trump-Anhängern auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 – ein »schlimmeres Problem als in den USA« angekündigt hatte. »Ihr wisst, dass es Äußerungen des ehemaligen Präsidenten gibt, die so etwas ermutigt haben«, sagte Lula. Bolsonaro, der sich kurz vor dem Amtsantritt seines Nachfolgers nach Florida abgesetzt hatte, wies dessen Vorwürfe zurück. Öffentliche Gebäude zu plündern verstoße gegen »die Regeln für friedliche Demonstrationen«.
Die zunächst einhellig wirkende Verurteilung der Vorgänge durch ausländische Regierungen und Staatschefs weist bei genauerem Hinsehen feine Unterschiede auf. Während lateinamerikanische Präsidenten wie Andrés Manuel López Obrador (Mexiko), Alberto Fernández (Argentinien), Miguel Díaz-Canel (Kuba), Nicolás Maduro (Venezuela) oder beispielsweise der stellvertretende Sprecher des russischen Senats, Konstantin Kossatschow, die Ausschreitungen klipp und klar als »Putschversuch« der Rechten bezeichneten, vermieden führende europäische und US-Politiker – zumindest in ersten Stellungnahmen – den Begriff. US-Präsident Joseph Biden nannte die Ereignisse »ungeheuerlich«. Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sahen darin unisono und vage einen »Angriff auf die Demokratie«, der nicht zu tolerieren sei. Unterdessen haben das regionale Staatenbündnis »Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika – Handelsvertrag der Völker« (ALBA–TCP) und die aus 33 Ländern bestehende Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) vor weiteren destabilisierenden Aktionen der Rechten gewarnt.