Möglichkeiten und Grenzen des Regierens
Kolumbianische Kommunisten begingen ihren 23. Parteitag
Seit der Republikgründung nach dem Scheitern Großkolumbiens mit Simón Bolívars Tod 1830 war Kolumbien keinen Tag von fortschrittlichen Kräften regiert worden. Eine Kaste aus Grundbesitzern, Kirche und Militär bildete sich heraus, die mit jeder Art von Gewalt ihren Besitz verteidigte; mit der Ermordung des linken Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán 1948 begann ein innerer Krieg, der bis heute nicht beendet ist.
Mit der diesjährigen Wahl ist mit dem „Historischen Pakt“ im August nun erstmals ein linker Zusammenschluss aus sechs Parteien und diversen Bewegungen in die „Casa de Nariño“, den Regierungspalast, eingezogen. Der „Pacto Histórico (PH)“ wurde im Gefolge der Massendemonstrationen 2021 gegen die Regierung unter Präsident Iván Duque stark, die sich gegen die Vereinbarungen des Friedensabkommens mit den FARC und demokratische Veränderungen gestellt hatte. Zum PH gehört neben „Colombia Humana“, der Partei des neuen Präsidenten Gustavo Petro, und der linken Patriotischen Union (UP) auch die Kolumbianische Kommunistische Partei (PCC), die vom 8. bis 10. Dezember ihren 23. Parteitag abhielt. Unter dem Motto „Unidad para el nuevo poder“ (Einheit für die neue Macht) versammelten sich knapp 400 Delegierte in Bogotá, um das Wirken der PCC im Historischen Pakt und damit die Dialektik von Gestalten als Teil der Regierung und Opposition zur kapitalistischen Realität auszuloten. Hier die Waage zu halten ist angesichts einer extrem gefährlichen und gewaltbereiten Rechten im Land durchaus eine Frage des Überlebens nicht nur der linken Regierung.
Das Verhältnis der PCC zum Präsidenten Petro wird nicht zuletzt von dessen Entscheidungen abhängen, die zwischen seiner grundsätzlichen Bereitschaft, ein einvernehmliches Verhältnis zu den USA zu haben, und seinem Willen zu gesellschaftlichen Veränderungen variieren. Sieben US-Militärbasen befinden sich in Kolumbien, deren Auflösung sicherlich zum „Totalen Frieden“ gehören würde, den Petro gern als Ziel benennt. Der damit gemeinte gesellschaftliche Frieden wird eben nicht allein mit einem Erfolg der soeben in Caracas neu begonnenen Friedensgespräche mit dem ELN (Nationales Befreiungsheer) zu erreichen sein; es gibt in Kolumbien unzählige bewaffnete Gruppen aus dem paramilitärischen Milieu von Drogenkartellen und Grundbesitzermafia. Aufgrund dieses komplizierten Konglomerats kann ein Erfolg des „paz total“ auch nicht ohne eine Änderung der US-Drogenpolitik zustande kommen.
Arbeitsministerin Gloria Inés Ramírez gehört der PCC an. Bereits fünfmal wurde sie von Petro bei Abwesenheit mit den präsidialen Geschäften betraut. In ihrem Grußwort im vorabendlichen Eröffnungsprogramm des Parteitags betonte sie die zügig verabschiedete progressive Steuerreform und warf einen Blick auf 2023, wenn eine Arbeitsrechts-, eine Renten- und eine Gesundheitsreform anstehen; perspektivisch wird es mit Blick auf die sozialen Ursachen des bewaffneten Konflikts dringlich auch um eine Agrarreform gehen müssen. Das Grußwort der Kulturministerin Patricia Ariza, die die UP in der Regierung vertritt, wurde verlesen. Weitere Beiträge kamen von der bekannten Senatorin Piedad Córdoba, die eine wichtige Rolle im Friedensprozess mit den FARC gespielt hatte, von der früheren FARC-Kommandantin Sandra Ramírez, der UP-Abgeordneten Aida Avella und den Botschaftern Vietnams, Chinas, Kubas und der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, mit der die neue Regierung schon nach drei Tagen offizielle Beziehungen aufgenommen hatte.
Wie bei anderen Kommunistischen Parteien der Region unterscheidet der Parteitag der Kolumbianischen KP nicht zwischen Leitantrag und Parteiprogramm; vielmehr ist der nach intensiven und auf gutem Niveau stattfindenden Debatten – in fünf Arbeitsgruppen und mit Erörterung von deren jeweiligen Zwischenergebnissen im Plenum – am Ende von den Delegierten beschlossene Leitantrag auch das nun bis zum nächsten Parteitag gültige Programm. Damit erspart man sich Debatten um eventuell nicht mit dem oft nur sporadisch aktualisierten Parteiprogramm übereinstimmende Leitantragsinhalte. Möglichkeiten und Grenzen der Linkskoalition wurden im Leitantrag/Programm klar benannt und die Regierung als „demokratisch-volksnah“ bezeichnet, die anstehenden Parteiaufgaben als geteilt zwischen Regierungsarbeit und Organisierung der Arbeiter-, Bauern- und Studierendenbewegung eingeordnet und nebenher einige Statutenfragen beschlossen.
Beim Parteitag spielte das Geschlechterverhältnis eine zentrale Rolle, nachdem es vor Jahren in der Kommunistischen Jugend zu nicht geahndeten Übergriffen gekommen war; das Kapitel wurde in den letzten Monaten gründlich und auch hinsichtlich heutiger Geschlechtervorstellungen angegangen. Das neue Zentralkomitee, wiederum aus 71 Mitgliedern bestehend, ist im Ergebnis nach einer Statutenänderung nun paritätisch besetzt. Außerdem wurde im Statut die Funktion eines Vorsitzenden eingeführt, die der nach 26 Jahren aus dem Amt des Generalsekretärs geschiedene Jaime Caycedo einnimmt. Er wurde in der ersten Sitzung des Zentralkomitees gewählt. Mit klarer Mehrheit bestimmte das ZK in einer Kampfabstimmung Claudia Flórez zu seiner Nachfolgerin. Sie ist aktuell noch Chefredakteurin der KP-Wochenzeitung „Voz“ und hatte vor Jahren die Kommunistische Jugend geleitet. Nach den KPen Uruguays und Chiles hat damit nun auch in Kolumbien erstmals eine Genossin das höchste Parteiamt inne.
Dem Parteitag war ein internationales Seminar in Räumlichkeiten des Kongresses der Republik vorausgegangen, bei dem Bruderparteien aus Lateinamerika und Europa zur „Krise des Kapitalismus, Krieg, Frieden und Herausforderungen der lateinamerikanischen und karibischen Integration“ referierten. Während die Parteien aus Uruguay, Argentinien, Peru, Venezuela und Chile Integration, eine neue Drogenpolitik und den Schutz des Amazonasbeckens ansprachen, bezogen sich die Beiträge Kommunistischer und Arbeiterparteien aus Spanien, Belgien, Deutschland und Portugal vorwiegend auf die tatsächlichen und die angeblichen Auswirkungen des Ukraine-Krieges für die arbeitenden Menschen Europas.