Scharfmacher unter Druck
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»Ethisches Fehlverhalten«: Untersuchung zu rechtem Generalsekretär der US-dominierten OAS
Von Volker Hermsdorf
Um den rechten Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, wird es einsam. Der Ständige Rat der von Washington dominierten OAS hat am Freitag eine Resolution verabschiedet, mit der eine externe Firma beauftragt wird, Vorwürfe gegen Almagro wegen »ethischen Fehlverhaltens« zu untersuchen. Dem ehemaligen Außenminister Uruguays wird vorgeworfen, gegen Vorschriften der Organisation verstoßen zu haben, weil er eine intime Beziehung zu einer ihm unterstellten Mitarbeiterin hatte, die er zudem befördert haben soll. Die von Uruguay und dem Karibikstaat Antigua und Barbuda eingebrachte Resolution war mit 30 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen und einer Abwesenheit angenommen worden.
Die Position des OAS-Generalsekretärs werde kurioserweise jetzt nicht wegen seiner Unterstützung dubioser Politiker in Lateinamerika, sondern wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen interne Regeln in Frage gestellt, kommentierte die argentinische Tageszeitung Página 12 am Sonntag. Almagro, der seit 2015 an der Spitze der Organisation steht, ist seit Jahren wegen seiner Nähe zur US-Regierung und ultrarechten Akteuren umstritten. Im Oktober 2019 hatte er dem mit über zehn Prozentpunkten Vorsprung im Amt bestätigten bolivianischem Präsidenten Evo Morales Wahlbetrug vorgeworfen. Gestützt auf einen später widerlegten OAS-Report hatten Oppositionelle daraufhin schwere Unruhen organisiert, die zu zahlreichen Toten und Verletzten und schließlich zu einem Staatsstreich führten, der Morales ins Exil zwang und am 10. November desselben Jahres ein Putschistenregime an die Macht brachte. Zuvor hatte Almagro sich mehrfach für schärfere US-Sanktionen gegen Kuba eingesetzt, den gewaltbereiten Teil der venezolanischen Opposition um den selbsternannten »Interimspräsidenten« Juan Guaidó unterstützt und zustimmend erklärt, eine militärische Intervention in Venezuela sei »nicht ausgeschlossen«.
Länder wie Bolivien, Mexiko und Argentinien haben mehrfach Almagros Rücktritt gefordert. Selbst die US-Regierung, die ihren loyalen Gefolgsmann bisher gegen alle Angriffe unterstützte, hatte sich bereits vor der Abstimmung vom Freitag für eine externe Untersuchung ausgesprochen. »Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst«, sagte ein Sprecher des Außenministeriums gegenüber der Nachrichtenagentur AP.
Auf der Sitzung des Ständigen Rates bestätigte Almagro, dass er eine dreijährige Beziehung mit der mexikanischen Politikwissenschaftlerin Marián Vidaurri unterhalten hatte, die inzwischen aber beendet sei. Ein sich »OAS-Whistleblower« nennender anonymer Informant hatte bereits vor Wochen darauf hingewiesen, dass die 20 Jahre jüngere Frau, die zunächst in der OAS-Abteilung »zur Stärkung der Demokratie« gearbeitet hatte, »plötzlich und ohne Ausschreibung von einer mittleren Position zur leitenden Beraterin« des Generalsekretärs befördert worden sei. Innerhalb von drei Monaten soll die Untersuchung jetzt klären, welche Rolle Almagro dabei spielte. Die internen Regeln der OAS sehen vor, dass Personen, die eine intime Beziehung zu einem anderen Mitarbeiter oder Dienstleister haben, »von der Beaufsichtigung oder Beurteilung dieser Person ausgeschlossen sind« und »nicht an einem Verfahren teilnehmen dürfen, in dem eine Verwaltungsentscheidung getroffen oder überprüft wird, die die Interessen dieser Person berührt«.
Der Fall erinnert an einen ähnlichen Vorgang bei der Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB), deren Präsident Mauricio Claver-Carone, ein Vertrauter Donald Trumps, Ende September wegen Verstößen gegen den Ethikkodex der Bank entlassen wurde, weil er eine intime Beziehung zu einer weiblichen Untergebenen unterhielt, die er mit zwei Gehaltserhöhungen begünstigte. »Claver-Carones Absetzung löste Gerüchte aus, dass innerhalb der Biden-Administration daran gearbeitet wird, mit Trump verbündete Kräfte aus regionalen Institutionen wie der IDB und der OAS zu entfernen«, berichtete des investigativen US-Nachrichtenportals The Grayzone damals. »Sollte Almagro abgesetzt werden, könnte er das jüngste Opfer dieser Kampagne werden«, hatte das Portal bereits am 7. Oktober über mögliche Hintergründe der nun beschlossenen Untersuchung spekuliert.