»Im Staat gibt es sowohl Verbündete als auch Gegner«
Jesús Monsalve ist Mitglied der Brigade des »Frente Cultural de Izquierda« im venezolanischen Bundesstaat Táchira
Das Wachstum der venezolanischen Wirtschaft findet momentan auch international Beachtung. Es gibt deutliche Signale der Annäherung zwischen der Regierung von Präsident Nicolás Maduro und NATO-Ländern wie den USA und Frankreich. Zugleich spüren die Länder des globalen Südens den Einfluss eines westlichen Kulturimperialismus. Welche Ansätze verfolgen Sie in ihrer Arbeit als »Linker Kulturfront«?
Wir denken an Kultur im anthropologischen Sinne, sehr verbunden mit dem Kulturmarxismus, aber hauptsächlich beeinflusst durch den venezolanischen Autor Ludovico Silva. Er plädiert für einen lebendigen Marxismus. Wir beanspruchen die Kultur als ein Element, das bis zu einem gewissen Grad versucht, die Ideologie zu überwinden. Wir entwickeln Methoden der Politisierung, um Volksbildung bei vielen jungen Menschen der Arbeiterklasse zu betreiben. Das Ziel ist, zu einer Entwicklung von Klassenbewusstsein und einem Verständnis der Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse in unserem Land beizutragen.
Woher kommt Ihre Organisation?
Die »Kulturfront« ist 2011 an der Universidad Central de Venezuela entstanden, nur zwei Jahre vor dem Tod von Comandante Hugo Chávez. Sie ist sehr stark von den Kämpfen des Bolivarischen Prozesses in der studentischen Sphäre geprägt. Wir sind nicht nur im Hauptstadtdistrikt, sondern auch in zwei weiteren Staaten präsent. In Caracas arbeiten wir in der Comuna Socialista Cinco de Marzo mit einem Schwerpunkt auf feministischer Politik und betreiben eine kommunale Gesellschaft für den Vertrieb von Lebensmitteln zu solidarischen Preisen. Damit erreichen wir 3.500 Familien auf dem Gebiet der Kommune.
Außerhalb der Städte arbeiten Sie mit sogenannten territorialen Aktivierungsbrigaden. Welche Funktion haben die?
Deren Rolle besteht hauptsächlich darin, neue Gebiete mit organisatorischem und politischem Potential innerhalb des Landes zu finden, die mit der Unión Comunera (Dachorganisation mehrerer Dutzend Kommunen, jW) und dem Aufbau von Kommunen verbunden werden können. Die Kommune, wie wir sie uns vorstellen, kann in ihrer Isolation nicht die Entwicklung eines neuen Gesellschaftssystems erreichen. Die Brigaden analysieren das Potential und entscheiden, ob und wie ein Gebiet gefördert werden soll.
Welches Verhältnis haben Sie zu den Institutionen?
Deren Unterstützung muss man sich verdienen. Es gibt interne Widersprüche des bolivarischen Prozesses und auch unterschiedliche Positionen innerhalb des Chavismus darüber, wie das politische Projekt zukünftig aussehen soll. Wir vertreten einen populären Chavismus, der auf die Kommune als strategisches Instrument für den sozialen Wandel setzt. Die Institutionen sind von diesen internen Auseinandersetzungen durchdrungen. Es gibt einen ständigen Klassenkampf, und wir wissen, dass es innerhalb des Staates sowohl Verbündete als auch Gegner gibt. Andere Beispiele in Lateinamerika haben mehr als deutlich gemacht, dass die Bourgeoisie nicht den revolutionären Charakter hat, den sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte vielleicht hätte haben können.
Was sind momentan die größten Herausforderungen für die Linke in Venezuela?
Unser großes Problem im populären Lager ist, dass wir keine ausreichende Kenntnis darüber haben, wie groß die Kapazität und das Leistungsvermögen aller Erfahrungen von sozialem Eigentum und sozialer Produktion sind, die im Land existieren. Welches Gewicht haben sie in der Volkswirtschaft, inwieweit haben sie Einfluss auf ihre Gebiete, auf die Entwicklung der Politik dort?
Wir müssen die Wechselbeziehung mit dem hegemonialen Ölrentierkapitalismus in unserer Gesellschaft analysieren. Die kommunale Ökonomie macht nicht einmal zehn Prozent der produktiven Prozesse auf nationaler Ebene aus. Glücklicherweise hat das kleinbäuerliche Eigentum, das das Erbe der gemeinschaftlichen Organisation und der Solidarität in sich trägt, aber sein hohes Gewicht bereits gezeigt. Dadurch konnte der Mangel an Grundnahrungsmitteln durch kleinbäuerliche Produktion aufgefangen werden. Ernährungssouveränität ist von strategischer Bedeutung.