Notas de Cuba: Der Sozialismus ist kein Live Action Role Play
Von Ken Merten
An dem Pferd kann man die Rippen nachzählen. Hund und Welpe streiten sich im Spiel um ein Stück Palmenrinde. Die Kinder können nur einen unserer Namen und rufen ihn ständig. Es ist zum Glück nicht meiner. Unser Fest für die Nachbarschaft ist ein kleiner Reinfall, wir bleiben mit Risotto für eine halbe Woche zurück. Wir haben uns extra dafür angezogen. Genau ein Brusthaar guckt aus meinem Hemd hervor. Die, die gekommen sind, sind nett zu uns und irgendwann betrunken von dem Rum, den wir gekauft haben. Eine von uns hat Geburtstag, aber das verschweigt sie aus Angst, zu sehr im Zentrum zu stehen. Am nächsten Tag – wir sind noch voll Risotto – fahren wir nach Nueva Gerona.
Die Motorhaube der Guagua steht offen, damit der Motor nicht überhitzt. Die Taube, die der eine Junge in seinen Händen hält, hat orange Federn an den Flügeln. Alle Vertreterinnen und Vertreter der Kommunistischen Jugend (UJC) und des Studierendenverbandes (FEU) sehen wahnsinnig gut aus. Wir haben schlimme Akne vom ständigen Nasobucotragen. Meine Methode, Spanisch durch reines Zuhören zu lernen wie Antonio Banderas in »Der 13te Krieger« die Sprache der Wikinger, ist so mittelerfolgreich.
Inflation, Corona, die von Biden, dem Tattergreis der Macht, verschärfte Blockade und der Ukraine-Krieg setzen der Wirtschaft zu. Wir merken das, indem wir Olivenöl für zehn US-Dollar die Flasche im Devisenladen kaufen. Das Jahr lief schlecht an. Am Ziel, 2022 auf 2,5 Millionen Besucherinnen und Besucher zu kommen, hält man fest. Langsam wird es ein Kampfziel.
Die Granma zitiert am 7. April online den Leiter der Lateinamerikaabteilung des russischen Außenministeriums: »Wir werden die russisch-kubanische strategische Partnerschaft auf der Weltbühne stärken, den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit fördern, humanitäre Hilfe leisten und die zwischenmenschlichen Kontakte stärken. Wir werden uns vorrangig um die Bereiche Verkehr, Energie, Metallurgie, Landwirtschaft und Tourismus kümmern.«
Wir besuchen eine Lebensmittelfabrik. Die Frau am Empfang hat stark geschminkte Lider, das gleiche Türkis wie der Bogen am Eingang. Wir kommen in den Raum, wo Investoren empfangen werden, die Arbeiterinnen und Arbeiter aber auch Feste feiern. Von denen gibt es fast 1.000 in der komplett staatlichen Bude.
Während ein Werbevideo läuft, suche ich nach einem Loch im Palmwedeldach, finde aber keins. Die Technik ist aus Italien, der einzige Exportmarkt der Firma. Dahin geht Holzkohle. Obst, Kraut und Tomatensalsa mit Knoblauch wird für das Inland produziert. Es ist zehn Uhr, und wir bekommen eine Merienda aus Melonensaft, Kokosmilch und Papaya serviert. Wir werden herumgeführt und tragen dabei unförmige Kittel. Eine Biogasanlage gibt es leider nicht, die ist zu teuer.
Weiter zu einer der Farmen, die die Firma beliefern. Ein einzelnes, schon eselgroßes Kalb springt frei rum. Fasane im Käfig, Hasen, Schweine, Ziegen. Unsere Spanischlehrerin trägt ein Kopftuch gegen die Sonne. Sie sieht aus wie einer der Piraten, die es hier früher gab. Zu jedem Tier kann sie ein Kinderlied.
2008 hat ein Zyklon die Isla de la Juventud schwer getroffen. Danach wurde die Farm gegründet, staatliches Land, zur Nutzung freigegeben. Sechs von sieben, die da arbeiten, gehören zu einer Familie, sagt mir einer der sechs. Er trägt eine »Squid Game«-Nasobuco und Arbeitsgummistiefel. Maschinen zur Verarbeitung von Reis und Mais stammen aus Japan. Wie bei den Linienbussen in Havanna will Japan damit mehr Marktzugriff: auf Tourismus und Landwirtschaft, aber auch die Produktion von Medizin findet der japanische Imperialist spannend.
Gerade wird ein Haus gebaut. Irgendwann soll die Farm Arbeitsurlauber anziehen: blonde Deutsche mit Wursthaaren, die ihren Jahresurlaub mit Mistschaufeln zubringen. Live Action Role Play. Widersprüche, die der Sozialismus aushalten muss. Denn der ist kein LARP hier.
Wir bekommen natürlich gezuckerten Cafecito, Saft und süßen Refresco – jenseits dessen, was Geschmacksrezeptoren registrieren können. Noch mehr Frucht- und Rohrzucker und ich krieg Gesichtskirmes. »Ein Glas geht noch«, denke ich, als wir auf dem Markt sind und es bei der Guarapería Zuckerrohrsaft gibt. Ich bestelle ein großes.