Nicht jede Hilfe erwünscht
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Nach Erdbeben in Haiti: Warnungen vor internationalen NGOs. Kubanische Mediziner vor Ort, Venezuela schickt materielle Unterstützung
Von Ina Sembdner
In Haiti hat sich nach dem Beben der Stärke 7,2 von Samstag morgen die Zahl der bisher gemeldeten Opfer nach Behördenangaben bis jW-Redaktionsschluss auf fast 1.300 erhöht, mehr als 5.700 Menschen wurden verletzt. Bei der Katastrophe, die vor allem die Gemeinde Saint-Louis-du-Sud traf, wurden nach Angaben der Zeitung Le Nouvelliste unter Berufung auf den Zivilschutz mindestens 13.700 Häuser zerstört und ebenso viele beschädigt. Mehr als 30.000 Familien seien betroffen, hieß es weiter. In den kommenden Tagen drohen den schutzlos Ausgelieferten nun noch Starkregen, heftiger Wind und Schlammlawinen durch den Tropensturm »Grace«, der am Montag abend erwartet wurde.
In den sozialen Medien wurden in Folge des Erdbebens deutliche Ansagen getätigt: Bitte spendet nicht an das American Red Cross. Hintergrund sind die Erfahrungen nach dem Beben von 2010, das zwar weniger stark ausgefallen war, aber die Hauptstadt Port-au-Prince getroffen hatte und mit mindestens 300.000 Opfern deutlich folgenreicher war. Eine halbe Milliarde US-Dollar hatte die Organisation damals eingesammelt. Recherchen des US-Senders NPR und des Investigativprojekts Propublica ergaben 2015 »eine Reihe schlecht verwalteter Projekte, fragwürdiger Ausgaben und zweifelhafter Erfolgsaussagen«. Dazu wurden Hunderte Seiten interner Dokumente und E-Mails durchgesehen sowie Interviews mit einem Dutzend aktueller und ehemaliger Beamter geführt.
Empfohlen werden online statt dessen lokal verbundene Gruppen wie Fonkoze, »Konbit Sante« oder »Haiti Emergency Relief«. Auf der Webseite der letzteren heißt es zum Ansatz bei der Gründung 2004: »konkrete Hilfe leisten, um den brutalen Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide zu überstehen und die zerstörten Entwicklungsprojekte wieder aufzubauen«. Also genau das, was die USA, für die Haiti als »Sweatshop« fungiert, verhindern wollen. Im Gegensatz zum American Red Cross und anderen internationalen »Nichtregierungs«-Organisationen können diese Gruppen auch eine transparente Bilanz ihrer Arbeit vorweisen.
Während USAID-Chefin Samantha Power am Sonntag bekanntgab, dass ein 65köpfiges Such- und Rettungsteam samt Spezialausrüstung am Abend eintreffen werde, waren schon am Sonnabend Bilder durchs Internet gegangen, die zeigten, wie kubanische Helfer vor Ort im Einsatz waren. Nach Angaben von Prensa Latina arbeiten rund 300 Ärzte aus Kuba im Rahmen der Henry-Reeve-Brigade in den zehn verschiedenen Départements in Haiti. Auch ein Flieger aus Venezuela mit 30 Tonnen Hilfsgütern an Bord landete am Sonntag auf der Karibikinsel.
USAID wiederum hat in den vergangenen Jahren mit großen Summen Steuergeldes vor allem dafür gesorgt, dass viel versprochen und wenig gehalten wurde. Profitiert davon haben nicht die Menschen in Haiti, sondern vor allem private Firmen, die die Zuschläge für lukrative Aufträge bekamen. Und US-Präsident Joseph Biden kündigte am Sonnabend an: »Die Vereinigten Staaten sind weiterhin ein enger und dauerhafter Freund des haitianischen Volkes« – eine ernstzunehmende Drohung.