»Die Sanktionen sind eine andere Form des Krieges«
Solidaritätsprojekt »Maleta Salvavidas« brachte im Juli dringend benötigte Medikamente nach Venezuela. Ein Gespräch mit Carsten Hanke
Interview: Frederic Schnatterer
Carsten Hanke ist Präsident der »Gesellschaft für Frieden und internationale Solidarität« (Gefis)
Sie waren im Juli zusammen mit dem Biologen und Initiator des Projektes »Maleta Salvavidas« (Rettungskoffer), Stephan Pelser, in Venezuela. Was hatten Sie in Ihrem Koffer?
In den Koffern waren Medikamente für an Krebs erkrankte Kinder und andere Patienten, die wir mit Spendengeldern gekauft hatten. Damit haben wir die Kinderonkologie im Universitätskrankenhaus »Ruiz y Páez« in Ciudad Bolívar unterstützt. Mit den gespendeten Medikamenten konnten Behandlungsschemata der Krebstherapie komplettiert werden, die sonst nicht hätten durchgeführt werden können. Ferner wurde auch ein Ambulatorium der indigenen Gruppe der Pemón im Süden Venezuelas unterstützt, indem beispielsweise Gegengifte für Schlangenbisse gekauft wurden.
Sowohl die USA als auch die EU haben Sanktionen gegen Venezuela verhängt, von denen sie behaupten, sie träfen die normale Bevölkerung nicht. Stimmt diese Aussage mit Ihren Beobachtung vor Ort überein?
Diese Aussage stimmt definitiv nicht. Ein Beispiel: Der venezolanische Staat hat über die Organisation Fundalatin seit 20 Jahren immer wieder Therapien für Patienten im Ausland organisiert, die nicht im Land selbst behandelt werden konnten, beispielsweise in Italien, Argentinien oder auch Deutschland. Finanziert wurde das durch Einnahmen der Ölfirma Citgo in den USA, eine 100prozentige Tochter der staatlichen venezolanischen Erdölgesellschaft PDVSA. Seit der Konfiszierung dieser Firma durch die USA ist die Finanzierungsmöglichkeit für solche Behandlungen weggefallen.
Wir haben vor unserer Abreise mit Fundalatin sprechen können. Laut deren Angaben stehen aktuell 51 Kinder für Transplantationen im Ausland auf einer Warteliste, weitere elf sind wegen des Wegfalls der Finanzierungsmöglichkeit gestorben. Diese Sanktionen sind eine andere Form des Krieges. Allein zwischen 2017 und 2018 hat dieser nach Angaben des Center for Economic and Policy Research mehr als 40.000 Menschen in Venezuela das Leben gekostet.
Wird auch die Bekämpfung der Coronapandemie von den Sanktionen gegen Venezuela beeinträchtigt?
Es fehlen vor allem Medikamente. Natürlich wirken sich die Sanktionen nachteilig auf die Bekämpfung der Coronapandemie aus, weil Finanzmittel fehlen, um noch mehr für den Schutz der Bevölkerung zu tun. Dabei macht die Regierung sehr viel, um der Pandemie Einhalt zu gebieten. Auch die Solidarität aus anderen Ländern ist spürbar, beispielsweise bei der Lieferung von Coronaimpfstoffen.
Sie haben die Aktion unter anderem mit der »Gesellschaft für Frieden und internationale Solidarität«, Gefis, organisiert. Wie sah die Zusammenarbeit mit venezolanischen Stellen und Behörden aus?
Seit unserer Gründung setzen wir auf die Zusammenarbeit mit allen fortschrittlichen Kräften, national wie international. Beim Erfolg von »Maleta Salvavidas« war das Zusammentreffen mit Stephan Pelser entscheidend. Er hat die Initiative schon vor Jahren angestoßen. Vor allem haben natürlich die Spender das Projekt erst möglich gemacht. Auch die venezolanischen Behörden und Organisationen haben uns unterstützt, beispielsweise das Außenministerium, unser Partnerverein Cosi, das Instituto Simón Bolívar.
Was planen Sie für die Zukunft?
Wir wollen weiter Solidarität praktizieren und diese ausbauen. Dafür brauchen wir jede Spende, um so die in Venezuela dringend benötigten Medikamente erwerben zu können. Unter anderem haben wir den Plan, verschiedene Gruppen mit Ambulatorien in den Stadtteilen von Caracas in einer Art Patenschaft solidarisch zu vernetzen. Das kann mit anderen Städten in Venezuela ständig ausgebaut werden.
Dafür ist unbedingt notwendig, die internationale Solidarität hier zu stärken, beispielsweise durch die Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen und Gruppen in Europa unter dem Label »Maleta Salvavidas«. Entsprechend dem Ausspruch Che Guevaras »Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker« muss das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass das Embargo gegen Venezuela, aber auch gegen Kuba und Nicaragua, letztlich Völkermord bedeutet. Denn auch dort sterben Kinder und Bedürftige an den Folgen der Sanktionen. Auch für diese Länder müssen entsprechende »Maleta Salvavidas«-Projekte entstehen, die den betroffenen Menschen helfen und darüber hinaus Druck auf jene Regierungen ausüben, die die Embargopolitik unterstützen.