Frischer Wind in Lima
Am Mittwoch (Ortszeit), auf den Tag genau 200 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung von Peru, ist Pedro Castillo als neuer Präsident des südamerikanischen Landes eingeschworen worden. Der Amtsantritt eines Linken als Staatsoberhaupt stellt einen historischen Bruch in den zwei Jahrhunderten postkolonialer Geschichte des Andenstaats dar. Für viele marginalisierte Bevölkerungsgruppen ist Castillo ein Hoffnungsträger, doch angesichts einer verheerenden Pandemiebilanz sowie einer jahrelangen politischen Krise erwartet den bisherigen Grundschullehrer und Gewerkschaftsführer der Partei »Freies Peru« eine schwierige Amtszeit.
»Dieses Mal ist eine Regierung aus dem Volk gekommen, um für das Volk und mit dem Volk zu regieren«, betonte Castillo in seiner Antrittsrede vor dem peruanischen Kongress. Mit weißem Sombrero und Jackett im Stile des bolivianischen Expräsidenten Evo Morales wandte er sich an das Publikum. Zu der offiziellen Zeremonie waren sämtliche Staatschefs aus der Region angereist, unter anderem der Präsident Argentiniens, Alberto Fernández, und sein Amtskollege aus Bolivien, Luis Arce. Besonderer Ehrengast war Spaniens König Philipp VI., der sich anhören musste, wie der frischgekürte Staatschef bereits zu Beginn seiner Rede sowohl auf die jahrtausendealten andinen Hochkulturen als auch deren Zerstörung durch die spanischen Konquistadoren einging. »Kashkaniracmi! Wir existieren immer noch!« betonte der Sozialist.
Ausführlich kritisierte der 51jährige die Ungerechtigkeiten und den Rassismus im Land und nahm dabei auch Bezug auf seine eigene Herkunft als andiner Kleinbauer: »Ich möchte, dass Sie wissen, dass der Stolz und der Schmerz des tiefen Perus durch meine Adern fließen.« Die Geschichte des Landes, die so lange totgeschwiegen worden sei, sei auch seine Geschichte. Scharf attackierte Castillo das seit den 90er Jahren fest verankerte neoliberale Wirtschaftsmodell, das große Teile der Bevölkerung zurückgelassen habe. In seiner Regierungszeit werde er dieses »verantwortungsvoll« reformieren. »Wir wollen ein wohlhabenderes, ein gerechteres Land schaffen.« Dazu solle auch eine neue, plurinationale Verfassung nach dem Vorbild des Nachbarlands Bolivien etabliert werden.
Ein symbolischer Paukenschlag war die Ankündigung des Präsidenten, das Land nicht vom traditionellen Amtssitz des peruanischen Staatsoberhaupts, dem »Haus von Pizarro« (der Spanier Francisco Pizarro gilt als Eroberer des heutigen Peru), leiten zu wollen. Der imposante Bau im Zentrum von Lima soll statt dessen zu einem Museum umfunktioniert werden.
Dem Amtsantritt des Linken war ein wochenlanges Ringen um das Wahlergebnis vorangegangen: Keiko Fujimori, Tochter des Diktators Alberto Fujimori (1990–2000), die in ihrer Kampagne auf antikommunistische Hetze und rassistische Ressentiments gesetzt hatte, verlor die Stichwahl am 6. Juni knapp. Dennoch versuchte sie, deren Ergebnis juristisch zu kippen. Dabei schreckten ihre Verbündeten auch nicht vor offenen Putschaufrufen und Versuchen, Mitglieder des Wahlgerichts zu bestechen, zurück. Zuletzt hatten einschlägige ultrarechte Gruppierungen und Fujimori-Sympathisanten am 14. Juli versucht, den Präsidentenpalast in Lima zu stürmen, um die Annullierung des Wahlergebnisses zu erzwingen. Erst am Montag der vergangenen Woche – sechs Wochen nach der zweiten Runde – erklärte das Oberste Nationale Wahlgericht (JNE) Castillo zum Sieger.