Im Hintertreffen
Oppositionspolitiker Guaidó gerät in Venezuela immer stärker unter Druck. Washington hält jedoch weiter an ihm fest
Von Frederic Schnatterer
Hintergrund: Guaidós Ruf nach Sanktionen
Während Parlamentspräsident Luis Parra für Verhandlungen mit der Regierung von Nicolás Maduro eintritt, setzt der selbsternannte »Interimspräsident« Juan Guaidó bei seinen Regime-Change-Bemühungen unter anderem auf eine Verschärfung des Sanktionsregimes gegen Venezuela. Auch deswegen hat er kaum Rückhalt in der Bevölkerung, die die Strafmaßnahmen in ihrem Alltag deutlich zu spüren bekommt.
2015 hatte der damalige US-Präsident Barack Obama Venezuela per Präsidialdekret zur »außergewöhnlichen Bedrohung für die nationale Sicherheit und Außenpolitik der Vereinigten Staaten« erklärt und erste Wirtschaftssanktionen gegen das Land verhängt. Mit dem Amtsantritt seines Nachfolgers Donald Trump 2017 verschärfte Washington den Kurs gegenüber Caracas zusehends. Seitdem sind mehr als 150 Strafmaßnahmen gegen Venezuela hinzugekommen.
Diese haben dramatische Auswirkungen. Unternehmen aus den USA sowie in Nordamerika aktive Firmen aus Drittländern brachen aufgrund der Strafandrohungen ihre Wirtschaftsbeziehungen nach Venezuela ab, internationale Banken verweigern Caracas Finanztransaktionen. Das erschwert es wiederum der venezolanischen Regierung, dringend benötigte Importwaren wie Lebensmittel, aber auch medizinische Geräte zu erwerben.
2019 beschlagnahmte Washington zudem das zu Venezuelas staatlicher Erdölgesellschaft PDVSA gehörende, in den USA aktive Unternehmen Citgo. Aus dessen Einnahmen hatte Caracas unter anderem medizinische Programme bezahlt, die seitdem nicht mehr aufrechterhalten werden konnten. Ende vergangener Woche urteilte zudem ein US-Gericht, dass ein kanadisches Unternehmen in seinem Streit um Entschädigungszahlungen von Venezuela Anspruch auf Aktienanteile von Citgo habe. Die Vertreter von Guaidó, die de facto die Kontrolle über die PDVSA-Tochter ausüben, unterstützen den Ausverkauf des venezolanischen Staatseigentums. (fres)
Am Dienstag veröffentlichte die spanische Tageszeitung El País einen Artikel mit dem Titel »Es gibt eine Lösung für Venezuela«. Der Autor: kein geringerer als der selbsternannte »Übergangspräsident« des südamerikanischen Landes, Juan Guaidó. Tenor des Textes: »Die humanitäre Katastrophe lässt sich nur abwenden, wenn Maduro nicht an der Macht bleibt.« Doch trotz aller Kraftmeierei: Der Oppositionspolitiker – vor einem Jahr noch Hoffnung der venezolanischen Rechten im Kampf gegen die Regierung von Nicolás Maduro – kommt politisch immer mehr ins Hintertreffen. Während seine internationalen Unterstützer weiter an ihm festhalten, reißen die Hiobsbotschaften für die rechte Opposition in Venezuela seit Wochen nicht ab.
Den jüngsten Rückschlag musste Guaidó am Dienstag hinnehmen. Nach monatelangem Hin und Her bestätigte das Oberste Gericht Luis Parra als legitimen Präsidenten der Nationalversammlung. Auch wenn Guaidós »Übergangsregierung« sich beeilte, den Gerichtsbeschluss am Donnerstag als »illegal« bezeichnete, da es den Richtern an »Unabhängigkeit, Autonomie und Überparteilichkeit« mangelte, bedeutet die Entscheidung eine symbolische Niederlage für den Oppositionellen. Das nicht zuletzt deswegen, weil er seine rechtlich ohnehin fragwürdige Selbstausrufung als »Übergangspräsident« Venezuelas Ende Januar 2019 aus dem Mandat als Parlamentspräsident abgeleitet hatte.
Warnung an Guaidó
Mit ihrer Entscheidung bestätigten die Richter nur, was angesichts der Faktenlage ohnehin klar war: Am 5. Januar hatte die Nationalversammlung den Oppositionspolitiker Parra zu ihrem Vorsitzenden gewählt – unter anderem mit den Stimmen der sozialistischen Abgeordneten des Regierungslagers. Guaidó war angesichts der sich abzeichnenden Niederlage der Sitzung ferngeblieben. Wenige Stunden später ließ er sich auf einer eigenen Sitzung an einem anderen Ort »einstimmig« als Parlamentspräsident bestätigen. Das Urteil des Obersten Gerichts enthält nun eine Warnung an Guaidó, ein solches paralleles Parlament sei »verboten« und habe »keine rechtliche Wirkung«.
Nur einen Tag zuvor hatte Venezuelas Generalstaatsanwalt Tarek William Saab bei der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs Ermittlungen gegen Guaidós Partei »Voluntad Popular« (»Volkswille«, VP) eingeleitet. Gegenüber der Presse erklärte Saab: »Noch nie hat es in der Geschichte des Landes eine politische Organisation gegeben, die sich – angesichts der Unmöglichkeit, die Macht auf demokratischem Wege zu erlangen – der terroristischen Gewalt zuwendet.« Wegen einer Vielzahl an gewalttätigen und illegalen Aktionen solle der Oberste Gerichtshof die Partei als »kriminelle Organisation mit terroristischen Zielen« einstufen und dementsprechend auflösen.
Tatsächlich lässt sich nur politisch erklären, warum eine so offen auf illegale Mittel setzende Partei wie die VP in Venezuela bislang nicht verboten ist – in den meisten Ländern der Erde sähe es wohl anders aus. Zu offen setzt Guaidós Partei auf Gewalt und kooperiert dabei sowohl mit ausländischen Kräften als auch mit Drogenbanden, um die gewählte Regierung von Maduro zu stürzen. Letzter Akt der Regime-Change-Bemühungen: die gescheiterte Söldnerinvasion Anfang Mai.
Am 3. Mai war es an der Nordküste des Landes nahe der Stadt Macuto zu einem ersten Anlandungsversuch mehrerer in Kolumbien gestarteter Schnellboote gekommen. Die venezolanische Armee tötete acht schwerbewaffnete Angreifer. Am Tag darauf entdeckten Fischer einige Kilometer entfernt ein weiteres Boot und setzten mit Hilfe der Sicherheitskräfte des Landes die Besatzung – unter ihnen zwei US-Bürger – fest. In den folgenden Tagen nahmen Armee und Polizei Dutzende weitere an der gescheiterten »Operation Gideon« Beteiligte fest.
Verstrickung in Invasion
Bereits am 3. Mai waren die ersten Informationen zum Hintergrund der vereitelten Aktion ans Licht gekommen. Gegenüber der venezolanischen Oppositionellen Patricia Poleo, die im Exil in Florida lebt, erklärte ein gewisser Jordan Goudreau, für den Invasionsversuch verantwortlich zu sein. Seine aus ehemaligen US-Elitesoldaten bestehende Sicherheitsfirma »Silvercorp USA« habe die Aktion gemeinsam mit Guaidó geplant. Auch ein Dokument mit der Unterschrift des »Übergangspräsidenten« hielt er beim Interview in die Kamera.
Nachdem er zunächst von einer »Inszenierung« durch die Regierung von Maduro gesprochen hatte, stritt Guaidó später jegliche Beteiligung an der »Operation Gideon« ab. Dem widersprachen jedoch nicht nur die beiden festgesetzten US-Söldner Luke Denman und Airan Berry, die in Verhören erklärten, Ziel der Operation sei die Festnahme und Entführung des Staatschefs in die USA gewesen. Auch Guaidós »Politstratege« Juan José Rendón gab in einem Interview gegenüber CNN am 7. Mai zu, ursprünglich an dem Vertrag beteiligt gewesen zu sein. In einem Versuch, die Verantwortung von Guaidó abzulenken, kündigten Rendón sowie der Abgeordnete Sergio Vergara vier Tage später ihren Rückzug aus dessen »Interimsregierung« an.
Doch dieser Schachzug scheint nicht aufgegangen zu sein. Am 11. Mai verbreitete die spanische Nachrichtenagentur Efe ein Statement des in Miami lebenden venezolanischen Oppositionellen José Colina, in dem dieser erklärte, die gescheiterte Invasion habe Guaidó einen »enormen Schaden« zugefügt. Vier Tage später berichtete Bloomberg unter Berufung auf fünf anonyme Oppositionelle von Unruhe in der venezolanischen Rechten. Demnach seien einige Akteure sogar schon so weit, beim US-Außenministerium einen Ersatz erbeten zu haben. Doch in Washington hält man vorerst an Guaidó fest – Grund genug dafür, dass der Politiker weiterhin eine Rolle in der venezolanischen Opposition spielt.
https://www.jungewelt.de/artikel/379263.venezuela-im-hintertreffen.html