Der Devisenmarkt in Kuba: die Spitze des Eisbergs (II und Schluss)
https://de.granma.cu/cuba/2022-10-18/der-devisenmarkt-in-kuba-die-spitze-des-eisbergs-ii-und-schluss
Die Blockadepolitik gegen die Insel schränkt die Einfuhr von Devisen in das Land ein
Autor: Yaditza del Sol González |
Eine Situation des makroökonomischen Ungleichgewichts, in der auch die Inflation zunimmt, hat sehr ernste Folgen für die Wirtschaft.
Eine davon, so Michel Carmona Segui, Spezialist in der Direktion für makroökonomische Politik der kubanischen Zentralbank (BCC), gegenüber Granma, ist der Rückgang der Kaufkraft des Einkommens der Bevölkerung, aber es gibt auch eine negative Umverteilung des Einkommens der Wirtschaft: Die Produzenten erhöhen die Preise, um sich vor der Inflation zu schützen, und – wer die Möglichkeit hat – erwirbt Devisen, um sich vor der Abwertung des informellen Wechselkurses zu schützen.
In diesem Szenario seien vor allem die Lohnempfänger – hauptsächlich im staatlichen Sektor – und die Rentner betroffen, deren Einkommen in der Regel festgelegt sind oder hinter der Inflation zurückbleiben.
„Daher wird jede Wirtschaftspolitik, die das gegenwärtige Szenario des monetären Ungleichgewichts verschlimmert, negative Auswirkungen auf die schwächsten Sektoren haben“, sagte er.
Andererseits führten die Dezentralisierungsmaßnahmen und die Gewährung einer größeren Autonomie für die staatlichen Unternehmen nicht zu den erwarteten produktiven Ergebnissen, da große Ungleichgewichte bestünden, die zur Folge hätten, dass man zu bestimmten Verwaltungskontrollen zurückkehre, sagte er.
„Wenn ein Land sich in der Lage mit einer nicht konvertierbaren Währung befindet, können zwei spezifische Situationen vorliegen: zu wenig oder zu viel Landeswährung oder eine Kombination aus beidem“, erläuteten Ian Pedro Carbonell Karell, Direktor für makroökonomische Politik, und Carlos Enrique González García, Spezialist in dieser Direktion, unserer Zeitung.
Sie wiesen darauf hin, dass in Kuba beides der Fall sei, und bei der Analyse dieser Realität käme man nicht umhin, die externen „Schläge“ zu erwähnen, die unsere Wirtschaft erhalten hat, vor allem die Verschärfung der Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade der Regierung der Vereinigten Staaten gegen unser Land und den Einfluss, den diese Zwangsmaßnahme nicht nur auf die Devisenknappheit hat, sondern auch auf die Unmöglichkeit, den Dollar bei internationalen Transaktionen zu verwenden.
„Hinzu kommen der erhebliche Rückgang der Überweisungen ins Land, die internationale Wirtschaftskrise, die COVID-19-Pandemie und die Lähmung grundlegender wirtschaftlicher Aktivitäten auf der Insel, wie etwa des Tourismus. Und natürlich müssen wir auch die Ineffizienzen und die Unfähigkeit unserer Wirtschaft, Deviseneinnahmen zu erzielen, berücksichtigen“, sagte er.
Sie erinnerten daran, dass neben dem Rückgang der Verfügbarkeit von Devisen in den letzten Jahren auch das Haushaltsdefizit gestiegen sei, was zu erheblichen Währungsproblemen geführt habe. „Diese Probleme bedeuten, dass mehr inländische Währung im Umlauf ist, was die Inkonvertibilität und den Inflationsdruck verschärft“, machten sie deutlich.
Dabei müsse man sich klarmachen, so Carbonell Karell, dass es sich bei dem Defizit um Geld handele, das ohne Produktionsunterstützung ausgegeben wird und die Wirtschaft belastet. In der Praxis bedeute dies also, dass es immer mehr Geld für immer weniger Produkte gibt.
„Und obwohl die soziale Aufgabe des Staatshaushalts nicht zu leugnen ist, gibt es im Haushaltsbereich Effizienzreserven, die zur Reduzierung des Defizits genutzt werden müssen. In diesem Sinne müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den staatlichen Sektor zu verkleinern und die Effizienz und Effektivität der öffentlichen Ausgaben zu erhöhen“, sagte er.
DER KUBANISCHE PESO ALS ZENTRUM DES FINANZSYSTEMS
Der Devisenmarkt ist eines der wichtigsten Elemente für die Wiederherstellung der Konvertierbarkeit der Landeswährung. Ihr Fehlen, so der Direktor für makroökonomische Politik des BCC, sei ein großes Hindernis für die volle Nutzung der Produktionskapazitäten, was das Wirtschaftswachstum des Landes begrenze.
Darüber hinaus habe die Nichtkonvertierbarkeit dazu geführt, dass nach alternativen Möglichkeiten des Zugangs zu Fremdwährungen gesucht werde, wie z.B. die Dollarisierung der Wirtschaft, die nach Ansicht von Alejandro Gil Fernández, stellvertretender Ministerpräsident und Leiter des Ressorts Wirtschaft und Planung, eingeschränkt werden müsse, da sie dem Ziel der Stärkung der Kaufkraft der Landeswährung zuwiderlaufe.
In diesem Zusammenhang erklärte Gil Fernández auf der letzten Arbeitssitzung der Ausschüsse der Nationalversammlung im Mai letzten Jahres, dass die Existenz des Marktes für frei konvertierbare Währungen (MLC) zwar eine Maßnahme war, die ergriffen worden sei, um der Situation der Verschärfung der US-Wirtschaftsblockade, des Devisendefizits und der Lähmung des Tourismus während der COVID-19-Pandemie zu begegnen, dass sie aber nicht das Konzept des kubanischen Wirtschaftsmodells darstelle.
„Unser Entwurf sieht den kubanischen Peso als Zentrum des Finanzsystems vor, ein inklusives Preissystem für alle Wirtschaftsakteure und ein funktionierender Markt mit einem gewissen Niveau an Groß- und Einzelhandelsangeboten. Es gibt jedoch eine große Kluft zwischen dem Entwurf unseres Modells und der aktuellen Realität“, sagte er.
„Obwohl es nun möglich war, die Geschäfte auf dem offiziellen Devisenmarkt wieder aufzunehmen – mit eindeutigen Beschränkungen hinsichtlich der Verfügbarkeit von Devisen, der geografischen Reichweite und des Zugangs zum Erwerb, der auf natürliche Personen beschränkt ist -, wird damit das eigentliche Ziel der Konvertibilität nicht erreicht.
Dabei muss man bedenken, dass das ordnungsgemäße Funktionieren des Devisenmarktes die Möglichkeit voraussetzt, die Landeswährung durch einen fundierten Wechselkurs mit Devisen zu verbinden – d. h., dass Einzelpersonen und Unternehmen mit der Landeswährung rechtzeitig Zugang zu Devisen haben und umgekehrt – und dass sich dies auch in der Praxis in den Beziehungen zwischen staatlichen und privaten Wirtschaftsakteuren widerspiegelt“, so Carbonell Karell.
In dieser Phase des Prozesses, die einen weiteren Schritt zur Erreichung des Endziels darstellt, dient der Devisenmarkt als Schnittstelle zur Erreichung zweier spezifischer Ziele: die Formalisierung der Ströme, die heute über informelle Kanäle fließen, und gleichzeitig die Stabilisierung des Wechselkurses, dessen Anstieg nicht gestoppt wurde, so Carlos Enrique González García.
„Wir sprechen über einen Devisenmarkt, der sich in der Anfangsphase seiner Entwicklung befindet, gerade einmal zwei Monate alt ist, und es ist klar, dass diese Ziele noch nicht erreicht wurden, aber das bedeutet nicht, dass es nicht möglich ist“, sagte er.
“Was mit dem Devisenmarkt angestrebt wird,ist, dass dieses „Stück“ zwischen der Landeswährung und der Fremdwährung positioniert wird, um zu verhindern, dass in der kubanischen Wirtschaft dollarisierte Wege entstehen, d.h. dass alle Transaktionen über die Landeswährung abgewickelt werden und dass diese in allen Kreisläufen akzeptiert wird.“
MAKROÖKONOMISCHE STABILITÄT
„Wie bereits erläutert, handelt es sich bei der Währungsinkonvertibilität um eine Situation des Ungleichgewichts, in der die Wirtschaftsakteure ihren Devisenbedarf nicht in vollem Umfang mit der ihnen zur Verfügung stehenden Landeswährung zum aktuellen offiziellen Wechselkurs decken können, was auch einen Anpassungsprozess innerhalb der Wirtschaft impliziert“, sagte Michel Carmona Segui.
„Dies ist in der Regel die schlechteste Option, da sie ungeordnet abläuft und die Wirtschaft in eine Situation führt, die den Entwicklungszielen zuwiderläuft. Ein Beispiel dafür ist das derzeitige Szenario der Dollarisierung“, warnte er.
„Die andere Option ist eine geordnete und kohärente Intervention, bei der die dem Staat als Regulierungsbehörde zur Verfügung stehenden wirtschaftspolitischen Instrumente eingesetzt werden, um die Ursachen des Ungleichgewichts zu korrigieren, die vor allem mit der umfangreichen Ausgabe von Landeswährung zur Stützung des Haushaltsdefizits zusammenhängen.
Dazu gehören auch Anpassungen in den Sektoren, die hohe Ausgaben für den Staatshaushalt verursachen und nicht effizient sind, und die Schaffung eines Umfelds, in dem Anreize geschaffen werden, so dass die Ressourcen denjenigen Aktivitäten und Sektoren zugewiesen werden, die wirklich produktiv sind, die Deviseneinnahmen generieren und das Wohlergehen der Arbeiter verbessern“, sagte der Experte.
Es sei allgemein bekannt, dass in der Wirtschaft fast alles irgendwie mit dem Produktionsniveau und der Arbeitsproduktivität zusammenhängt. „Eine hohe Produktion und Produktivität ermöglicht es, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, und macht die nationale Wirtschaft weniger anfällig für das Auf und Ab der internationalen Wirtschaft, was zu einer Abwertung des Wechselkurses und im schlimmsten Fall zu Unkonvertierbarkeit führen kann.“
Kurz gesagt ist die makroökonomische Stabilität eine wesentliche Voraussetzung für das Wachstum, und dieses Wachstum ermöglicht die Ausweitung der Produktionskapazitäten. Das ermöglicht die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und mit dieser Entwicklung geht die Möglichkeit einher, den Sozialismus aufzubauen.
Der Weg ist abgesteckt, aber die schwierigste Aufgabe liegt noch vor uns: die Umsetzung der strukturellen Veränderungen, die uns zur vollen Konvertibilität der nationalen Währung führen werden.