USA in Sorge
Noch ist Gustavo Petro nicht Präsident von Kolumbien. Doch bereits jetzt, nur wenige Tage nach seinem Erfolg in der Stichwahl am Sonntag, setzt der Linkspolitiker Ausrufezeichen. Am Mittwoch (Ortszeit) erklärte Petro auf Twitter, er habe sich mit der Regierung des Nachbarlandes Venezuela ausgetauscht. In dem Gespräch sei insbesondere die vollständige Öffnung der Grenze thematisiert worden, wodurch die Wiederherstellung des Menschenrechts garantiert werden solle. Wenige Stunden später bestätigte der venezolanische Staatschef Nicolás Maduro – ebenfalls per Twitter – das Telefonat und gratulierte Petro »im Namen des venezolanischen Volkes« zu seinem Wahlerfolg.
Was wie eine Routineübung klingt, ist keineswegs selbstverständlich: Die noch amtierende kolumbianische Rechtsregierung steht seit Jahren an der Spitze der US-geführten Versuche, das Nachbarland zu destabilisieren. So war Nochpräsident Iván Duque einer der ersten Staatschefs, die 2019 den Oppositionspolitiker Juan Guaidó als »Übergangspräsidenten« Venezuelas anerkannten, was zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen führte. Auch bewaffnete Umsturzversuche gingen von kolumbianischem Staatsgebiet aus.
Das Telefonat vom Mittwoch zeigt, dass Petro es mit seinem Wahlkampfversprechen, die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland wiederaufzunehmen, ernst meint. Das ist auch für Caracas von Relevanz, das am Montag, nur einen Tag nach der Stichwahl in Kolumbien, in einem Kommuniqué erklärte, solche trügen bei »zum gemeinsamen Wohl der Nation, die wir teilen und die von zwei souveränen Republiken geschützt wird«.
In einem ersten Schritt soll der Transit von Waren und Personen über die mehr als 2.000 Kilometer lange kolumbianisch-venezolanische Grenze wieder ermöglicht werden. Vor fast sieben Jahren hatte Duque alle Grenzübergänge schließen lassen – nur nahe der kolumbianischen Stadt Cúcuta ist der Übergang von Fußgängern gestattet. Im Wahlkampf hatte Petro erklärt, die Hauptstadt des nordöstlichen Departamento Norte de Santander könne »nicht gedeihen« und »ihre Probleme nicht überwinden, ohne dass die Grenze geöffnet wird«. Schätzungen der Colombo-Venezolanischen Handelskammer (CCV) gehen davon aus, dass die Öffnung zu einem Anstieg des Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Wert von 800 Millionen bis 1,2 Milliarden US-Dollar im Jahr führen wird.
Für Washington bedeutet die zu erwartende Annäherung zwischen Bogotá und Caracas einen Rückschlag bei dem Versuch, die Staaten der Region in den eigenen Konfrontationskurs zu binden. Das kam nicht unerwartet. Einerseits erlebt Lateinamerika gerade eine Welle an Wahlsiegen progressiver Regierungen. Andererseits war spätestens mit Petros Triumph in der ersten Runde der Präsidentenwahl am 29. Mai klar, dass der Linkspolitiker durchaus Chancen haben würde, die erste linke Regierung der Geschichte Kolumbiens anzuführen – ein Land, das bislang der engste Verbündete Washingtons in Südamerika war.
Seit dem Jahr 2000 pumpten die USA rund 13 Milliarden US-Dollar gen Bogotá, der Großteil des Geldes ging in die »Sicherheitspolitik«. Vor allem über den sogenannten Plan Colombia, der angeblich der Bekämpfung des Drogenhandels dienen sollte, wurde Kolumbien extrem militarisiert. Der »War on Drugs« bildete entsprechend auch die Rechtfertigung für die Anwesenheit von US-Soldaten im Land, ganze acht Militärbasen unterhält Washington in Kolumbien.
Kein Wunder also, dass Washington versuchte, sich auf einen Wahlsieg Petros vorzubereiten. Am 26. Mai, nur drei Tage vor der ersten Runde der Präsidentenwahl, ernannten die USA Kolumbien per Gesetz zum »Verbündeten außerhalb der NATO«. Weltweit gibt es 17 Staaten mit diesem Status, der vereinfachte Waffenlieferungen sowie die Durchführung gemeinsamer Manöver der jeweiligen Armee mit US-Streitkräften ermöglicht. Hinzu kommt: Bereits seit 2019 ist Kolumbien als einziges Land in Lateinamerika außerkontinentaler Verbündeter der westlichen Militärallianz.
Auch wenn Petro, der am 7. August in sein Amt eingeführt werden soll, von Washington mehr Respekt fordert, ist keineswegs ausgemacht, wohin die Reise geht. Noch 2013 hatte der Linkspolitiker auf Twitter erklärt: »NATO bedeutet Nordatlantikallianz. Wir kommen von der Karibik und dem Pazifik und sind sehr, sehr lateinamerikanisch.« Heute zeigt er sich jedoch deutlich gemäßigter. In seiner Rede nach dem Wahlsieg am Sonntag beschränkte er sich darauf, die USA zum gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel aufzurufen. Fraglich, ob sich Washington damit zufriedengeben wird. Das deutet auch eine Mitteilung des Weißen Hauses an, das nach einem Telefonat von Petro mit US-Präsident Joseph Biden am Dienstag erklärte, man habe auch über die Themen Sicherheit und Bekämpfung des Drogenhandels gesprochen.