Israels Paradoxien oder das Vergessen der Hölle
https://de.granma.cu/mundo/2024-01-15/israels-paradoxien-oder-das-vergessen-der-holle
Es gibt nichts, mit dem Israel den völkermörderischen Charakter seiner Aktionen im Gazastreifen ignorieren oder rechtfertigen kann
Autor: Antonio Rodríguez Salvador |
„Geschichte geschieht zweimal: das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. “
Dies ist ein bekannter Satz: Er steht am Anfang von Karl Marx‘ Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte und wurde im Laufe der Jahre von vielen Autoren wiederholt. Oft wiederholt sich die Geschichte jedoch nicht nur als Farce, sondern als neue Tragödie mit ebenso schlimmen Folgen.
Im Reich der Paradoxien überrascht uns die Geschichte immer wieder. In den 1940er Jahren wurden die Juden zu Parias gemacht. Die Nazis begingen einen entsetzlichen Völkermord an ihnen: mehr als sechs Millionen wurden in Vernichtungslagern ermordet. Jetzt aber ist es der Staat Israel, der sich selbst zum Paria macht, indem er einen entsetzlichen Völkermord am palästinensischen Volk begeht.
Die Welt sieht entsetzt zu, wie die Zivilbevölkerung des Gazastreifens erbarmungslos bombardiert wird und Tausende von Menschen getötet werden, 70 % davon Frauen und Kinder. Krankenhäuser, Schulen, Geschäfte, Krankenwagen werden bombardiert… „Gaza ist zu einem Ort des Todes und der Verzweiflung geworden“, sagte Martin Griffiths, UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten. Es gibt kein Wasser, keinen Schulunterricht, nichts als die schrecklichen Geräusche des Krieges, Tag für Tag“.
Vor diesem Hintergrund hat die südafrikanische Regierung beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag, dem wichtigsten Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, ein Verfahren gegen Israel eingeleitet und vorgebracht, der Staat verstoße in schwerwiegender Weise gegen die Konvention zur Verhütung des Völkermordes (Convention on the Prevention of the Crime of Genocide).
In der Klage heißt es, dass Israels Aktionen speziell darauf abzielten, die Bevölkerung des Gazastreifens als Teil der größeren nationalen und ethnischen Gruppe der Palästinenser zu vernichten, und dass derartige Gräueltaten vom Staat selbst gefördert und angeordnet würden.
Die Regierung von Benjamin Netanjahu hat auf diese Behauptung mit Empörung reagiert und sich selbst als Opfer dargestellt. Sie behauptet, die südafrikanische Initiative stelle eine „Blutverleumdung“ dar – eine Anspielung auf die verleumderischen Anschuldigungen gegen Juden im Mittelalter, als sie fälschlicherweise beschuldigt wurden, das Blut christlicher Kinder für Rituale der schwarzen Magie zu verwenden.
Es ist paradox, dass Israel andere des Antisemitismus beschuldigt, da doch die Palästinenser ebenfalls ein semitisches Volk sind und von ihnen massakriert werden. Ebenso paradox sind die Bestrebungen, die Bevölkerung des Gazastreifens in den Kongo umzusiedeln, die „eindeutig auf eine ethnische Säuberung abzielen“, während die zionistische Bewegung kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Vorschlag ablehnte, einen israelischen Staat auf afrikanischem Boden zu gründen.
Aber es gibt noch mehr Paradoxe. Der 1948 neu gegründete Staat Israel gehörte zu den ersten Befürwortern der Völkermordkonvention und war einer der ersten, der sie 1949 unterzeichnete und 1950 ratifizierte. Es war auch ein polnischer Jurist jüdischer Herkunft, der als erster den Begriff „Völkermord“ verwendete und definierte: Raphael Lemkin.
Daher kann Israel den völkermörderischen Charakter seiner Handlungen im Gazastreifen keinesfalls ignorieren oder rechtfertigen, denn laut der Konvention umfasst dieser die Tötung oder die schwere Körperverletzung eines Teils der Gruppe sowie die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen, die auf die physische Vernichtung der Gruppe abzielen.
In der Konvention heißt es, dass es nicht notwendig ist, die Gruppe vollständig auszurotten, um als Völkermord zu gelten; die Absicht, dies zu tun, reicht aus.
Bezeichnenderweise haben hochrangige israelische Regierungsvertreter, darunter auch Premierminister Benjamin Netanjahu, die Palästinenser wiederholt als „menschliche Tiere“ bezeichnet und den Wunsch geäußert, den Gazastreifen niederzuwalzen.
Im vergangenen November gab der israelische Minister Amichai Eliyahu zu, dass der Abwurf einer Atombombe auf den Gazastreifen „eine der Möglichkeiten“ sei, die seine Regierung in Betracht ziehe.
Verbrechen gegen das palästinensische Volk sind nicht neu; sie reichen weit zurück. Im Jahr 1979 besuchte der bekannte kubanische Dichter Luis Rogelio Nogueras das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz, in dem eine Million Juden ermordet wurden, und diese Erfahrung veranlasste ihn zu einem Gedicht, das heute sehr aktuell ist:
„Ich denke an euch, Juden von Jerusalem und Jericho, / ich denke an euch, Männer des Landes Zion, / die betäubt, nackt, verängstigt / in den Gaskammern die Hathikvah sangen; / ich denke an euch und eure lange und schmerzhafte Reise / von den Hügeln Judäas / in die Konzentrationslager des Dritten Reiches; / ich denke an euch / und ich kann nicht verstehen, / wie ihr den Atem der Hölle so schnell vergessen konntet“.