Damit wir uns als Nation nicht selbst zerstören
„Dieses Land kann sich selbst zerstören. Diese Revolution kann sich selbst zerstören. Die Imperialisten können es nicht zerstören, aber wir können es zerstören, und es wäre unsere Schuld! “ So unverblümt warnte Fidel, der immer einen Schritt voraus war, im Jahr 2005. Selten hatte er so deutlich über die Umkehrbarkeit des Sozialismus und des kubanischen revolutionären Prozesses gesprochen.
Er hatte noch frisch das vor Augen, was im so genannten „realen Sozialismus“ geschehen war: interne Fehler, die Abkopplung der Partei von den Massen, ein schlechter Umgang mit der Geschichte, was dazu führte, dass die jüngeren Generationen sich für die Ideologie des Kapitalismus erwärmten, die ihnen als die moderne, die zeitgemäße, die beste verkauft wurde. Die Folgen waren unabsehbar: Menschen, die Hochschulabschlüsse, Häuser, Arbeitsplätze verloren, Menschen, die den Hass kennenlernten, nachdem sie selbst die Berliner Mauer niedergerissen hatten.
Die Revolution darf nicht einfach nur Geschichte sein. An dem Tag, an dem dies geschieht, werden wir am Rande der Selbstzerstörung stehen. Die Verbindung der vielen Jahre des revolutionären Epos, die bereits gelebt wurden, mit den heutigen Generationen von Kubanern ist eine der größten Herausforderungen für das Überleben des Prozesses, der Kuba und auch darüber hinaus am meisten verändert hat.
Das revolutionäre Epos kann nicht nur in Büchern stehen. Unser bester Beitrag zu dem Prozess, den wir geerbt haben, besteht darin, ihn Tag für Tag zu leben und zu verstehen, dass unser tägliches Handeln Teil derselben Geschichte ist, die wir in der Gegenwart schreiben und die noch nicht abgeschlossen ist.
Revolutionen bringen Konsens mit sich, der unsere muss der der Rebellen sein, die sich einem Kuba entgegenstellten, das nichts mehr geben konnte, und er muss auch der von uns sein, von den Kubanern, die heute weiter ein Land aufbauen, ohne Zugeständnisse zu machen, was seine Essenz angeht, im Einklang mit den aktuellen Codes und der sozialen Dynamik der Gegenwart. Und er muss ein aktiver Teil eines Prozesses sein, der sich ständig erneuern muss, der sich ändern muss, wann immer es nötig ist, und der die Beteiligung des Volkes braucht.
Deshalb ist es inakzeptabel, dass einige, im Namen der Revolution eine falsche Linie ziehen. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit eines Prozesses, der aus dem Volk heraus entstanden ist, aus dem Vertrauen des Volkes in seinen Führer, und in das, was ihn heute aufrechterhält. Ein solcher Prozess kann es nicht zulassen, dass diejenigen, die sich selbst als bewusste Revolutionäre bezeichnen, sich falsch verhalten, sich korrumpieren, sich von den Positionen des Volkes entfernen und persönliche Interessen verfolgen, wenn doch der Sozialismus ein kollektives Werk ist. Die Einheit, die sie so sehr zu brechen versucht haben, ist immer noch lebenswichtig, symbolisch und in der Realität, in einer Zeit, in der sie zerbrechlicher denn je erscheint.
Sehr gefährlich sind auch die Spaltungen innerhalb der Gesellschaft. Die verbissene Verteidigung bestimmter Positionen, das Fehlen von Ethik, die Sprache des Hasses, den Abzug auf einen von uns gerichtet… Haltungen, die in den digitalen sozialen Netzwerken in Mode sind und die in der Gesellschaft schlummern..
Uneinigkeit ist so gefährlich, dass sie Unabhängigkeitskriege zum Scheitern brachte, und jedes Mal, wenn wir in menschliches Elend, Egoismus und Geltungsbedürfnis verfielen, waren diese größer als der Wunsch, zu diesem kollektiven Projekt eines Landes beizutragen, und wir sind gescheitert. Dies ist genau die Art und Weise, wie Menschen Revolutionen zum Einsturz bringen können.
Unser Sozialismus wurde uns von niemandem aufgezwungen, er ist typisch kubanisch, er ist das Ergebnis der endogenen Entwicklung des Bewusstseins unseres Landes, und wir haben die Pflicht, mehr darüber zu sprechen, darüber zu theoretisieren und ihn auch in die revolutionäre Praxis umzusetzen, ohne Angst zu haben, das Wort zu benutzen. Wir müssen zeigen, dass unsere Eltern und Großeltern nicht falsch lagen, als sie ihn als Lösung für die Probleme der Nation wählten.
Damit er unwiderruflich ist, wie in unserer Verfassung festgelegt, müssen wir diese Unumkehrbarkeit jeden Tag aufbauen und offen darüber sprechen, wie wir zum Sozialismus gekommen sind, warum wir dieser Idee folgen, und über die Fehler, die zu tödlichen Wunden für ein System werden, das zwar nicht perfekt, aber gerechter als andere ist. Wir müssen auch verstehen, warum unser Sozialismus weder weich sein noch mit Sozialdemokratie und Liberalismus flirten darf. Wir müssen heute mehr denn je eine Kultur des Widerstands schaffen, die weiterhin die Werte des Anti-Konsumismus, der Essenz und des Seins gegenüber dem Haben privilegiert.
Nicht von ungefähr kam Fidel an jenem 17. November zur Universität, um über ein so sensibles und transzendentales Thema zu sprechen. Darin zeigt sich ein wichtiger Teil des Wesens dieses revolutionären Prozesses.
Es wird für meine Generation sehr schwierig sein, sich an die Rede zu erinnern, sich an Fidel in Aktion zu erinnern, aber dieser Fidel kann kein Slogan sein, wir müssen ihn in die tägliche Praxis umsetzen und all das aus unseren Handlungsweisen verbannen, wovor er uns an diesem Tag gewarnt hat.
In der heutigen Zeit mag es schwieriger erscheinen, von der Unumkehrbarkeit der revolutionären Arbeit zu sprechen, aber diejenigen, die uns so weit gebracht haben, haben uns gewarnt: Es ist schwierig, dem Kapital die Stirn zu bieten, denen, die es gewohnt sind, mehr zu haben als andere. Es ist sehr schwierig, auf ein alternatives eigenes Modell zu setzen, aber dabei steht unser Leben als Land auf dem Spiel. Die größte Herausforderung besteht für die Mehrheit darin, die Revolution, ein menschliches Werk, das unvollkommen und verbesserungsfähig ist, weiter aufzubauen, zu lieben und an es zu glauben, wie steil und schwierig der Weg auch sein mag, damit wir uns als Nation nicht selbst zerstören.