Alle blicken auf Milei
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Wahlen in Argentinien: Ultrarechter Kandidat mit guten Chancen, in erster Runde Präsident zu werden
Von Florencia Beloso, Buenos Aires
Die meisten der veröffentlichten Umfragen deuten darauf hin, dass das Ergebnis bei den argentinischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an diesem Sonntag knapp ausfällt. Andere erwarten einen Sieg der »Libertären« und ihres Frontmanns Javier Milei. Der Führer von La Libertad Avanza hat sein ultrarechtes Image nach den Vorwahlen gefestigt. Heute ist er der stärkste Kandidat im Präsidentschaftsrennen. Es gibt fünf Kandidaten, von denen drei eine echte Chance haben, in die zweite Runde zu kommen. Doch das Unerwartete ist an der Tagesordnung.
Milei profitiert von einer weitverbreiteten Wut auf die politische Führung, die »Kaste«, wie Milei sie nennt, obwohl er mit Politikern derselben in Verbindung steht. Eine junge Wählerschaft, die von den traditionellen Parteien enttäuscht ist, will einen völligen Wandel. Auch weckt Mileis »Dollarisierungsplan« in einem bestimmten Teil der Bevölkerung Erwartungen, obwohl er selbst von den Wirtschaftswissenschaftlern im Umfeld des Kandidaten in Frage gestellt wird. Das gesellschaftliche Klima ist aufgeheizt. Die Wirtschaft schreibt rote Zahlen, und die Inflation lässt nicht nach. Ein großer Teil der ärmsten Bevölkerungsschichten, der vor vier Jahren für den Peronismus gestimmt hatte, könnte jetzt Milei wählen.
Wirtschaftsminister Sergio Massa, der Kandidat der Unión por la Patria, hat in den vergangenen Wochen alles auf eine Karte gesetzt. Er brachte ein Maßnahmenpaket auf den Weg, das unter anderem eine Abschaffung der Einkommenssteuer auf die Gehälter von mehr als 800.000 Arbeitnehmern vorsieht, und kündigte ein Abkommen mit China zur Aufstockung der Reserven der Zentralbank an. Der asiatische Riese ist einer der wichtigsten Partner Argentiniens. Versuche, den Preisanstieg einzudämmen, haben nicht funktioniert. Trotz dieser Situation ist Massa ein konkurrenzfähiger Kandidat.
Eine weitere Partei, die Chancen hat, in die zweite Runde einzuziehen, ist die rechte Formation Juntos por el Cambio. Ihre Kandidatin Patricia Bullrich, Sicherheitsministerin unter Expräsident Mauricio Macri, hat sich in der zweiten Präsidentschaftsdebatte besser geschlagen. Als Wahlkampfstrategie kündigte sie an, dass ihr Gegner bei den Vorwahlen, der derzeitige Regierungschef der Stadt Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta, im Falle ihres Sieges Stabschef werde, da er der »moderateste« Bewerber sei. Zwei weitere Kandidaten treten an diesem Sonntag an: Myriam Bregman von der Linken und der ehemalige Gouverneur von Córdoba, Juan Schiaretti, zwar nach eigenen Aussagen »Peronist«, aber ein erbitterter Gegner der gegenwärtigen Regierung.
Milei geht mit einer Anzeige seitens des amtierenden Präsidenten in die Wahlen. Alberto Fernández wirft ihm »öffentliche Einschüchterung« vor und beschuldigte ihn, einen Währungsrun zu provozieren. Milei hat den argentinischen Peso diskreditiert und als »Exkrement« bezeichnet. Dagegen erreichte der US-Dollar auf dem Schwarzmarkt diesen Oktober einen Wert von 1.000 Pesos. Die US-Währung kann in der Regel weder in Banken noch in zugelassenen Wechselstuben eingekauft werden und steht so nur auf illegalem Weg zu erhöhten Kursen als sogenannter blauer Dollar zur Verfügung.
Milei rückte sich auch in den Mittelpunkt, als er in den Vorwahldebatten seine Verharmlosung der Diktatur in Argentinien zwischen 1976 und 1983 wiederholte. Er stritt ab, dass während der Diktatur 30.000 Menschen verschwunden seien und es in diesen Jahren Krieg gegeben habe. Mit denselben Worten hatte sich der Völkermörder Emilio Massera beim Prozess gegen die Militärjunta 1985 verteidigt, der er angehört hatte.
Als Fazit dieser Wahlkampagne kann man sagen, dass Milei der Protagonist war. Er gab den anderen vor, was sie taten und sagten. Fest steht dabei, dass sich die argentinische Wählerschaft durch Mileis Kampagne nach rechts bewegt hat. Ungewissheit und das Gespenst einer weiteren Peso-Abwertung bestimmen das Vorfeld der Wahlen, die diesen Sonntag in einem ganz besonderen Jahr stattfinden: Argentinien feiert 40 Jahre ununterbrochene Demokratie.