»Wir wollen Druck auf den Gipfel ausüben«
Rodrigo Suñe ist Sprecher des Gipfels der Völker sowie Mitglied der brasilianischen Bewegung der Landarbeiter ohne Boden (MST) und der Internationalen Versammlung der Völker
cumbredelospueblos2023.com
Noch bis diesen Dienstag findet in Brüssel der »Gipfel der Völker« statt. Was erwarten Sie sich von der Konferenz?
Wir wollen zeigen, dass es die Völker sind, die die eigentlichen Protagonisten sein sollten. Auf unserem Gipfel können sich soziale Bewegungen und Organisationen austauschen. Organisationen aus Lateinamerika, der Karibik und Europa kommen miteinander ins Gespräch. Die Welt befindet sich in einer kritischen Situation. Diese erfordert es, über Strategien nachzudenken und zu diskutieren. Der Kapitalismus steckt in einer tiefen und strukturellen Krise, die politische, soziale, ökologische und wirtschaftliche Dimensionen hat. Veranstaltungen wie der Gipfel der Völker können dabei helfen, unseren Protagonismus zurückzuerlangen, um kollektiv Lösungen und Auswege für die Krisen zu finden.
In welcher Beziehung steht der Gipfel der Völker zu dem gleichzeitig stattfindenden offiziellen Spitzentreffen der Europäischen Union und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, der Celac?
Unsere Konferenz will vor allem den Völkern der Celac-Staaten eine Stimme geben, also den Ländern des globalen Südens. Das ist besonders angesichts einer EU notwendig, die sich völlig respektlos in die inneren Angelegenheiten mancher Staaten Lateinamerikas einmischt. Wir wollen dazu beitragen, Fragestellungen Gewicht zu verleihen, die auch für den offiziellen Gipfel von Bedeutung sein sollten.
Welche Fragestellungen sind das?
Beispielsweise die Friedensfrage, oder die, wie ein Ausweg aus der Umweltkatastrophe gefunden werden kann, wie die bilateralen Zwangsmaßnahmen zum Beispiel gegen Kuba oder Venezuela beendet werden können. Wir wollen Druck auf die Teilnehmer des EU-Celac-Gipfels ausüben, sich für diese Themen einzusetzen. Die Europäische Union agiert noch immer auf neokoloniale Weise. Ihre Beziehung zu Lateinamerika ist oftmals nicht von gegenseitigem Respekt geprägt. Vielmehr wird von den lateinamerikanischen und karibischen Staaten Unterwerfung gefordert. Wir hingegen setzen auf eine multipolare Weltordnung.
Wie hat sich diese neokoloniale Haltung der EU in bezug auf Lateinamerika und die Karibik vor dem Gipfeltreffen ausgedrückt?
Sie wurde bei verschiedenen Themen sichtbar. Ein konkretes Beispiel ist der Freihandelsvertrag mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Die EU versucht, bestimmte Bedingungen festzuschreiben – der brasilianische Präsident Lula hat sie Sanktionen genannt. In einer gleichberechtigten Beziehung dürfte das nicht passieren. Wir in Lateinamerika akzeptieren keine Vorschriften, die die Entwicklung in der Region hemmen. Wir wollen, dass unsere Souveränität und Selbstbestimmung anerkannt werden. Ein weiteres Beispiel sind die Sanktionen gegen Venezuela. Diese müssen als das benannt werden, was sie sind: kriminell. Wir haben ein großes Interesse daran, dass unsere Länder und unsere Völker gute Beziehungen zueinander haben. Aber diese müssen von gegenseitigem Respekt und Gleichberechtigung geprägt sein.
Sie haben den brasilianischen Präsidenten Lula zitiert. Vor dem EU-Celac-Gipfel scheint es, als hätten sich die Machtverhältnisse zwischen Europa und Lateinamerika verschoben. Die lateinamerikanischen Staaten lassen nicht mehr alles mit sich machen.
Das ist positiv. Selbstverständlich haben Treffen wie der EU-Celac-Gipfel ihre ganz eigenen Dynamiken. Allerdings hat Präsident Lula zuletzt immer wieder betont, dass sich Brasilien keinen Vereinbarungen oder Initiativen unterwerfen wird, die unseren Bedürfnissen zuwiderlaufen. Die Celac agiert in letzter Zeit wieder wie eine Einheit – und trotzdem die Eigenständigkeit ihrer Mitglieder respektierend. Sie tritt für die Interessen der Region ein. Diese Anstrengungen sind angesichts der Wirtschaftsinteressen des globalen Nordens in unserer Region sehr wichtig. Beispiele für den neuen Protagonismus des Südens sind auch der Vorschlag Lulas, im Krieg in der Ukraine zu vermitteln, oder die Ablehnung jeglicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Wir hoffen, dass der offizielle EU-Celac-Gipfel diese Positionen widerspiegelt.