Streit um Einfluss und Rohstoffe
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Keine Einigung bei Mercosur-Abkommen. 45 Milliarden Euro für Zurückdrängung Chinas
Von Frederic Schnatterer
Viel war im Vorfeld des Gipfeltreffens der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (CELAC) mit der EU über die künftigen gegenseitigen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen gesprochen worden. Die Rede war besonders von mehreren Freihandelsabkommen, die teilweise – wie im Fall der Übereinkunft Brüssels mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – kurz vor dem Abschluss stehen. Schließlich überwog jedoch der Konflikt um eine gemeinsame Abschlusserklärung mit der Frage der Positionierung zum Ukraine-Krieg in der Berichterstattung zum Gipfel, der am Montag und Dienstag in Brüssel stattfand.
Dass es zu keinem Durchbruch bei der Ratifizierung des Mercosur-Abkommens kommen würde, war bereits zuvor absehbar gewesen. Zu vehement hatten vor allem Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und sein argentinischer Amtskollege Alberto Fernández bei einem Treffen Anfang Juli klargemacht, dass sie den Vertrag in seiner jetzigen Form nicht akzeptieren würden. Seit 2019 steht lediglich die Ratifizierung des Abkommens aus. Frankreich und Österreich lehnten dies jedoch auf EU-Seite ab. Paris beispielsweise stört sich vor allem an möglichen Nachteilen für den europäischen Landwirtschaftssektor. Eine Zusatzerklärung sollte daher Abhilfe schaffen. Diese wird wiederum auch aufgrund »strikterer Umweltstandards« von Argentinien und Brasilien abgelehnt.
Beim Gipfel in Brüssel machte Lula klar, sein Land wolle »eine gerechte Handelsbeziehung«. Zudem erklärte Brasiliens Präsident: »Der Schutz der Umwelt kann keine Ausrede für Protektionismus sein« – ein deutlicher Seitenhieb auf die Positionen Frankreichs und Österreichs. In Brüssel unterbreitete die EU laut ihrem Außenbeauftragten Josep Borrell einen Vorschlag zu Umweltfragen, die Mercosur-Staaten antworteten mit einem Gegenvorschlag. Beide sollen nun die Grundlage für weitere Diskussionen über das Abkommen bilden. Vor allem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich auf der Pressekonferenz am Dienstag abend optimistisch und erklärte, sie hoffe auf eine Ratifizierung bis Ende des Jahres. Der Argentinier Fernández bremste die Hoffnung mit der Bemerkung, eine Einigung setze voraus, dass alle Beteiligten gewönnen und zufrieden seien.
In anderen Bereichen soll es schneller vorangehen: Am Montag verkündete die EU, in den kommenden fünf Jahren 45 Milliarden Euro in konkrete Projekte in Lateinamerika zu investieren. Mit dem Geld, das im Rahmen des Programms Global Gateway fließen soll, versucht Brüssel, den wachsenden Einfluss Chinas in Lateinamerika und der Karibik zu kontern. Die Volksrepublik investiert vor allem mit dem riesigen Infrastrukturprojekt »Belt and Road Initiative« Milliarden in die Region. Die Global-Gateway-Agenda zielt zu großen Teilen auf die Diversifizierung der Energiequellen der EU im Rahmen der sogenannten Energiewende. Sie steht im Einklang mit einer am 7. Juni von der Brüsseler Kommission veröffentlichten neuen Lateinamerikastrategie, die Europa Zugang zu Rohstoffen sichern soll.
Ebenfalls am Montag unterzeichneten Argentiniens Präsident Fernández und von der Leyen am Rande des Gipfels eine Absichtserklärung, gemeinsam erneuerbare Energien weiterzuentwickeln und »grünen« Wasserstoff herzustellen. Besonders im Fokus der EU auch hier Lithium und Kupfer, deren Abbau erst vor kurzem zu Massenprotesten in der nordargentinischen Provinz Jujuy geführt hatte. Im Gegenzug verpflichtet sich Brüssel, das südamerikanische Land beim Ausbau der Produktion sogenannter sauberer Energien zu unterstützen.
Ein ähnliches Abkommen wurde mit dem argentinischen Nachbarn Uruguay geschlossen. Mit Chile vereinbarte die EU eine Kooperation zur »Rohstoffwertschöpfungskette«. Auch hier im Fokus Brüssels: das für die Herstellung von Batterien und Akkus beispielsweise für Elektroautos zentrale Lithium. Die nordchilenische Atacama-Wüste gehört mit Teilen Boliviens und Argentiniens zum sogenannten Lithiumdreieck. Der Abbau des »weißen Goldes« geht mit verheerenden Umweltschäden einher, insbesondere benötigt er sehr viel Wasser.