»Endet die Philosophie der Ausplünderung und des Krieges!«
Am 14. Juni ist der 95. Geburtstag Ernesto »Ché« Guevaras. Auszug aus seiner Rede vor der UN-Generalversammlung am 11. Dezember 1964
imago images/Everett Collection
Ernesto »Che« Guevara (1928–1967). Das Foto wurde 1964 in New York aufgenommen
Ernesto »Che« Guevara: Kuba – ein freies Land auf dem amerikanischen Kontinent. Ansprache vor der Vollversammlung der UNO (11. Dezember 1964). Hier zitiert nach: www.nadir.org/nadir/initiativ/che_mahir/cheuno.htm
Von allen brennenden Problemen, die hier auf der Versammlung behandelt werden müssen, ist eines für uns von besonderer Bedeutung; seine Erörterung hier muss in einer Weise erfolgen, die für jeden von zweifelsfreier Eindeutigkeit sein muss, und dies betrifft die friedliche Koexistenz zwischen Staaten mit unterschiedlichen ökonomisch-sozialen Gesellschaftsordnungen. In diesem Bereich sind wir in der Welt ein gutes Stück vorangekommen, aber der Imperialismus – insbesondere der nordamerikanische – hat versucht, die Auffassung zu verbreiten, dass die friedliche Koexistenz ausschließlich eine Frage der großen Mächte sei. Wir erklären hier (…): Es kann keine friedliche Koexistenz geben ausschließlich zwischen den Mächtigen, wenn der Frieden auf der Welt gesichert werden soll. Die friedliche Koexistenz muss zwischen allen Staaten gelten, unabhängig von ihrer Größe, den historischen Beziehungen zwischen ihnen und den Problemen, die es zu einem bestimmten Zeitpunkt zwischen einigen von ihnen geben mag.
Heute wird die Art der friedlichen Koexistenz, die wir anstreben, in einer Fülle von Fällen nicht praktiziert. Das Königreich Kambodscha sah sich schlicht und einfach wegen seiner neutralen Haltung und wegen der Nichtunterwerfung unter die Machenschaften des nordamerikanischen Imperialismus allen möglichen hinterlistigen und brutalen Angriffen ausgesetzt, die von den Stützpunkten ausgingen, über die die Yankees in Südvietnam verfügen. Laos, ein geteiltes Land, war ebenfalls Ziel von imperialistischen Aggressionen aller Art; seine Bevölkerung wurde durch Luftangriffe massakriert, die in Genf unterzeichneten Vereinbarungen wurden gebrochen, und ein Teil des Territoriums ist ständig bedroht, hinterhältig von den imperialistischen Streitkräften angegriffen zu werden. Die Demokratische Republik Vietnam, die alle diese Spielarten der Aggression wie kaum ein anderes Volk der Erde kennt, sah ihre Grenzen mehr als einmal missachtet, sah, wie feindliche Bomber und Jagdflugzeuge ihre Einrichtungen angriffen, sah ihre Hoheitsgewässer durch nordamerikanische Kriegsschiffe missachtet, die ihre Marinestützpunkte angriffen. In diesen Tag schwebt über der DRV die Drohung der angriffslüsternen nordamerikanischen Krieger, dass der seit einigen Jahren gegen das südvietnamesische Volk entfesselte Krieg auf ihr Territorium und ihr Volk ausgedehnt wird. (…)
Als Marxisten vertreten wir die Meinung, dass die friedliche Koexistenz zwischen Staaten nicht die Koexistenz zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern, zwischen Unterdrückern und Unterdrückten umfasst. Es gibt ein auch durch die UN erklärtes Recht auf völlige Unabhängigkeit gegenüber allen Formen kolonialer Unterdrückung. Daher bekräftigen wir unsere Solidarität mit den heute noch kolonialisierten Völkern des portugiesisch genannten Guineas, Angolas und Mosambiks, die massakriert werden, weil sie ihre Freiheit verlangen. (…)
Ich möchte ganz besonders auf die schmerzlichen Ereignisse im Kongo eingehen – einzigartig in der Geschichte der modernen Welt; sie zeigen, wie das Recht der Völker mit absoluter Straflosigkeit und mit dem unverschämtesten Zynismus missachtet werden kann. Die unmittelbaren Motive für dieses Vorgehen sind die gewaltigen Reichtümer des Kongos, die die Imperialisten weiterhin kontrollieren wollen. Bei seiner Ansprache aus Anlass seines ersten Besuches bei den UN führte Compañero Fidel Castro aus, dass das gesamte Problem der friedlichen Koexistenz zwischen den Nationen sich reduziert auf das Problem der unrechtmäßigen Aneignung fremden Reichtums, und fuhr dann fort: »Endet die Philosophie des Ausplünderns, dann endet die Philosophie des Krieges.« Aber die Philosophie der Ausplünderung wurde nicht nur nicht beendet, sondern sie ist stärker denn je, und deshalb ermorden jene, die im Namen der Vereinten Nationen Lumumba getötet haben, heute im Namen der weißen Rasse Tausende von Kongolesen.
Wie ist es möglich, dass wir vergessen, in welcher Weise die Hoffnungen Patrice Lumumbas verraten wurden, die er in die Vereinten Nationen setzte? Wie ist es möglich, jene Tricks und Manöver zu vergessen, die der Besetzung dieses Landes durch UN-Truppen vorausgingen, unter deren Augen die Mörder dieses großen afrikanischen Patrioten ungestraft wirken konnten? (…)
Solange die ökonomisch abhängigen Länder sich nicht von den kapitalistischen Märkten befreien und in einem festen Bündnis mit den sozialistischen Ländern nicht andere Beziehungen zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten durchsetzen, solange wird es keine solide ökonomische Entwicklung geben; darüber hinaus wird es bei bestimmten Gelegenheiten Rückschritte geben, indem schwache Länder wieder unter die politische Herrschaft der Imperialisten und Kolonialisten fallen werden.