Wo sie sparen
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Notas de Cuba: Sieben Neymars und kein Absperrband
Von Ken Merten
Anfang März landen wir auf Kuba. Ich notiere mit. Die erste Unterkunft ist an der Sportuni. Wir kommen dort in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag an. Die Büste von José Martí ist so angestrahlt, dass es aussieht, als trage sie ein Dreieckstuch. Es gilt allgemeine Bedeckungspflicht für Mund und Nase. Mit Duolingos »Mascarilla« kommt man hier nicht weit. Es heißt »Nasobuco«.
Ventilatoren helfen nachts gegen Moskitos. Ich werde trotzdem gestochen, aber nicht wach, weil das distanzierte Surren des Rotors das quietschige Summen der Biester übertönt. Ich träume vom vermummten José Martí und werde munter, als es noch dunkel ist.
Es riecht nach Schwimmbad. Chlorwasser steht nicht nur für die Hände da, es wird auch auf die Fußmatten gespritzt, damit man die Sohlen desinfiziert. Wir treten unsere Füße ab, aber denken nicht, dass das etwas bringt.
Hunde hier sind stets klein. Kuba spart am Hund, nicht an Hunden. Sie laufen meistens miteinander umher. Vor dem Heim für Austauschstudierende liegt ein Hundeehepaar aneinandergekuschelt. Kriegen die noch Kinder? Er sieht zumindest schon recht alt aus.
Die Köchinnen in der Mensa tragen alle grüne Schlupfkasacks und Gummistiefel, die Frauen, die das Essen bringen, Servicekleider, geblümte schwarze Strumpfhosen und Pumps. Alle mit Haarnetzen. Wenn man sich ordentlich verabschiedet, sind sie am freundlichsten.
Beim Fußballspielen acht Oberkörperfreie gegen acht im Trikot vom PSG. Siebenmal Neymars Zehn, einmal Mbappés Sieben. Das ist der Torwart. Die Schiedsrichterin ist eine Schiedsrichterin und kein Schiedsrichter. Männliche Kinder quetschen sich durch den Zaun, um zuzugucken und stumm zu hoffen, eingewechselt zu werden. Aber sie tragen ja BVB-Dress. Und sie stellen sich auch an, denn beim Baseballspiel auf dem Feld daneben würden sie sicher mitmachen dürfen. Ich kenne die Regeln nicht, aber ich glaube, da kommt jeder dran, der will.
Auf den Straßen wird ausgiebig gehupt. Ein Motorrad schleppt ein Motorrad ab. Ein Motorrad befördert drei Personen an uns vorbei: die fahrende, die dahintersitzende und auf ihrem Arm eine eingewickelte, nur ein paar Monate alte. Die meisten Motorräder sind umgerüstet worden und laden vor der Fahrt an der Steckdose. Ein paar Fahrräder haben dafür Kettensägenmotoren bekommen.
Ein panzerlauter Lada und ein polnischer Fiat bringen die ganze Gruppe in die Altstadt. Wir haben uns dafür eine Taxiapp installiert. Wir treffen einen Deutschen, der hier wohnt.
Kuba spart an Absperrband. Niemand soll im Sozialismus von Flatterband davon abgehalten werden, in den Garten neben dem Kapitol und an die Blumen zu gehen. Das macht ein Polizist, der den Kindern mit seiner Trillerpfeife Bescheid stößt und sie verscheucht. Niemand meint es hier böse mit ihnen. Der Polizist hat einen Hundeblick, ist auch klein. Die Nasobuco trägt er nur am Kinn. Es tut ihm leid, dass er den Kindern nichts statt der Blumen anzubieten hat. Keine Süßigkeiten auf Tasche.
Es ist warm und windig: Der Föhn zwischen den riskant maroden Häuserschluchten mit den stabilisierenden Wäscheleinen schlägt mit trockenen Blättern zu. Auf dem Weg zum Malecón streicheln wir jede Kanone, an der wir vorbeikommen. Zwölfpfünder, die von den kolonialen Festungen in die Straßen getragen wurden, und da als Stempel Taxis – und je nachdem, was so ansteht, auch Yankeepanzer – von der Innenstadt abhalten sollen. Ich trete fast in eines dieser Löcher im Bürgersteig, in die kein Kind fällt, weil die, im Gegensatz zu mir, aufpassen, wo sie hintreten. Die Tunnel unter den Straßen sind miteinander verbunden, für die Verteidiger, falls wer kommt, das Land einzunehmen.
Wir verirren uns aktiv in eine Touristenbar, die Mojito heißt, und trinken einen Mojito. Viel zu stark. Wir haben ihn extra stark bestellt. Es läuft ein Video, das das Batista-Kuba zeigt. Der Deutsche von vor Ort erzählt uns von den schriftlichen Verträgen der Kellnerinnen hier im Lokal und dass es solche Verträge nicht gibt. Ich finde das erst mal unglaublich und glaube es dann ohne jeden Zweifel.
Am Malecón ist niemand, nur eine Familie. Enkelin und Großmutter spielen miteinander Ohrfeigen – es sieht schmerzhaft aus und lieb. Wir fahren Bus, auf dem steht, dass er dank einer Kooperation mit dem Volke Japans da ist. Darin ist es eng. Fremde Waden an den Schienbeinen. Eine alte Frau mit Britney Spears’ Gesicht auf der Brust. Britney libre. Ein alter Mann mit Boombox. Reggaeton. Daran werde ich mich gewöhnen, genauso wie an den Neid, den ich jetzt schon auf alle mit geregeltem Stuhlgang habe. Das Mittagessen rumort.
Ich mache einer Schwangeren Platz, die aus ihrem Haus gerannt gekommen ist, um noch den Bus zu erwischen. Sie setzt ihr gar nicht mal so kleines Kind dahin, geht in die Hocke und zieht ihm Schuhe an. Die Revolution hat Kindern verboten, barfuß herumzulaufen. In Kuba sind Kinder kleine Kings, sagt uns der Deutsche. »Ya comiste?« hat Fidel Castro immer die Kinder gefragt. »Hast du schon gegessen?« Ja, sagen sie und setzen sich. Kuba spart nicht am Kind.