Wie ist die wirtschaftliche Lage in Kuba im Jahre 2022, nach Pandemie und Währungsvereinheitlichung?
Angelika Becker und Dr. Edgar Göll 14.3.2022
Dieser Artikel beruht vor allem auf Artikeln in Granma und Cubadebate und Mesa Redonda mit Alejandro Gil Fernández, Minister für Wirtschaft und Planung, als Gast am 10.2.2022 und insbesondere auf dem Bericht über die Tagung des Ministerrats am 1.2.2022.
Nach Covid 19 ist natürlich nicht korrekt, auch wenn Kuba seine Grenzen vorsichtig seit dem 15. November 2021 wieder für den internationalen Tourismus geöffnet hat. Die neuen Varianten haben keinen Weg um Kuba herum genommen, und gewisse Einschränkungen des täglichen Lebens und vor allem hohe Kosten für die Bekämpfung der Epidemie belasten weiterhin. Nicht nur die Kuba-Reisenden berichten von langen Schlangen vor den Geschäften und dem geringen Warenangebot drinnen, selbst der ganz normale Alltagsbedarf an Lebensmitteln und Sanitätsbedarf kann schwer gedeckt werden. Und die Preissteigerungen, die hohe Inflation, machen schwer zu schaffen.
Nun ist die Inflation nicht auf Kuba beschränkt, weltweit sind durch die Pandemie Warenströme unterbrochen, Transportmittel knapp und teuer geworden. Auch bei uns ist die heimische Produktion durch fehlende Komponenten beeinträchtigt und eine Preisspirale in Gang gesetzt worden, auch schon vor dem kriegerischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und den neuen wilden Sanktionen, die auch auf uns selbst zurückschlagen und auch Kuba negativ betreffen (russische Touristen bleiben wg. Blockierung von Überflugrechten aus).
Für Kuba kommen natürlich einige weitere Komponenten hinzu.
- die mehr als 60 jährige Blockade der USA gegen Kuba mit unzähligen Schädigungen und Beeinträchtigungen für Bevölkerung, Wirtschaft und Politik sowie ihren weltweiten extraterritorialen Auswirkungen für Akteure, die mit Kuba kooperieren.
- der extreme Devisenmangel aufgrund des totalen Einbruchs des Tourismus und der hohen Kosten für die Bekämpfung der Pandemie, Überweisungen an kubanische Familien wurden weitgehend unmöglich gemacht, medizinische Dienstleistungen wurden diskreditiert. Das Sozialprodukt ging seit Ausbruch von Corona um 13 % zurück, mit Folgen für die Produktion (fehlende Betriebsmittel), den Verkehr und die Versorgung mit Lebensmitteln. Die Staatsverschuldung stieg auf 20 % des Sozialprodukts, Auslandsschulden konnten kaum bedient werden, wurden z.T. umgeschuldet oder erlassen.
- In dieser angespannten Situation erfolgte 2021 die lange geplante Umsetzung der wirtschaftlichen Neuordnung – Tarea Ordenamiento. Sie beinhaltet nicht nur eine Abschaffung der bisherigen Währungsdualität (Convertibler Peso/nationaler Peso), sondern auch eine neue Vergütungsordnung auf Basis eines Grundbedarfskorbes, eine Preisneuordnung (stärkere Ausrichtung an den Produktionskosten) und den Abbau von Subventionen.
- Hauptproblem der Inflation: ein Überhang von zahlungsfähiger Nachfrage steht einem viel zu geringen Angebot von Waren und Dienstleistungen gegenüber. Der Weg aus diesem Dilemma liegt in der Steigerung der nationalen Produktion und der Produktivität, der Stabilisierung der Exporte bei Verringerung der Importe mit ihren weltweit gestiegenen Marktpreisen. Entwicklung eines Schwarzmarktes für Devisen und Waren.
Das hört sich nun noch sehr abstrakt an, aber das Leben ist sehr viel bunter.
Grundsätzlich und offiziell ist jetzt der kubanische Peso das einzige Zahlungsmittel mit einem festen Wechselkurs zum Dollar (1:24). Importierte Güter (auch des täglichen Bedarfs) werden aber in Devisenläden verkauft, in denen nur mit einer Devisen-Bankkarte gezahlt werden kann, d.h. nur der Teil der Bevölkerung, der Zugang zu Devisen hat, kann dort einkaufen. Diese Devisenläden wurden eingerichtet, um die im Land vorhandenen Devisen einzusammeln, die sonst oft im (nahen) Ausland ausgegeben wurden. Aber inzwischen wird ein Teil der nationalen Produktion auch in Devisenläden nur gegen Devisen verkauft – das ist eine Option für die Industrie, ihrerseits direkt an Devisen zu kommen, um die Produktion für den nationalen Peso zu gewährleisten oder zu steigern.
Ein Großteil der kubanischen Bevölkerung hat jedoch keinen unmittelbaren Zugang zu Devisen (wie durch Tourismus, Familie im Ausland), und gegenwärtig kann man auch offiziell keine Devisen bei den Banken erwerben (der Staat hat einfach nicht genug davon). Daher hat sich ein Schwarzmarkt mit Aufkäufern und Wiederverkäufern ohne Wertzuwachs mit hohen Preisen entwickelt (Revendedores). Verständlich, dass Touristen überall gedrängt werden, mit Devisen zu zahlen, d.h. schwarz zu günstigen Wechselkursen (bis zu 1:100) zu tauschen, für Privatzimmer, Taxi, Restaurant… Dies betrifft zwar nur einen kleinen Marktanteil, der nicht mit der großen kubanischen Wirtschaft verbunden ist, aber auf diesem Weg entgehen dem Staat die so dringend benötigten Deviseneinnahmen – und es ist auch nicht legal.
Von außen, fremdfinanziert, wird dieser Prozess befeuert, indem mit Vermutungen und Erwartungen über diesen illegalen Markt die Tauschquoten hochgetrieben werden. Derartiges wurde auch in anderen Ländern schon praktiziert.
Leidtragend ist natürlich die kubanische Bevölkerung, die überhöhte und nicht gerechtfertigte Preise zahlen muss, mit ihrem Arbeitseinkommen kaum auskommen kann, ganz zu schweigen von Rentnern und Empfängern von Sozialleistungen. Nach offiziellen Angaben liegt die Inflation bei 70 %, andere Schätzungen liegen weitaus höher, je nachdem auf welchen Warenkorb man sich bezieht. Selbst Trinkwasser in Flaschen oder Kanistern ist Mangelware, Brot ist knapp, und die Schlangen vor vielen Läden sind je nach Angebot sehr lang. Im Straßenbild fallen inzwischen allerorten die Privathäuser auf, die in ihren Eingangsbereichen oder der Veranda Neue oder gebrauchte Waren anbieten. Das Spektrum reicht von Textilien, Schuhen und Sandalen, Schmuck und Kunsthandwerk, bis zu Haushaltsgeräten, Telefonen und Computerreparaturen und -dienstleistungen, sowie Produkten zu Devisenwährungen.
Was tut die Regierung, was ist Thema in der wissenschaftlichen Diskussion?
Ein ganz wichtiges Element ist die staatliche Garantie von Preisen für Grundlebensmittel und Dienstleistungen wie Strom, Brennstoffen, Internet … , um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Eine Steigerung der Einkommen würde die Preisspirale befeuern (Verschärfung des Verhältnisses Angebot und Nachfrage, die Einkommen schlagen bei den Kosten zu Buche). Eine Freigabe der Preise (mit der Vorstellung, die Preise pendeln sich allmählich ein) würde zu Lasten weiter Teile der Bevölkerung gehen, so lange der Mangel an Gütern nicht behoben werden kann.
Dies soll erreicht werden durch die Förderung der lang vernachlässigten Landwirtschaft auch mit ausländischen Mitteln und durch Stärkung der staatlichen Unternehmen, von denen etliche noch mit Verlusten arbeiten. Sie müssen wettbewerbsfähiger werden. In beiden Bereichen gibt es Programme zur strukturellen Entwicklung insbesondere durch Ausweitung der Autonomie bei den wirtschaftlichen Entscheidungen und Verbesserung der Strukturen der Kommerzialisierung und der Finanzierung von Investitionen.
Eine wesentliche Rolle wird dabei der lokalen nachhaltigen Entwicklung beigemessen, die überall von den politischen EntscheidungsträgerInnen propagiert und angeregt wird. So stehen den Kommunen 1% ihrer Haushaltsmittel zur Förderung entsprechender innovativer Projekte zur Verfügung. Die Nachfrage danach ist groß.
Hoffnungen werden auch auf die Stabilisierung und Ausweitung des privaten Sektors gesetzt, hier sind neue Möglichkeiten für Klein- und Mittelbetriebe entstanden. Im letzten Jahr haben rund 230.000 Personen neu die Arbeit, großteils im produktiven Bereich, aufgenommen – eine erhebliche Steigerung der Erwerbsquote. Und man wünscht sich natürlich ausländische Investitionen und technologische Zusammenarbeit. Auch an dem zentralen Problem, der Versorgung des produktiven Bereichs mit Betriebs- und Finanzmitteln muss weiterhin gearbeitet werden. Und das alles vor dem Hintergrund, die Errungenschaften der Revolution, das Bildungs- und Gesundheitswesen sowie die soziale Sicherung aller zu gewährleisten.
Große Potenziale werden weiterhin im Gesundheits- und Pharmabereich gesehen. Insbesondere die erfolgreiche Entwicklung, Produktion und erfolgreiche Anwendung der Impfstoffe und Medikamente gegen den Corona-Virus und seine Varianten können bei Zulassung in reichen Staaten zu einer guten Einnahmequelle werden. Allerdings sind die westlichen Großkonzerne nicht an ernsthafter und günstiger Konkurrenz interessiert, und auch die WHO hat noch immer keine Entscheidung getroffen. Hier sollten Solidaritätsgruppen gezielt aktiv werden.
Für das Jahr 2022 geht man von einem Wirtschaftswachstum von 4% aus, von einem niedrigen Niveau aus, und nur wenn keine negativen Entwicklungen eintreten (und nun bleiben die russischen Touristen aus). Für eine Freigabe der Devisenkurse – Teil der wissenschaftlichen Debatte – reichen die Devisen schlicht nicht aus. Große Sprünge sind in diesem Jahr also nicht zu erwarten, im Gegenteil müssen derzeit Kürzungsmaßnahmen – z.B. im Hochschulbereich durchgeführt.
Es versteht sich, dass die Unzufriedenheit der Bevölkerung groß ist, es sind erst Silberstreifen am Horizont sichtbar. Die Regierung setzt auf Transparenz in diesem ganzen Prozess, versucht durch Partizipation auf allen Ebenen produktive Reserven aufzuspüren, die Eigeninitiative in den Vierteln zur Verbesserung ihrer Situation mit staatlicher Unterstützung zu wecken und vor allem durch die gesellschaftliche Kontrolle von unten Korruption und illegale Machenschaften zu unterbinden.
Viele Revolutionäre in aller Welt sind besorgt über so manche aktuelle Maßnahme von Regierung und Partei. Sie werden um Vertrauen und Verständnis gebeten für manche aus der Not heraus geborene Maßnahmen, für die Alternativen gesucht werden, um das gerechte revolutionäre Werk fortsetzen zu können. Und um die Sachzwänge zu überwinden, die Handlungsspielräume zu erweitern und gewünschte Alternativen zu nutzen, bedarf es effektiverer Anstrengungen und Taten der Solidaritätsbewegungen weltweit.