Hungrige NATO
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In Lateinamerika wächst Sorge vor zunehmendem Einfluss von Militärbündnis in der Region. Evo Morales ruft zu Widerstand auf
Von Volker Hermsdorf
In Lateinamerika wächst die Sorge vor einem zunehmenden Einfluss der NATO. Im Januar 2014 war die Region von der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) zu einer »Zone des Friedens« erklärt worden. »Nachdem sich die NATO nach Osteuropa ausgedehnt hat, um Russland einzukreisen und die Europäische Union neben der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten, jW) und den USA einen entscheidenden Einfluss beim Staatsstreich in Bolivien im Jahr 2019 hatte, ist der wachsende Einfluss der NATO zwischen dem Karibischen Meer und dem Südatlantik offensichtlich«, warnte die argentinische Tageszeitung Página 12 am vergangenen Donnerstag. Das Bündnis sei bereits »auf dem britischen Stützpunkt Mount Pleasant auf den Malvinas (auch Falklandinseln genannt, jW) präsent, hat seit 2017 Kolumbien als Partner und seine Doktrin wurde kürzlich bei einer Schulung der bolivianischen Luftwaffe eingesetzt«, berichtete die Zeitung.
Página 12 begründete die Warnung mit einem ihr zugespielten Dokument, das Details über eine gemeinsame Einsatzübung unter dem Namen »Libertad« (Freiheit) in der Bolivianischen Hochschule der Luftwaffe und des Generalstabs in Sucre enthält. Dem Bericht zufolge fand die Übung, die keine realen Manöver, sondern theoretische Planspiele umfasste, Anfang 2021 statt. Dem als »streng geheim« eingestuften, 83 Seiten umfassenden Dokument zufolge sollten dabei Einsätze zur Bekämpfung des Drogenhandels im Grenzgebiet von Bolivien, Brasilien und Peru trainiert werden. »Die Wahrscheinlichkeit einer Konfrontation zwischen bewaffneten Gruppen und Regierungstruppen im letzten Quartal ist sehr hoch. Wenn radikale Anführer Anschläge verüben und von Drogenhändlerclans unterstützt werden, würde ein hochgefährlicher interner Konflikt in Bolivien entfacht, der die Nachbarländer mit hineinziehen würde«, wird ein hypothetisches Szenario beschrieben. Auf Seite 22 des Geheimdokuments käme die Doktrin der NATO klar zum Ausdruck, kommentierte Página 12 eine weitere Vorgabe, in der es heißt: »Angesichts des Ernstes der Lage appelliert Bolivien an die internationale Gemeinschaft. Die OAS reagiert mit Zustimmung der UNO mit der Bildung einer regionalen Eingreiftruppe zur Unterstützung von Bolivien, indem sie mit Brasilien und Peru eine regionale südamerikanische CJTF (Combined Joint Taskforce) einschließlich Luftwaffenunterstützung bildet.«
Einige Militärs, die an der theoretischen Übung in Sucre teilgenommen hatten, seien in den USA und Kolumbien ausgebildet worden, berichtete die Zeitung weiter. Das NATO-Partnerland ist der einzige lateinamerikanische Staat, der die Option zum Beitritt in die Organisation erhalten hat. Im Dezember 2021 unterzeichneten der kolumbianische Verteidigungsminister Diego Molano und der stellvertretende NATO-Generalsekretär Mircea Geoana ein weiteres Abkommen, das den Status des südamerikanischen Landes als »globaler Partner« zementieren und stärken soll.
Página 12 weist darauf hin, dass sich der Einflussbereich des Kriegsbündnisses schon längst nicht mehr auf den Nordatlantik beschränkt. Im Februar 2019 habe NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters bereits Pläne für eine weitere Expansion in Südamerika angekündigt. »Natürlich ist es eine Möglichkeit, die Option zu erwägen, dass auch andere lateinamerikanische Länder Partner werden, was eine Plattform, einen Rahmen für eine enge politische und praktische Zusammenarbeit bietet«, hatte Stoltenberg erklärt.
Solche Gelüste provozieren Widerstand. »Wir rufen zu einer internationalen Mobilisierung auf, um den Expansionismus der NATO und der USA zu stoppen«, zitierte das argentinische Onlineportal Urgente 24 vor einer Woche den ehemaligen bolivianischen Präsidenten und Vorsitzenden der Regierungspartei MAS, Evo Morales. Der Politiker forderte, dass »die Völker der Welt eine Kampagne starten sollten, um die NATO als den Hauptfeind der Menschheit anzuprangern, der das Leben, den Frieden und die Wirtschaft durch seine expansionistische, interventionistische und kriegstreiberische Politik bedroht«.