Martí und der Sozialismus in Kuba
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Am Jahrestag der Geburt eines der universellsten Kubaner der Geschichte, des Stolzes der Nation und unseres Kontinents, ist sein Werk nach wie vor von großer Bedeutung, gibt Anlass zu Debatten und ist eine Quelle vielfältiger Interpretationen
Autor: Karima Oliva Bello |
Mit den Armen der Erde /
Möchte ich mein Schicksal teilen: /
Der Bach der aus dem Gebirge fließt /
Erfreut mich mehr als das Meer.
José Martí
An einem weiteren Jahrestag der Geburt eines der universellsten Kubaner der Geschichte, des Stolzes der Nation und unseres Kontinents, ist sein Werk nach wie vor von großer Bedeutung, gibt Anlass zu Debatten und ist eine Quelle vielfältiger Interpretationen.
Es ist gut zu verstehen, dass wir immer noch über das Erbe von Martí diskutieren, denn Martí war seiner Zeit weit voraus. Wie Fernando Martínez Heredia sagen würde: „Martí findet keinen Zeitgenossen, bis Ho Chi Minh, Mao Tse Tung, Fidel Castro, Che Guevara erscheinen … Das sind seine Zeitgenossen, unvorstellbar, wie weit er voraus ist, und das ist eine enorme Kultur, die Kuba angesammelt hat“.
Es ist auch verständlich, dass wir weiterhin über Martí, den Apostel sprechen, weil wir uns immer noch auf dem Weg der Vertiefung der sozialistischen Demokratie in Kuba befinden (ein Weg, der nicht frei von bedeutenden Widersprüchen ist), und sein Projekt für unser Land weiterhin ein Wegweiser und eine authentische Quelle der Inspiration in dieser Richtung darstellt.
Wenn man den sozio-historischen Kontext analysiert, in dem Fidel Castro im April 1961 den sozialistischen Charakter der Revolution erklärte, wird deutlich, dass er die einzig mögliche Alternative verfolgte, um Martís Projekt eines unabhängigen Kuba „mit allen und zum Wohle aller“ zu verwirklichen.
Wie Pablo González Casanova, ein von uns geschätzter Mexikaner, der mit dem José-Martí-Orden ausgezeichnet wurde, betont: „Die gesamte revolutionäre Geschichte Kubas, durch sein Volk und seinen Führer und seine Führer, übernimmt das moralische, ideologische und politische Erbe, das revolutionäre Erbe von Martí, das als Ganzes betrachtet wird, da es sich als notwendig erweist, die Revolution und auch den Sozialismus zu machen, wenn man die moralischen und revolutionären Ziele erreichen möchte. Um Martís moralische Ziele zu verwirklichen, muss man, wenn man kohärent sein will, nicht nur die Revolution machen sondern auch den Sozialismus schaffen“.
Man kann das Gedankengut Martís nicht dem sozialistischen Weg entgegensetzen, den die Revolution nach ihrer Machtübernahme im Januar 1959 eingeschlagen hat, denn dann würde man zwei der strukturierenden Prinzipien von Martís umfangreichem Werk für die Freiheit Kubas ignorieren: erstens seine tiefe Identifikation mit den einfachen Schichten, aus der eine echte Sorge um soziale Gerechtigkeit spricht, und zweitens seine klare antiimperialistische Haltung, insbesondere seine Anprangerung der Absichten der Vereinigten Staaten, Lateinamerika zu dominieren, und seine ausdrückliche Bereitschaft, alles zu tun, um dies zu verhindern.
Während die Unabhängigkeitskämpfe den Grundstein für die Herausbildung eines Souveränitätsgefühls als einem der Eckpfeiler der nationalen Identität legten, schuf der Sozialismus (die Abschaffung der Klassengesellschaft und der Ausbeutung der Arbeitskraft) die Voraussetzungen für die Entwicklung des Gefühls der sozialen Gerechtigkeit, das die Vision der Nation auszeichnet.
Ohne die tiefgreifenden sozialen Veränderungen, die Frauen, Schwarzen und Armen erstmals einen Raum verschafften, hätten wir nie erfahren, wie es ist, gemeinsam in dieselbe Schule zu gehen. Wie hätten wir ohne den Sozialismus ein Kuba für alle bekommen können? (wobei „alle“ aus der Perspektive der sozialen Gerechtigkeit zu verstehen ist, d. h. unter Einbeziehung der historisch ausgebeuteten Sektoren) Wie hätten wir ohne den Sozialismus die nationale Souveränität konsolidiert? Der Sozialismus gab dem Projekt einer souveränen und gerechten Nation und den Subjektivierungsformen, die sich von da an bis heute entwickelt haben, eine konkrete, materielle und greifbare Grundlage.
Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Kommunismus Teil unserer revolutionären Vorstellungskraft, organisch verbunden mit dem Wunsch nach nationaler Befreiung wie er im Denken einiger der wichtigsten Führer dieser Zeit, wie Julio Antonio Mella zu finden war.
Nach 1959 veränderten die sozialistischen Umwälzungen radikal die gesamte Struktur der kubanischen Gesellschaft, die Arbeitsorganisation, die Dynamik der sozialen Aktivitäten und Beziehungen, die Wahrnehmung der Welt und des eigenen Platzes in ihr.
Die Kubaner neigen dazu, bestimmte effektive Rechte, die der Sozialismus garantiert, als selbstverständlich zu betrachten. Sie sind jedoch keine natürlichen Rechte, die auf ewig Bestand haben. Sie sind wichtige soziale Errungenschaften, deren universeller und unveräußerlicher Charakter nur erhalten bleibt, weil wir die Kontinuität des sozialistischen Übergangs verteidigt haben.
Gleichzeitig wurde der Marxismus in die beste Tradition des kubanischen sozialen Denkens integriert und diente als eine sehr wirkungsvolle Methode, um über unsere Realität und die Welt nachzudenken. Er ist in unserer Herangehensweise an die soziale Frage präsent, auch wenn dies nicht immer explizit deutlich gemacht wird. Das Arsenal an Wissen, das im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften in Kuba unter diesem Gesichtspunkt entstand, ist, zusammen mit der Einbeziehung anderer Perspektiven, von unschätzbarem Wert.
Schließlich ist der kubanische Sozialismus keine Neuauflage des sowjetischen Systems (das er mehr als drei Jahrzehnte lang überlebt hat), auch wenn er oft willkürlich als stalinistisch bezeichnet wird. Er wird bestimmt durch unsere geopolitische Lage, unsere Geschichte, das Denken unserer Helden und Märtyrer, die Arbeit unseres Volkes, seine Bedürfnisse, seine Beschwerden, seine Überzeugungen, seinen Glauben, seine Sehnsüchte und seine Wünsche. Er wurde durch das Denken und Wirken von Martí, Fidel und Che geprägt.
Die Herausbildung der nationalen Identität ist ein vielschichtiger, komplexer und widersprüchlicher historischer Prozess. Die sozialistische Ideologie und der Marxismus gehören zu ihren konstituierenden Elementen, so dass Kuba für viele Kubaner auch Sozialismus bedeutet. Aber wir können nicht sagen, dass wir uns in Kuba alle der sozialistischen Sache verschrieben haben.
Fernando Martínez Heredia war der Meinung, dass wir uns nicht „mit oberflächlichen Dingen (…) zufrieden geben sollten, indem wir beispielsweise alle, die die Rückkehr des Kapitalismus in Kuba wollen, als Annexionisten bezeichnen. Eine Rückkehr zum Kapitalismus in Kuba ist nicht (unbedingt) Annexionismus, man kann national denken und bürgerlich sein“.
Er sagte weiter: „Wenn wir morgen ernsthafte Probleme untereinander haben, werden einige von denen, die auf diese Weise national fühlen (Souveränität und soziale Gerechtigkeit ohne Sozialismus), am Ende frustriert sein und sagen: „Ich wollte, dass Kuba eine gute Demokratie hat, dass mit dem Mehrparteiensystem immer das Beste herauskommt und die Verwaltung wunderbar ist, und schau dir das Unglück an, das uns wegen dem, woran ich geglaubt habe, widerfahren ist“.
Er fuhr fort: „Was müssen die Menschen tun, wenn sie historische Erfahrungen haben? Keine Irrtümer mehr begehen“.
Wenn man Kuba heute aus einer sozio-historischen und geopolitischen Perspektive analysiert, ist die Notwendigkeit, den Konsens zugunsten des Sozialismus zu aktualisieren, nicht aus der Luft gegriffen. Es wäre naiv zu glauben, dass wir die Souveränität der Nation und die soziale Gerechtigkeit aufrechterhalten können, ohne den sozialistischen Weg weiter zu verteidigen und aufzubauen. Artikel 4 unserer Verfassung trägt dieser Realität Rechnung, wenn er den unwiderruflichen Charakter des Sozialismus erklärt. Dieser Artikel ist eine Ressource zur Verteidigung der Interessen aller sozialen Sektoren, die die historischen Errungenschaften, von denen sie profitieren, bedroht sehen würden, wenn der Kapitalismus zurückkehrt.
Wir können nicht über das Imperium sprechen, ohne den Imperialismus zu erwähnen. Die USA sind nicht deshalb eine Bedrohung, weil sie als Land eine im Grunde perverse Eigenschaft haben, sie sind eine Bedrohung, solange sie imperialistisch sind. Faktisch sind sie nicht nur imperialistisch, sie sind das wichtigste Zentrum der politischen und militärischen Macht im kapitalistischen Weltsystem.
Der Kapitalismus ist heute die wahre Gefahr für alle armen Sektoren der Welt, insbesondere für die Völker des globalen Südens. Er ist der größte Frauenmörder, der größte Zerstörer der Natur, der größte Ausbeuter der Arbeiter, der größte Kolonialist und Rassist der Geschichte. Wir sollten uns fragen: Wäre Marti gegen den Feminizid, wäre er gegen die rücksichtslose Ausbeutung von Frauen und Männern auf der Grundlage der Gelegenheitsarbeit nach so vielen neoliberalen Paketen, wäre er gegen die massive Zerstörung der Umwelt, den Rassismus, den Neoliberalismus? Dann also bedeutet es wohl , wenn man im 21. Jahrhundert Martí folgt vielleicht auch, antikapitalistisch zu sein.
Martínez Heredia bekräftigte: „Der kubanische Sozialismus ist die Verwirklichung von Martis Postulat der nationalen Befreiung mit sozialer Gerechtigkeit in Amerika und der greifbare Beweis, dass man nur durch die Vereinigung beider siegreich sein, bestehen und vorankommen kann“.
Denn letztendlich können Ideale sehr hoch sein, aber die sozialen, politischen und historischen Bedingungen zeigen, dass auf dem Weg der kapitalistischen Wiederherstellung, sei es über den rechten oder den sozialdemokratischen Weg, die nationale Souveränität und die soziale Gerechtigkeit stark bedroht wären, und damit auch die Möglichkeiten, sich als Nation auszudrücken.