Am Rande des Abgrunds?
Die am Montag beendete Generalversammlung der Vereinten Nationen hat gezeigt, dass die Welt angesichts der sich verschärfenden Konflikte und sozialen Verwerfungen gefährlichen Zeiten entgegengeht. UN-Generalsekretär António Guterres hatte die Debatte mit der Feststellung eröffnet, „dass wir mit der größten Anhäufung von Krisen konfrontiert sind, darunter der Klimawandel, die globale Pandemie, die Bedrohung von Frieden und Menschenrechten und die zunehmende Spaltung, während es an Solidarität fehlt – gerade dann, wenn wir sie am meisten brauchen“. Die Beiträge mehrerer westlicher Staats- und Regierungschefs bestärkten die von Guterres zu Beginn ausgesprochene Warnung („Die Welt steht am Rande des Abgrunds“) eher, statt sie zu entkräften.
Nach fünf Debattentagen appellierte der Generalsekretär am Sonntag anlässlich des Internationalen Tages für die vollständige Beseitigung von Kernwaffen an die Vertreter der UN-Mitgliedsländer, Atomwaffen aus der Welt zu verbannen und „eine neue Ära des Dialogs, des Vertrauens und des Friedens zu beginnen“. Vor allem die Vereinigten Staaten, aber auch die Europäische Union sind von solchen Zielen allerdings weit entfernt. Obwohl US-Präsident Joseph Biden am 21. September vor der Versammlung beteuert hatte, seine Regierung strebe „keinen neuen Kalten Krieg an“ und wolle die Welt nicht wieder in Blöcke teilen, bewies er mit weiteren Ausführungen das Gegenteil. Biden verteidigte die expansiven wirtschaftlichen und militärischen Allianzen Washingtons in der ganzen Welt und erklärte, die USA behielten sich das Recht vor, „auf Angriffe gegen sie oder ihre Verbündeten auf jede Art und Weise zu reagieren, die sie für angemessen“ hielten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sicherte den USA am Freitag vor dem Gremium daraufhin die Unterstützung der Bundesrepublik und der EU bei politischen und ökonomischen Attacken auf Russland und China zu. Russlands Außenminister Sergej Lawrow reagierte am Samstag mit der Warnung vor Versuchen, die zentrale Rolle der Vereinten Nationen in der Weltpolitik zu untergraben. Moskau sei überzeugt davon, dass man Bedrohungen und Herausforderungen „nur durch konzertierte Anstrengungen unter strikter Einhaltung der allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts – in erster Linie der Ziele und Grundsätze der UN-Charta – wirksam begegnen kann“, sagte er. „Wir haben keine andere Möglichkeit, denn der breit angelegte Kooperationsmechanismus der Vereinten Nationen ist gerade jetzt besonders wichtig, wo die Zahl der Probleme international zunimmt, das Spektrum der grenzüberschreitenden Bedrohungen wächst und zahlreiche regionale Spannungsherde ein erhebliches Destabilisierungspotenzial haben“, erklärte Lawrow. Ähnlich hatte sich zuvor bereits auch Chinas Staatschef Xi Jinping geäußert.
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro erklärte aus lateinamerikanischer Sicht: „Wir müssen eine Welt ohne hegemoniale Unterdrückung schaffen, befreit von der wirtschaftlichen, finanziellen, militärischen und geopolitischen Vorherrschaft irgendeines Imperiums, derer, die jahrhundertelang die Welt mit dem alten Kolonialismus ausgebeutet haben.“ Eine „ungerechte und undemokratische internationale Ordnung“ sei „die Ursache für Ungleichheiten und Ausgrenzung, mit denen die große Mehrheit der Menschen heute konfrontiert ist und die durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie verschärft werden“, so Maduro.
Klimawandel, zunehmende Ungleichheit, die ungerechte Verteilung von Covid-19-Impfstoffen und die Forderung nach Beendigung der gegen Kuba verhängten US-Blockade waren auch vorrangige Themen der Reden weiterer Staats- und Regierungschefs der Region. Der seit dem 28. Juli amtierende peruanische Präsident Pedro Castillo verlangte unter anderem eine „stärkere internationale Zusammenarbeit, um den Zugang zu Impfungen zu gewährleisten“. Während einige Länder einen Überschuss an Impfdosen hätten, warteten andere noch darauf, ihre Bevölkerung impfen zu können, kritisierte Castillo. Sein argentinischer Amtskollege Alberto Fernández forderte deshalb, Impfstoffe „als globales öffentliches Gut“ zu betrachten. Er betonte, dass die Pandemie auch zu einer Menschenrechtskrise geführt und die Ungerechtigkeiten in der lateinamerikanischen Region und der übrigen Welt verschärft habe. Costa Ricas Präsident Carlos Alvarado wies darauf hin, dass nur zwei von zehn Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen gegen das Covid-19-Virus geimpft seien. Unterstützt von weiteren Rednern setzte Alvarado sich außerdem für „ein Ende der einseitigen, völkerrechtswidrigen Maßnahmen gegen die kubanische Bevölkerung“ ein.
Kubas Staatsoberhaupt Miguel Díaz-Canel bedankte sich für die internationale Solidarität mit seinem Land und vertrat die Ansicht, das Haupthindernis für den Abbau von Ungerechtigkeiten und kriegerischen Bedrohungen sei eine von den Interessen multinationaler Konzerne und imperialistischer Regierungen dominierte Weltordnung. „Solange eine solche Weltordnung vorherrscht, werden die edelsten Ziele eine Schimäre bleiben“, warnte Díaz-Canel vor Illusionen. Zugleich gab sich der kubanische Präsident aber auch optimistisch: „Der Aufbau einer Welt, von der wir träumen, ist eine Mammutaufgabe, ist aber möglich, wenn wir dem Egoismus abschwören und gemeinsam daran arbeiten, die derzeitige ungerechte internationale Ordnung in eine demokratischere und gerechtere umzuwandeln, in der niemand zurückgelassen wird.“