Landwirtschaftsreform beginnt
„Alle neu macht der Mai“ stimmt auf Kuba heuer nicht in jeder Hinsicht. Genau wie im letzten Jahr fand der Tag der Arbeit auf der Insel nämlich wieder in virtueller Form statt. Bis auf eine Kranzniederlegung von höchster Stelle war der Revolutionsplatz in Havanna zwar festlich geschmückt, ansonsten aber menschenleer. Auch die Ansprache von Gewerkschaftspräsident Ulises Guilarte de Nacimiento, der auf die schwierige Lage des Landes verwies, war deutlich knapper als sonst. Damit fiel die weltweit größte Maidemonstration Corona-bedingt zum zweiten Mal in Folge aus. Auf wirtschaftlichem Gebiet beginnt sich jedoch einiges zu verändern.
Nach Ankündigung eines „Sofortpakets“ für die Landwirtschaft, mit dem Kuba seine durch Pandemie und US-Sanktionen angeschlagene Wirtschaft wieder zum laufen und die Lebensmittelversorgung verbessern bringen will, sind nun erste Schritte sichtbar. Kurz vor dem letzten Parteitag im April wurde das Programm bekannt gegeben und der zuständige Minister ausgetauscht. Inzwischen sind erste Maßnahmen in Kraft: Rinderzüchter dürfen seit diesem Monat erstmals ihr Vieh selbst schlachten und das Fleisch verkaufen. Das jahrzehntealte Verbot privater Kuhschlachtungen, mit dem ursprünglich die Milchproduktion sichergestellt werden sollte, ist damit gefallen. Wenn auch unter Einschränkungen: So müssen die Bauern zuerst ihre Verträge mit dem Staat erfüllen und einen Zuwachs im Bestand nachweisen, bevor sie eine Schlachtung jetzt bei der Gemeinde beantragen können. Es gilt die Formel: Pro drei Tiere Bestandszuwachs darf jeweils eines geschlachtet werden. Das Fleisch kann dann für den Eigenbedarf verwandt oder über staatliche Abnehmer an Supermärkte in US-Dollar und die Tourismusindustrie verkauft werden. Auch Milch kann so gehandelt werden. Bisher wurden Verstöße gegen die 1963 eingeführte Regel hart bestraft, was dazu geführt hat, dass manche Bauern ihr Vieh „verunglücken“ ließen um einer mehrjährigen Gefängnisstrafe zu entgehen. Es entstand das geflügelte Wort, dass es auf Kuba heikler sei eine Kuh zu schlachten, als einen Menschen zu töten.
Die weiteren Bestandteile des 30 Punkte umfassenden „Sofortprogramms“ wurden indes heute in einer Broschüre des Landwirtschaftsministeriums vollständig veröffentlicht. Es sieht unter anderem die Dezentralisierung der staatlichen Abnahmestrukturen sowie die Förderung der Autonomie der Produzenten vor. Kooperativen sollen ihre Finanzen selbstständig verwalten und damit den übrigen Wirtschaftsakteuren gleichgestellt werden. Produktionskosten wie Futter, Strom und Wasser wurden rückwirkend zum 1. Januar um bis zu 60 Prozent gesenkt, gleichzeitig werden Bauern Zugang zu Krediten und Versicherungen erhalten. An die Stelle der Produktionsverpflichtung tritt der Vertrag, welcher zwischen allen Beteiligten als Instrument Einzug hält. Kooperativen und Einzelbauern dürfen sich Immobilien anmieten, um ihre Überschüsse in eigenen Verkaufsstellen feilzubieten. Darüber hinaus sieht das Paket vor, ausländischen Unternehmen den direkten Verkauf von Zwischengütern (Düngemittel, Tierfutter, Ausrüstung und Maschinen) an die Bauern zu gestatten. Hierfür sollen auch „im staatlichen wie im nicht-staatlichen Bereich“ kleine und mittlere Unternehmen gebildet werden. Erstmals können die Produzenten Zwischengüter direkt einkaufen, anstatt ausschließlich auf staatliche Zuteilungen angewiesen zu sein. Ein weiterer Schritt sieht vor, die ausufernde Bürokratie auf dem Sektor zu bekämpfen, indem „die Kompetenz sämtlicher Kader des Agrarsektors überprüft“ und diese gegebenenfalls von ihrem Posten entfernt werden. „Alles, was die Produktion fördert, Hemmnisse beseitigt und den Produzenten nützt, ist gut“, gab Präsident Miguel Díaz-Canel als Credo für die Reform aus, deren Inhalte erstmals im vergangenen November vorgestellt wurden.
Nach einer ersten Sondersendung zu den neuen Krediten und Versicherungen am Freitag sollen in den kommenden Wochen die weiteren Inhalte der Agrarreform vorgestellt werden, kündigte der Moderator der „Mesa Redonda“ (Runder Tisch), Randy Alonson, an.
Auch wenn noch viele Inhalte des ursprünglichen Reformplans fehlen, stellt das Paket selbst in seiner reduzierten Form die umfangreichste Neuausrichtung der kubanischen Landwirtschaftspolitik seit den 1990er Jahren dar. Viele alte Probleme, die von Seiten der Produzenten immer wieder moniert wurden, sind adressiert worden. Bis die Maßnahmen auf den Tellern der Bevölkerung landen, wird es allerdings noch dauern: Änderungen in der Landwirtschaftspolitik brauchen Zeit – momentan das knappste Gut in Kubas Reformprozess.