Kuba beschließt „Sofortpaket“ für die Landwirtschaft
Veröffentlicht am 15. April 2021
Der frischgebackene Landwirtschaftsminister Ydael Pérez Brito steht vor großen Aufgaben (Quelle: ACN)
Kuba hat einen neuen Landwirtschaftsminister: unmittelbar vor dem anstehenden Parteitag der regierenden Kommunistischen Partei wurde der bisherige Leiter des Agrarministeriums, Gustavo Rodríguez Rollero, „auf Vorschlag des Präsidenten“ abgelöst, wie die Parteizeitung „Granma“ in einer knappen Note bekannt gegeben hat. Zu dessen Nachfolger wurde der 48-jährige Agrarökonom Ydael Pérez Brito ernannt. Ihm kommt die Umsetzung einer weitreichenden Reform der kubanischen Agrarpolitik zu, deren Grundzüge erstmals vergangenen November vorgestellt wurden. Angesichts der anhaltend prekären Versorgungslage versucht Miguel Díaz-Canel bei der Realisierung der Vorhaben noch vor dem Kongress aufs Tempo zu drücken.
Insgesamt umfasst das Paket 63 Maßnahmen, von denen jetzt 30 zur beschleunigten Umsetzung vom Politbüro genehmigt wurden. Diese sollen „eine sofortige Wirkung“ auf die Steigerung der Lebensmittelproduktion haben, erklärte das mit dem Thema betraute ZK-Mitglied Jorge Luis Tapia Fonseca am Mittwoch in einer Sondersendung. In den vergangenen Monaten seien hierzu Meetings mit Produzenten aus allen Landesteilen geführt abgehalten, auf denen die drängendsten Fragen diskutiert wurden. Fachleute und Funktionäre werteten die Rückmeldungen anschließend in interdisziplinären Arbeitsgruppen aus. Herausgekommen sind jene 63 Maßnahmen, welche der stark ideologisch aufgeladenen Landwirtschaftspolitik auf Kuba zu mehr Pragmatismus verhelfen sollen. „Alles, was die Produktion fördert, Hemmnisse beseitigt und den Produzenten nützt, ist gut“, gab Díaz-Canel als Credo aus. Trotz Pandemie und US-Blockade sei das Thema der Lebensmittelproduktion auf Kuba ein lösbares. Man könne jedoch nicht auf langfristige Maßnahmen warten, weil dafür schlicht die Zeit fehle, so das Staatsoberhaupt. „Das Volk isst keine Pläne“, drückte es Premierminister Manuel Marrero aus.
Kuba muss heute rund 70 Prozent seines Kalorienbedarfs importieren, von dem laut Berechnungen des Agrarministeriums ein Großteil im Land hergestellt werden könnte. Der pandemiebedingte Wirtschaftseinbruch hat zu einer drastischen Einschränkung der Importe geführt, welche sich in einer extremen Versorgungskrise bis hin zu den Grundnahrungsmitteln bemerkbar macht.
Mit dem Reformpaket sollen die Unzulänglichkeiten des überdimensionierten staatlichen Abnahmeapparats um den quasi-Monopolisten „Acopio“ angegangen werden. „Exzessive Bürokratie“ soll abgebaut, die Beziehung zwischen Produktion und Konsumtion entschlackt werden. Ein wesentliches Problem des bisherigen Modells sei die unzuverlässige Bezahlung der Bauern durch staatliche Stellen, so Tapia Fonseca. Immer wieder neu angepasste Maßnahmen hätten die zu Grunde liegenden strukturellen Probleme nicht lösen können, weshalb das Abnahmewesen neu aufgestellt und professionalisiert wird. Wie kubanische Agrarökonomen betonen, zählen neben den Zahlungsschwierigkeiten vor allem die hohen Verlustrate sowie unsachgemäße Lagerung und Transport zu den Hauptproblemen der staatlichen Kanäle.
An die Stelle der bisherigen „klassisch“ planwirtschaftlichen Produktionsverpflichtung („compromiso productivo“) soll jetzt der Vertrag („contrato“) treten, welchen die Produzenten (Kooperativen und Kleinbauern) mit den verschiedenen Abnehmern (Acopio für Libreta-Rationen, Kantinen, Restaurants, Privatsektor, etc.) direkt abschließen und so Zwischenhändler und Bürokratie vermeiden können. Was über die Staatskontrakte hinausgeht, kann frei vermarktet werden: Statt ausschließlich an träge Agrarunternehmen zu liefern, sollen durch mehr Autonomie und Vertragsfreiheit neue Anreize für die Produzenten geschaffen werden. Auch Direktverkäufe an Devisensupermärkte sind möglich, womit die Bauern Fremdwährung für Importe von Maschinen und Ausrüstung einnehmen können. Für einige Produkte gelten Preisobergrenzen, die jedoch in Zukunft vorwiegend auf Gemeindeebene ausgehandelt werden.
Auch Überschüsse bei den für die Lebensmittelrationierung wichtigen Produkten Milch und Fleisch können beliebig gehandelt werden, der Liter heimische Milch darf auf dem Markt allerdings nicht mehr als 9 Pesos (ca. 0,31 Euro) kosten. Die bisher ausschließlich dem Staat vorbehaltene Schlachtung von Rindern wird gelockert: Erstmals können Rinderzüchter, die ihre Vertragspflichten erfüllt haben, ihr Vieh für Eigenbedarf und Handel selbst schlachten und z.B. im Supermarkt verkaufen.
Weiterer Bestandteil des „Sofortpakets“ für die Landwirtschaft sind Maßnahmen zur Senkungen der Kosten und verbesserte Rahmenbedingungen geplant. So sind rückwirkend zum 1. Januar die Strompreise für Landwirte um rund 28 Prozent gesenkt worden. Auch die Wassertarife wurden angepasst, was die Produktionskosten auf den intensiv bewässerten Reisfeldern um ein Drittel senken soll. Die Preise für auf Kuba hergestelltes Schweinefutter wurden um 60 Prozent gesenkt, der Einsatz von Agrarflugzeugen soll zum Selbstkostenpreis angeboten werden. Darüber hinaus werden Agrarversicherungen geschaffen, um kubanischen Landwirten erstmals Möglichkeiten zu bieten, sich gegen Ernteausfälle durch Plagen, Dürren, Hurrikans, etc. abzusichern. Neu ist, dass sämtliche Nebenkosten und Verträge direkt mit der Kooperative bzw. dem Produzenten geschlossen werden und nicht mehr über Dritte laufen. Die Förderung der wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Erzeuger soll auch deren Finanzen auf eine neue Grundlage stellen. Bis 2022 profitieren Landwirte zudem von einer reduzierten Einkommenssteuer.
Weitere im November angekündigte Schritte, wie die Erweiterung des Zugangs zum Außenhandel oder die Zulassung von privaten Groß- und Einzelhändlern, sind nicht Teil der unmittelbar bevorstehenden Gesetze, dürften aber in den 63 Maßnahmen enthalten sein. Nach der langsam eingetretenen Konsolidierung der Währungsreform scheint deren zügige Umsetzung jetzt zu den Prioritäten Díaz-Canels aufgerückt zu sein, der mit der personellen Neubesetzung des Agrarministeriums auch ein Signal an den morgigen Parteitag gesendet haben dürfte.