Die neue Generation übernimmt (+ Rede von Díaz-Canel)
Am Montag ist der VIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) in Havanna zu Ende gegangen. Mit dem Rückzug Raúl Castros von der Spitze der Partei schieden auch die anderen verbliebenen Vertreter der historischen Generation aus Politbüro und Zentralkomitee aus, zu dessen neuem Ersten Sekretär der 60-jährige Miguel Díaz-Canel gewählt wurde. Damit ist der 2016 gestartete Prozess der „geordneten Übergabe“ der Spitzenfunktionen in Staat und Partei abgeschlossen.
Der unter dem Motto „Parteitag der Kontinuität“ tagende Kongress verabschiedete darüber hinaus mehrere Resolutionen, mit denen die wichtigsten Leitdokumente der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes sowie zur Arbeit der Partei aktualisiert wurden. So wurde unter anderem festgelegt, dass die Arbeit mit dem 2017 beschlossenen „Sozialistischen Entwicklungskonzept“, auf allen Ebenen der Partei verstärkt werden soll. Die „Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik“ wurden für den Zeitraum 2021-2026 fortgeschrieben und umfassen jetzt 201 Punkte, die unter anderem die Stärkung der Staatsunternehmen, die „Lösung der strukturellen Probleme der Wirtschaft“ vor allem in Bezug auf die Lebensmittelproduktion, die Konsolidierung der Währungsreform sowie die Förderung von Wissenschaft, Technologie und Innovation vorsehen.
Mit rund 300 Delegierten fand der alle fünf Jahre tagende Parteitag dieses Mal pandemiebedingt in reduzierter Besetzung statt.
Zentraler inhaltlicher Beitrag war der Rechenschaftsbericht Raúl Castros, mit dem der 89-jährige am Freitag selbstkritisch Bilanz über die vergangenen Jahre zog. Trotz der 240 neuen Maßnahmen, mit denen die USA ihre Wirtschaftsblockade gegen die Insel erweiterten, sei es gelungen, „die wichtigsten Errungenschaften der Revolution in den Bereichen öffentliche Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit“ aufrechtzuerhalten und der Pandemie die Stirn zu bieten. Dies sei nur in einer sozialistischen Gesellschaft mit „universellem, kostenlosen Gesundheitssystem“ möglich, sagte Castro.
Auf wirtschaftlichem Gebiet seien die Ergebnisse der vergangenen Jahre jedoch nicht zufriedenstellend. Castro nannte Phänomene wie exzessive Bürokratie, mangelhafte Kontrolle der Ressourcen, Korruption und illegale Verhaltensweisen: „Die strukturellen Probleme unseres Wirtschaftsmodells, das keine ausreichenden Anreize für Arbeit und Innovation bietet, sind nicht verschwunden.“ Um diesen Zustand zu ändern, müsse die laufende Aktualisierung des Modells „dynamischer“ vonstatten gehen, der Plan stärker mit der Autonomie der Unternehmen in Übereinstimmung gebracht werden, ausländische Investitionen gefördert und private Eigentums- und Managementformen „flexibilisiert und institutionalisiert“ werden. Kern des neuen Wirtschaftsmodells bleibt das sozialistische Staatsunternehmen, welches allerdings deutlich eigenständiger agieren soll. Die Betriebe müssten alte Gewohnheiten ablegen und „Trägheit, Konformismus, Mangel an Initiative sowie das bequeme Warten auf Anweisungen von oben“ überwinden.
Scharf kritisierte Castro, dass nach der Ankündigung, sämtliche Berufe mit Ausnahme einer Negativliste für den Privatsektor zu erlauben, in Teilen der Bevölkerung noch vor der Umsetzung Rufe nach einer weitergehenden Öffnung laut wurden: „Es scheint, dass Egoismus, Gier und der Wunsch nach höheren Einkommen einige Menschen dazu ermutigen, den Beginn eines Privatisierungsprozesses zu wünschen, der die Grundlagen und das Wesen der sozialistischen Gesellschaft […] hinwegfegen würde.“
Mit Blick auf sein Vermächtnis stellte Castro klar: „Es gibt Grenzen, die wir nicht überschreiten können, weil die Folgen unumkehrbar wären und zu strategischen Fehlern und der Zerstörung des Sozialismus […] führen würden.“ Entscheidungen auf wirtschaftlichem Gebiet dürften „auf keinen Fall einen Bruch mit den Idealen der Gerechtigkeit und Gleichheit der Revolution“ hervorrufen. Das vorherrschende gesellschaftliche Eigentum der grundlegenden Produktionsmittel bilde die Basis der sozialistischen Gesellschaft, der Staatssektor müsse diese Rolle durch praktische Ergebnisse behaupten.
Castro verteidigte die 2019 begonnene Teil-Dollarisierung des Handels. Der akute Mangel an Devisen mache es erforderlich, für die Zeit der wirtschaftlichen Erholung mit den Verkäufen in Fremdwährung fortzufahren. Die im Januar gestartete Währungsreform, mit der das Land nach über 30 Jahren wieder zu einer einzigen Landeswährung zurückkehrt, sei zwar keine „magische Lösung“ für sämtliche ökonomischen Probleme, sie ermögliche jedoch „die Leistung der verschiedenen Wirtschaftsakteure zu ordnen und transparent zu machen“ und schaffe neue Anreize für mehr produktive Beschäftigungsverhältnisse. Es sei notwendig, „die Vorstellung auszuradieren, dass Kuba das einzige Land ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten. Der Lebensstandard und Konsum der Kubaner sollte durch das legale Einkommen bestimmt werden […], nicht durch übermäßige Subventionen und ungerechtfertigte Gratisleistungen“, so Castro.
Mit Blick auf die USA forderte Castro das Ende der Blockade und den Beginn eines „respektvollen Dialogs“. Er bekräftigte die Absicht, „eine neue Art von Beziehungen“ aufzubauen. Diese könnten jedoch nicht auf der Annahme basieren, dass Kuba hierfür die Prinzipien der Revolution oder den Sozialismus aufgeben werde.
Ein wichtiges Thema auf dem Kongress, dessen inhaltliche Debatten in drei Arbeitsgruppen geführt wurden, war die Kaderpolitik und politische Arbeit der Partei. Die Massenorganisationen müssten wiederbelebt und ebenso wie die ideologische Arbeit der Partei „gemäß der heutigen Zeit“ aktualisiert werden. Der seit 2006 zu verzeichnende Rückgang bei den Mitgliederzahlen der PCC konnte gestoppt werden.
Aktuell zählt sie 700.000 Mitglieder. In Zukunft soll dem Jugendverband wieder mehr Aufmerksamkeit zur Heranbildung neuer Kader gewidmet werden. Die Förderung von „Jugendlichen, Frauen, Schwarzen und Mulatten“ sei bisher allerdings nur unzureichend vorangekommen, räumte Castro ein. Im neu gewählten Politbüro befinden sich statt vier jetzt nur noch drei Frauen, der Anteil Schwarzer Kader blieb gleich.
Mit dem Ausscheiden der „históricos“ aus dem von 17 auf 14 Sitze verkleinerten Gremium entfällt auch der Posten des Zweiten Sekretärs der Partei, den bisher der langjährige Stellvertreter Castros, José Ramón Machado Ventura, innehatte. Dessen Schlüsselrolle als Leiter der Kaderabteilung im Sekretariat des Politbüros übernimmt Gesundheitsminister Roberto Morales, der 2016 ins Politbüro aufstieg. Neu aufgenommen wurden unter anderem Premierminister Manuel Marrero Cruz, Innenminister Lázaro Álvarez Casas, der mit der Verwaltung der Militärholding „GAESA“ betraute Brigadegeneral Luis Rodríguez López-Calleja sowie die Provinzsekretärin von Artemisa und „Herrin über den Hafen von Mariel“, Gladys Martínez Verdecia. 5 der 14 Mitglieder haben einen militärischen Hintergrund, gleich viele wie im vorherigen Politbüro.
Nach der Kritik Raúl Castros an der Arbeit der Reformkommission wird deren Leiter und „Architekt der Währungsreform“, Marino Murillo, nicht mehr in Politbüro und Zentralkomitee vertreten sein. Letzteres wurde von 145 auf 114 Sitze verkleinert. Dort ist jetzt unter anderem Nationalheld und Mitglied der „Cuban Five“, Gerardo Hernández Nordelo, hinzugekommen. Er trat im September die Leitung der Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDRs) an. Insgesamt schieden 88 Personen aus dem Zentralkomitee aus, neben Castro (89), Machado (90) und dem langjährigen Innenminister Ramiro Valdés (88) im Politbüro auch die übrigen Vertreter der historischen Generation im ZK: Guillermo García (93), Leopoldo Cintra Frías (79), Julio Camacho Aguilera (97) und Ramón Pardo Guerra (81). Zu den jüngeren Abgängen zählen unter anderem die ehemalige Parteichefin Havannas, Mercedes López Acea und Außenhandelsminister Rodrigo Malmierca.
Weitere Personalrochaden im Umfeld des Parteitags: Landwirtschaftsminister Gustavo Rodríguez Rollero wurde nach 11 Jahren von Ydael Pérez Brito abgelöst. Álvaro López Miera ersetzte Leopoldo Cintra Frías als Verteidigungsminister, der dieses Amt seit 2011 innehatte. Die Chefin des Telekommunikationskonzerns ETECSA, Mayra Arevich Marín, wurde zur neuen Kommunikationsministerin. Der bisherige Amtsinhaber Jorge Luis Perdomo Di-Lella ist zusammen mit Roberto Morales auf Staatsebene zum Vizepremier befördert worden.
Díaz-Canel, der seit 2018 Präsident des Landes ist, bedankte sich nach seiner Wahl zum Generalsekretär für „das Beispiel und die Unterstützung“ durch Castro. Es sei eine große Ehre, die Revolution fortsetzen zu dürfen. „Unsere Generation versteht die Verantwortung, die sie übernimmt“, sagte Díaz-Canel.
Zugleich hob er die Aufgabe der Kommunistischen Partei hervor: „Das Revolutionärste innerhalb der Revolution ist und muss immer die Partei sein, so wie die Partei die Kraft sein muss, die die Revolution revolutioniert.“ In einer „authentischen Revolution“ liege der Sieg im Lernprozess, so der neue Erste Sekretär: „Wir gehen keinen vorgegebenen Weg. Wir sind herausgefordert, ständig innovativ zu sein und alles zu ändern, was geändert werden muss, ohne unsere wichtigsten Prinzipien aufzugeben.“ (A21)
Die Schlüsselstellen der Rede Díaz-Canels (→ offizielle Übersetzung):
- Zu Beginn seiner gut anderthalbstündigen Schlussrede des Parteitags ging Díaz-Canel auf den Generationenwandel ein. Die Revolution ende nicht mit Fidel und Raúl; die neuen Generationen hätten auf dem Parteitag mehr als „Positionen und Aufgaben“ erhalten, sondern ein „riesiges Werk“ das es fortzusetzen gelte. Ausführlich würdigte er Raúl Castro und dankte ihm für dessen Unterstützung, dabei hob er unter anderem Themen der Reformagenda hervor, wie das neue Reisegesetz von 2012, die Landwirtschaftsreform, die Ausweitung des Privatsektors, die Verhandlung der kubanischen Altschulden, die Eröffnung der Sonderwirtschaftszone von Mariel und das Digitalisierungsprogramm der Regierung. Ähnlich wie bei der Übergabe von Fidel an Raúl stellte auch Díaz-Canel klar, dass sein Vorgänger bei sämtlichen strategischen Richtungsentscheidungen des Landes konsultiert werden wird. Raúl dürfte nach dem Vorbild seines Bruder in Zukunft als „elder statesman“ und beratende Veto-Instanz ohne Beteiligung an der Tagespolitik agieren.
- US-Blockade und ideologische Hegemonie: Niemand mit einem „Minimum an Ehrlichkeit und Kenntnis der öffentlich zugänglichen Wirtschaftsdaten“ könne ignorieren, dass die US-Sanktionen „das Haupthindernis für die Entwicklung unseres Landes und für den Fortschritt bei der Suche nach Wohlstand und Prosperität sind.“ Mit Blick auf die „Hegemoniebestrebungen des US-Imperialismus“ warnte Díaz-Canel vor der Gefahr digitaler Medienplattformen, die es es „mächtigen Gruppen – hauptsächlich aus hoch entwickelten Ländern – [ermöglichen], Ideen, Vorlieben, Emotionen und ideologische Strömungen in universelle Muster zu verwandeln, auch wenn diese dem Kontext in dem sie wirken oft völlig fremd sind.“ Subversive Kampagnen der USA im Rahmen eines „nichtkonventionellen Krieges“ würden darauf zielen „Entmutigung, Apathie und Nonkonformismus zu schüren und die inneren Widersprüche zu verschärfen.“
- Gesprächsangebot an Biden: Díaz-Canel bekräftigte das am Freitag geäußerte Ansinnen Raúl Castros in Bezug auf das Verhältnis mit den USA: „Unser Wunsch ist es, in Frieden zu leben und mit unseren Nachbarn im Norden die selbe Art Beziehungen zu pflegen wie mit dem Rest der internationalen Gemeinschaft auch, auf Basis von Gleichheit und gegenseitigem Respekt und ohne Einmischungen jeglicher Art.“ An Washington gerichtet nannte er vier konkrete Bereiche, in denen die „Auslotung einer ehrlichen und ergebnisorientierten bilateralen Zusammenarbeit“ mit den USA möglich sein könne: Gesundheitsbedrohungen wie die aktuelle Pandemie, der Kampf gegen den Klimawandel, die Förderung der Menschenrechte und Migrationsfragen.
- Planwirtschaft und Pandemie: „Ein kleines Land ohne Ressourcen, belagert und grausamer Blockade ausgesetzt, hat bessere Indikatoren vorzuweisen als viele Länder der Welt und der Region. Diese Leistung wird von eben jener Ökonomie gestützt, die wir kritisieren um sie zu verbessern und effizienter zu machen, die aber auch zu inklusiven und wichtigen sozialen Errungenschaften beiträgt.“
- Wirtschaftsreformen: Die wirtschaftliche Schlacht sei die entscheidende „ohne die alle anderen sich als unnütz erweisen können“, mahnte Díaz-Canel. „Unwirtschaftlichkeit und Ineffizienz eines bedeutsamen Teils des Unternehmenssystems und des haushaltsgestützten Sektors, die von strukturellen Problemen beeinträchtigt sind“ hätten zu den unbefriedigenden Ergebnissen der letzten fünf Jahre beigetragen. Dabei sei es nicht gelungen Probleme wie überhöhte Ausgaben, die unzureichende Kontrolle von Material und Finanzmitteln sowie „unnötige Hemmnisse und Bürokratismus“ zu beseitigen. Als wichtigste Ziele auf wirtschaftlichem Gebiet nannte Díaz-Canel Ernährungssouveränität, die bessere Nutzung erneuerbarer Energien, mehr Qualität im Tourismussekor, effizientere Investitionsprozesse, die „Steuerung der nationalen Produktion zur Lösung der Nachfrage des Binnenmarkts“ sowie die „Verbesserung der Qualität sämtlicher der Bevölkerung angebotenen Dienstleistungen“. Diese Ziele müssten „mit der geringstmöglichen Abhängigkeit von außen“ erreicht werden. Um die derzeitige Krise zu überwinden sei es notwendig, die Umsetzung der Reformdokumente zu beschleunigen und „das Verhältnis zwischen der notwendigen Planung, territorialer Dezentralisierung und Autonomie unter Beteiligung aller wirtschaftlichen Akteure (Staatsunternehmen, Mikro- Klein und Mittlere Unternehmen sowie Genossenschaften) flexibel zu kombinieren.“
- Währungsreform: Man habe zuletzt wichtige und komplexe Maßnahmen eingeleitet, die nicht immer von Erfolg von Verständnis gekrönt worden seien. Die Währungsreform, welche trotz der aktuell schwierigen Rahmenbedingungen dringend umgesetzt werden musste, sei „selbst von den mit ihrer Durchführung beauftragten nicht immer richtig als der hochkomplexe Prozess, der sie ist“ verstanden worden. Während einige der Schwierigkeiten durch ungenügende Vorbereitung und Fehlinterpretation von Normen entstanden seien, hätten sich auch „Missverständnisse aus dem Fehler ergeben, sie mit Problemen in Verbindung zu bringen, die bereits vor ihrer Umsetzung vorhanden waren.“ Um die entstandenen Probleme zu beseitigen, seien mehrfach Preise und Tarife angepasst worden, auch die „jüngsten Maßnahmen zur Förderung der Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln“ seien in diesem Kontext zu sehen.
- Revolutionskonzept: Auf die Kritik an der Währungsreform bezugnehmend erklärte Díaz-Canel: „Ich sage dies ohne mich zu beschweren. In einer authentischen Revolution ist der Lernprozess der Sieg. Wir marschieren nicht auf bekannten Pfaden sondern stehen vor der Herausforderung einer konstanten Innovation, alles zu ändern, was geändert werden muss, ohne dabei unsere wichtigsten Prinzipien aufzugeben.“ Als Orientierung, „frei von starren Fesseln und im Bewusstsein möglicher Irrtümer, die der Weg dorthin mit sich bringt“ nannte Díaz-Canel die im Jahr 2000 von Fidel Castro formulierte Definition der Revolution.
- Reformprozesse China und Vietnam: In Bezug auf die „bereichernden Erfahrungen Chinas und Vietnams mit unbestreitbaren Fortschritten in der Wirtschaft und im Lebensstandard“ zog Díaz-Canel die Parallele: „Beide Prozesse, die das hohe Potenzial der sozialistischen Planung bestätigen, durchlebten auf dem Weg mehr als eine Korrektur; wenngleich die Blockade ihrer Volkswirtschaften kürzer und weniger aggressiv war.“
- Ziele des Sozialismus: Díaz-Canel fasste das Wesen (esencias) der Partei zusammen mit: „Unabhängigkeit, Souveränität, sozialistische Demokratie, Frieden, wirtschaftliche Effizienz, Sicherheit und die Errungenschaften der sozialen Gerechtigkeit: Sozialismus!“, hinzu kämen: „Das Ringen um Wohlstand, der von der Ernährung bis zur Freizeitgestaltung reicht, die wissenschaftliche Entwicklung, überlegenen geistigen Reichtum und Wohlbefinden einschließt und die Gestaltung des Funktionalen und Schönen fördert.“ Der Sozialismus sei es wert, verteidigt zu werden, „weil er die Antwort auf das Bedürfnis nach einer gerechteren, gleicheren und inklusiven Welt ist; er ist die reale Möglichkeit, mit Intelligenz und Sensibilität einen Raum zu gestalten, in den alle passen – nicht nur jene, die über Ressourcen verfügen.“ Das wichtigste Instrument hierfür sei die Einheit welche erhalten werden müsse „[…] ohne zu diskriminieren, ohne Vorurteilen, Dogmen oder Denkschablonen Raum zu geben, welche die Menschen ungerechterweise entzweien.“
- Arbeitsweise der Partei: Viele Prozesse seien von der Routine untergraben worden, Trägheit entstanden. Die Partei benötige heute „dringend Veränderungen in ihrem Arbeitsstil, die unserer Epoche und ihren Herausforderungen besser entsprechen.“ Die Aufrechterhaltung der Einheit verlange von jedem Parteimitglied ein öffentliches Verhalten welches „Bewunderung und Respekt aufgrund von Fähigkeiten und erbrachter Leistung“ hervorrufe. Die Partei müsse „jedes mal demokratischer, attraktiver und näher am Volk insgesamt und nicht nur in ihrem unmittelbaren Umfeld“ arbeiten. Das innere Leben der Partei müsse gestärkt werden, „um mehr äußeres Leben zu haben, […] um wirklich als Vorhut mit Führung zu fungieren“, was bedeute „mit echten Sorgen um das Funktionieren der Gesellschaft als mobilisierende Kraft zu wirken und jeglichen feindlichen Plan eines sozialen Aufstands zu vereiteln“. Derzeit herrschten „nicht die Zeiten gedruckter Bulletins oder des Wartens auf lange Koordinierungs- und Analyseprozesse“. Die Partei müsse lernen, schneller zu kommunizieren; „das Revolutionärste innerhalb der Revolution sein“, und die Wahrheit, „wie hart sie auch sein oder scheinen mag“, stets als erste Waffe begreifen. Ihre Botschaften dürften im Internetzeitalter nicht mehr „dem langsamen Weg der alten Druckmaschine folgen.“
- Kaderpolitik: Das jüngste Wachstum in der Mitgliederbasis der PCC müsse von „attraktiveren Arbeitsmethoden“ begleitet, das Wesen der Partei mit „Klarheit und Transparenz sowie Kämpfen um die Verbesserung der Lebensqualität der Kubaner“ unter Einbeziehung der Jugend wiederbelebt werden. Kader müssten „durch ihre Hingabe an die Aufgabe, ihr Bestreben sich weiterzubilden, ihre Bescheidenheit und ihre Sensibilität herausragen“ und in der Lage sein „das Wir vor das Ich zu stellen zu können“. Der Parteitag habe hierzu mit wissenschaftlicher Herangehensweise eine neue Strategie der Kaderauswahl- und Heranbildung beschlossen, welche verschiedene Etappen in der Laufbahn von Nachwuchskräften vorsieht.
- Bekämpfung von Korruption: Ethische und moralische Werte hätten zweifellos in den vergangenen Jahrzehnten gelitten. Das kubanische Volk habe eine „scharfe Wahrnehmung“ und sei aus der Ferne im Stande, „unaufrichtiges Engagement und Doppelmoral“ zu erkennen. Die Partei müsse an der Spitze im Kampf gegen „Korruption, unehrliche Verhaltensweisen, Machtmissbrauch, Bevorzugung und Doppelmoral“ stehen. „Möge unser Verhalten bei der Arbeit, in den Augen der Gesellschaft, der Familie und dem Freundeskreis mit den Werten übereinstimmen, die wir verteidigen“, so Díaz-Canel.
- Revival des ML? Direkte Bezugnahmen auf den Marxismus-Leninismus und dessen Konzepte spielen auf kubanischen Parteitagen paradoxerweise in der Regel keine Rolle. 2018 wurde die PCC in der neuen Verfassung unter anderem als „marxistisch und leninistisch“ umdefiniert um den „stalinistischen Beigeschmack“ des Begriffs Marxismus-Leninismus zu vermeiden, wie es in der Begründung hieß. Díaz-Canel erwähnte in seiner Rede hingegen zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder „die Ideen des Marxismus-Leninismus“, welche zusammen mit den „Traditionen des kubanischen Denkens, insbesondere von Martí und Fidel“ in den Parteihochschulen studiert werden sollen.
- Wissenschaft und Marxismus: „Der Marxismus hat uns ein unschätzbares Erbe hinterlassen: die Gewissheit, dass Wissenschaft und Technologie untrennbarer Bestandteil sozialer Prozesse sind und dass die Beziehung zwischen Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft den Schlüssel für die perspektivische und vorausplanende Entwicklung eines jeden Projekts darstellt“, erklärte Díaz-Canel, der vor wenigen Wochen seine Dissertation über ein „Innovationsorientiertes Regierungsverwaltungsmodell“ verteidigte, in der unter anderem die Ergebnisse der chinesischen und vietnamesischen Wissenschafts- und Innovationspolitik ausgewertet werden. Dies sei der Weg „eine wissensbasierte sozialistische Ökonomie“ aufzubauen. Ein wichtiger Aspekt davon ist die Stärkung der Rolle der Wissenschaft in Politik und Wirtschaft. In einem neuen Gesetz wurde auf Kuba jüngst die Einführung von beratenden Expertengremien im Staatsapparat festgelegt, zudem soll ein „nationaler Innovationsrat“ gebildet werden. An anderer Stelle erklärte Díaz-Canel dazu mit Blick auf die Wirtschaft: „Wir werden also über eine tiefgehende und reale Analyse jeder Situation gegenüber kreativ Widerstand leisten, Expertenwissen einholen, die Beteiligung der Bevölkerung und die Innovation fördern. All dies natürlich ohne unsere internationalistischen Prinzipien der Solidarität und Kooperation mit der Menschheit aufzugeben.“
- Kommunikationspolitik der Partei: „Die Digitalisierung aller Prozesse innerhalb der Organisation sowie die Unterstützung von Wissenschaft und Innovation“ werde helfen, Lösungen für komplexe Probleme sowie „die kreative Entwicklung der sozialen Kommunikation“ zu fördern, zeigte sich der Generalsekretär überzeugt. Scharf kritisierte er die Annahme, „[…] dass diese angesichts wirtschaftlicher und politischer Dringlichkeiten eine Nebensache sei.“ Staat und Massenorganisationen müssten einen „einladenderen Raum“ für Diskussionen schaffen, „der den Austausch und die revolutionäre Debatte erleichtert, ohne Formalitäten, Auflagen und überflüssige Beratung.“ Die Partei müsse Inhalte in der Sprache des Volkes anbieten, „die auf Wahrheit und Rechtschaffenheit, Festigkeit und Kohärenz, Eleganz und Maß sowie Sensibilität und Empathie beruhen“ um die „Kluft zwischen den institutionellen Diskursen und den öffentlichen Forderungen überbrücken.“
- Fehlerkultur: Fehler in den Bereichen Ideologie und Ökonomie seien unvermeidlich, „unverzeihlich wäre nur, sie nicht zu korrigieren.“
- Anstehende Aufgaben: Die Mitgliedschaft der PCC müsse besser für die primären Entwicklungsziele des Landes mobilisiert werden. Díaz-Canel zählte dazu insbesondere „Ernährungssicherheit und -souveränität, industrielle Entwicklung und das Energieproblem.“
- Umsetzung der 2019er Verfassung: „Wir werden weiter an den aus der neuen Verfassung abgeleiteten Gesetzen und an der Stärkung der sozialistischen Demokratie arbeiten, die mit Recht und sozialer Gerechtigkeit verbunden ist, an der uneingeschränkten Ausübung der Menschenrechte, der wirksamen Vertretung und Beteiligung der Gesellschaft an laufenden wirtschaftlichen und sozialen Prozessen hin zu einem prosperierenden, demokratischen und nachhaltigen Sozialismus. All dies in einem Umfeld, das zunehmend frei von Bürokratie, übermäßigem Zentralismus und Ineffizienz ist.“
- Opposition: In Anspielung auf Proteste oppositioneller Künstler in Havannas Stadtteil San Isidro sprach Díaz-Canel von einer „Kolonialisierung aus der Kultur heraus“ und erklärte: „Wir werden nicht zulassen, dass die wie sie sich selbst nennen ‚Aktivisten‘ des Chaos, der Vulgarität, der Respektlosigkeit, unsere Flagge besudeln und unsere Behörden beleidigen. Uns ist klar, dass sie verzweifelt versuchen festgenommen zu werden, um den Auftrag jener zu erfüllen, die sie bezahlen […].“
- Kampf gegen Diskriminierung: Díaz-Canel betonte Fortschritte bei der „Emanzipation der Frau, gegen geschlechtsspezifische Gewalt, Rassismus und Diskriminierung und für Umwelt- und Tierschutz.“ Er appellierte an die Parteimitglieder, rassistische und diskriminierende Verhaltensweisen „aktiv zu bekämpfen.“
- Zweifeln an der Lebendigkeit der Revolution entgegnete Díaz-Canel: „Wir sind weder eine geschlossene Gesellschaft, noch ist dies ein schwacher, überholter oder verknöcherter revolutionärer Prozess. In 60 Jahren haben wir unter unvorstellbarem Druck ein absolut neues und herausforderndes politisches Projekt ins Leben gerufen. Und wir sind damit gewachsen, weitergekommen, haben es viele Male mit dem Ziel der Perfektionierung korrigiert. [..] Auch wenn es manchmal so aussehen konnte, als ob wir uns nicht über Wasser halten würden, werden wir inmitten der Ungewissheit von unserer eigenen Widerstandsfähigkeit und Kreativität überrascht.“
- Am Ende seiner Rede, mit Blick auf die Zukunft im Kontext der andauernden Pandemie zeigte sich Díaz-Canel optimistisch: „Dass es einem bis an die Grenzen der Schamlosigkeit blockierten Land gelungen ist, die wichtigsten Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, seine gesamte Bevölkerung zu versorgen,[…] in Rekordzeit über zwanzig Laboratorien für molekulare Biologie auszurüsten, nationale Prototypen für Lungenbeatmungsgeräte und Diagnosekits zu entwerfen und anzufertigen, fünf Impfstoffkandidaten zu entwickeln und das sich vorgenommen hat, genügend Impfdosen zu produzieren, um die gesamte Bevölkerung zu immunisieren und diese verschiedenen Völkern der Erde zur Verfügung zu stellen, ist viel mehr als nur ein Licht am Ende des Tunnels“ sondern „ein Beweis dafür, dass wir uns auf der richtigen Seite der Geschichte befinden.“ Im weiteren ging er auf die Arbeit der Medizinerbrigade Henry Reeve ein, die in mehreren Ländern zur Unterstützung gegen die Pandemie eingesetzt wurde. Dies habe Kuba der Weitsicht Fidels zu verdanken, der „in sehr ungewissen Tagen die Entwicklung der Biotechnologie, die Produktion von Medikamenten und Impfstoffen sowie die Ausbildung von Ärzten“ vorantrieb.
- Abschließend würdigte Díaz-Canel die Gründer der Revolution, und dabei insbesondere Raúl Castro als Beispiel eines „authentischen Revolutionärs, der nie mit dem Werk, das er anführt zufrieden ist, immer dem Herzschlag der Gesellschaft lauscht und sensibel gegenüber dem ist, was dem Volk dient oder schadet. […] Unsere Generation ist sich der Verantwortung bewusst, die sie übernimmt […] und erklärt vor der historischen Generation, dass sie sich geehrt und stolz fühlt, der Revolution Kontinuität zu verleihen.“