Die Wahrheit siegt
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Brasilien: Expräsident Lula meldet sich mit emotionaler Rede zurück
Von Carmela Negrete
Nachdem ein Gericht am Montag alle vier Urteile gegen Brasiliens Expräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva kassiert hatte, hat der linke Politiker sich nun auf beeindruckende Weise zurückgemeldet. In einer knapp zweistündigen und im Fernsehen übertragenen Rede in der Zentrale seiner Metallarbeitergewerkschaft in São Bernardo do Campo im Bundesstaat São Paulo erklärte Lula am Mittwoch (Ortszeit): »Ich wurde Opfer der größten Justizfarce seit 500 Jahren.«
Jedoch sei er sich sicher gewesen, dass dieser Tag kommen werde, betonte Lula am Mittwoch. »Ich hatte Gewissheit, dass die Wahrheit siegen würde.« Auch deshalb habe er sich nicht ins Ausland abgesetzt. Statt dessen musste der Linkspolitiker für insgesamt 580 Tage ins Gefängnis – für angebliche Korruptionsvergehen. Die Ermittlungen gegen ihn hatte Lula stets als politisch motiviert kritisiert. Nun urteilte auch der Oberste Gerichtshof, dass der Richter, der Lula verurteilt hatte, nicht dazu befähigt gewesen war. Die Verurteilung verhinderte 2018 seine Kandidatur um das Amt des Staatschefs, Umfragen hatten ihm den Sieg vorhergesagt.
Die emotionale Rede des Politikers der Arbeiterpartei (PT) steht für die Hoffnung vieler Brasilianer, dass der Alptraum der Ära des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro und von dessen neoliberaler und rassistischer Politik zu Ende gehen kann. Denn mit der Aufhebung seiner Verurteilungen gewinnt Lula auch seine politischen Rechte zurück – und könnte bei der Wahl 2022 gegen den Amtsinhaber antreten. Auf die Nachfrage eines Journalisten ließ der Linkspolitiker am Mittwoch jedoch offen, ob er kandidieren wird.
Trotzdem erklärte Lula in Wahlkampfmanier: »Das Leiden, das das brasilianische Volk durchmacht, ist unendlich größer als jedes Verbrechen, das gegen mich begangen wurde.« Zudem kündigte er eine Rundreise durch das Land an. Angesichts der desaströsen Bilanz der Regierung von Bolsonaro, die zu Hunderttausenden Opfern in der Coronapandemie und rasant zunehmender Armut geführt hat, forderte er »Impfstoff für alle und Soforthilfe jetzt«.
Der Hoffnungsschimmer für die Linke kommt in einem Moment, in dem die Pandemie in Brasilien mehr und mehr außer Kontrolle gerät. Am Mittwoch meldeten die Behörden erstmals mehr als 2.000 im Zusammenhang mit dem Coronavirus Gestorbene innerhalb von 24 Stunden. Besonders die zuerst in der Amazonasmetropole Manaus entdeckte Virusmutation verbreitet sich derzeit rasant. Zudem nimmt die wirtschaftliche Not großer Teile der Bevölkerung immer weiter zu.
Im Anschluss an die Gerichtsentscheidung vom Montag wetterte die bürgerliche Presse gegen einen möglichen Präsidenten Lula. Am Mittwoch machten Gerüchte die Runde, dass sich auch Teile des Militärs gegen eine Kandidatur des Linken stellen könnten. Auf ein entsprechendes Kommuniqué des Reservistenverbandes »Clube Militar« reagierte Lula gelassen und erklärte, während seiner acht Jahre an der Spitze des Staates habe er »nie ein Problem mit dem Militär« gehabt.
In seiner Zeit als Präsident zwischen 2003 und 2010 schaffte es der Linkspolitiker unter anderem mit Sozialprogrammen, die Armut in Brasilien um ein Viertel zu reduzieren. Zudem setzte unter ihm eine bedeutsame wirtschaftliche Entwicklung ein. Bolsonaro arbeitet seit seinem Amtsantritt daran, diese Errungenschaften zunichte zu machen. Eine Kandidatur von Lula wäre für den Großteil der brasilianischen Bevölkerung eine gute Nachricht.