In Alarmbereitschaft
Bolivien: Nach Verabschiedung von Wahlgesetz Generalstreik und Blockaden vorerst ausgesetzt. Linke will wachsam bleiben
Von Volker Hermsdorf
In Bolivien haben der Gewerkschaftsdachverband COB (Central Obrera Boliviana) und mehrere soziale Bewegungen am Freitag (Ortszeit) angekündigt, den Ende vergangenen Monats begonnenen Generalstreik sowie die landesweiten Straßenblockaden vorerst auszusetzen. Der Beschluss erfolgte, nachdem De-facto-Präsidentin Jeanine Áñez am Vortag ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz unterzeichnet hatte, nach dem die mehrfach verschobenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen nun zwingend bis zum 18. Oktober stattfinden müssen.
Die frühere Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (Movimiento al Socialismo, MAS) hatte ein solches Gesetz zur Bedingung für ihre Zustimmung zu einer erneuten Verschiebung der zuletzt für den 6. September angesetzten Wahlen gemacht. MAS-Präsidentschaftskandidat Luis Arce hatte verlangt, dass ein neuer Termin »endgültig« sein und per Gesetz als »verbindlich« festgeschrieben werden müsse. Auch der im Oktober 2019 gewählte und einen Monat später von den Putschisten gestürzte frühere Präsident Evo Morales, der den Wahlkampf seiner Partei aus dem argentinischen Exil koordiniert, begrüßte das neue Wahlgesetz. Durch dessen Verabschiedung und die vorläufige Beendigung der Blockaden sei »ein Massaker verhindert« worden, erklärte Morales, nachdem örtliche Medien zuvor über verstärkte Angriffe von Polizei, Armee und rechten paramilitärischen Kräften auf Demonstranten in El Alto, La Paz und Cochabamba berichtet hatten.
Die Vereinten Nationen bezeichneten die Einigung am Wochenende als Fortschritt, weil es jetzt »Garantien rund um den Wahltermin« gebe. Diese Sicherheit könne dazu beitragen, »die politische Spaltung und die Ungewissheit zu überwinden, die viele Bereiche der bolivianischen Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft betrafen«, erklärte Jean Arnault, der persönliche Vertreter von UN-Generalsekretär António Guterres für das Land. Arnault forderte die staatlichen Organe auf, sich jetzt »an den Bemühungen um faire, transparente, friedliche und alle Seiten einschließende Wahlen zum festgelegten Termin zu beteiligen«.
COB-Generalsekretär Juan Carlos Huarachi, dessen Organisation zunächst auf dem 6. September bestanden und dann den 11. Oktober als Wahltag ins Gespräch gebracht hatte, bezeichnete das Gesetz am Freitag in einer Pressekonferenz als »Teilsieg«. Er befürchte allerdings, dass das durch den Staatsstreich an die Macht gelangte Putschistenregime einen möglichen Wahlsieg der Linken nicht akzeptieren werde. Die Gewerkschaftszentrale habe die Protestaktionen auch deshalb ausgesetzt, um deren Teilnehmer vor weiteren Angriffen von Polizei, Armee und rechten Gewalttätern zu schützen, sagte Huarachi. Erst am Donnerstag hatten schwer bewaffnete militante Stoßtrupps die COB-Zentrale und das Büro des Frauenverbandes der indigenen Bäuerinnen »Bartolina Sisa« in La Paz mit Sprengstoff, Steinen und Farbbeuteln attackiert.
Die Vertreter von Gewerkschaften, sozialen Verbänden und indigenen Organisationen warnen deshalb davor, dass die Putschisten eine Eskalation suchen könnten, um die erneute Absage der Wahlen zu rechtfertigen. »Der Kampf für die Demokratie in Bolivien ist nicht zu Ende, wir bleiben wachsam«, versicherte Huarachi. Auch der »Einheitspakt« der indigenen und bäuerlichen Sozialorganisationen, der sich ebenfalls für eine Aussetzung der Straßenblockaden bis zum 18. Oktober ausgesprochen hatte, rief dazu auf »in Alarmbereitschaft« zu bleiben.
Wie das Onlineportal Resumen Latinoamericano berichtete, wollen vereinzelte Gruppierungen in mehreren Regionen des Landes den Kampf gegen das Regime fortsetzen. In El Alto erklärten Nachbarschaftskomitees, Bauernorganisationen, die Vereinigung der Landarbeiter »Tupac Katari«, Vertreter der Bergarbeitergewerkschaft und andere Aktivisten, die Blockaden aufrechtzuerhalten. Sie verlangen, dass die Putschisten »für den Staatsstreich, die Verfolgung von Oppositionellen und die Morde an Demonstranten« zur Rechenschaft gezogen werden. »Wir kämpfen weiter und setzen nicht mehr auf die Wahlen, sondern wollen, dass Áñez verschwindet«, zitierte Resumen Latinoamericano die Gegner des Putschistenregimes aus El Alto.
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