Was geschieht mit uns, nachdem wir das Virus überwunden haben
Nicht wenige Botschaften in den sozialen Netzen prognostizieren, dass wir nach der epidemiologischen Krise, die wir heute erleben, alle besser und solidarischer sein würden, das Leben mehr zu schätzen wüssten und vor allem in der Lage sein würden, eine andere, bessere Welt aufzubauen
april 14, 2020 11:04:13
Nicht wenige Botschaften in den sozialen Netzen prognostizierten, dass wir nach der epidemiologischen Krise, die wir heute erleben, alle besser und solidarischer sein würden, das Leben mehr zu schätzen wüssten und in der Lage wären, eine andere bessere Welt aufzubauen.
Ohne jedoch pessimistisch sein zu wollen, sollten wir davon ausgehen, dass die Welt aus dieser Krisis nicht notwendigerweise, quasi spontan, als geläutert hervorgehen wird, einfach nur, weil wir das so wünschen. Ganz im Gegenteil hat Naomi Klein in ihrem Buch „Die Schock-Strategie“ dokumentiert, wie weltweit in den letzten Jahrzehnten die Krisenszenarien (in denen die Bevölkerung in Angst und Orientierungslosigkeit versinkt, die Volkswirtschaften verwüstet und die Staaten in ihrer übertriebenen Reaktionsfähigkeit zurückbleiben) das geeignete Terrain waren, um strukturelle Wirtschaftsreformen zugunsten des freien Marktes und zum Nachteil des Gemeinwohls durchzuführen. Das Fortschreiten der Privatisierungswelle demontierte die soziale Rolle des Staates sogar in so strategischen Bereichen wie Gesundheit oder nationale Verteidigung. Die Ausgaben für Soziales wurden heruntergefahren und die Prekarisierung der Beschäftigungsbedingungen hat die Basis der von den Arbeitern in so vielen Jahren des kollektiven Kampfes erreichten Sicherheiten zerstört und sie völlig schutzlos zurückgelassen. Der Neoliberalismus konnte keine günstigeren Bedingungen finden, um sich durchzusetzen, als die Katastrophe und er ging so weit, diese selbst zu schaffen: die Kriege im Mittleren Osten, die zynisch im Namen der Demokratie inszeniert wurden sind dafür das deutlichste Beispiel. Sie waren ein äußerst lukratives Geschäft, während man gleichzeitig die Toten unter der Zivilbevölkerung als Kolateralschaden abtat. In Lateinamerika ist Ecuador einer dieser pragmatischen Fälle, die zeigen, wie das Vakuum der sozialen Funktion des Staates die Grundlage für das Debakel im Gesundheitsbereich wird, das uns heute einen Schrecken einjagt. Aber in diesen Tagen gibt es ähnliche Fälle im Überfluss.
Die Krise ist systemisch und kann nur als solche verstanden werden. Die Globalisierung versprach, dass der wirtschaftliche Fortschritt die Grenzen hinwegfegen werde, und dass nur er allein zu einer sozialen Entwicklung mit sich bringen würde, Aber in der Praxis führte seine neoliberale Tendenz grundsätzlich zur Privatisierung der Gewinne in den Händen einer verschwindend kleinen Weltelite und zum Abwälzen der Kosten auf die Gesellschaft. Das Ergebnis? Das sehen wir heute: Die Kosten dafür werden mit Leben bezahlt, und was weiterhin universalisiert wird ist der Tod der am meisten benachteiligten Menschen.
Wie sehr sich das neoliberale Denken auch bemüht, uns zu überzeugen, dass jeder sich allein retten könne, ist die Wirklichkeit, die es vor uns verbirgt, eine andere: Angesichts der systemischen Krise sind biographische Lösungen unzureichend. Es ist nicht schlecht, dass wir versuchen, bessere Menschen zu sein, wenn wir einmal diese Krise überwunden haben, dass wir das Leben mehr zu schätzen wissen und die Zeit, die wir mit denjenigen verbringen, die wir lieben, besser nutzen, dass wir unsere Verbindungen wieder auffrischen und öfter ich liebe dich sagen, oder damit beginnen, das mehr zu genießen, das wir haben. Es wäre schön, wenn uns das gelänge. Jeder Prozess des persönlichen Wachstums ist notwendig, aber er unterhöhlt nicht die Strukturen der Macht, die für die humanitäre Krise verantwortlich sind, die wir heute erleben und die sich immer wiederholen kann. Unser persönliches Wohl, auch das, was mit unserer Zufriedenheit mit uns selbst und unseren engsten Beziehungen zu tun hat, wird nur vollkommen, wenn wir die Fähigkeit eines kritischen Bewusstseins für die Gesellschaft, die Kultur und die Epoche, in der wir leben, entwickeln und uns auf dem Weg bis zur letzten Konsequenz die kollektiven Sicherheiten und das Gemeinwohl zu verteidigen, mit anderen zusammengehen.
Es gilt den Blick über das rein Individuelle hinaus zu richten, die Welt im Blickpunkt zu haben und besser zu versuchen das System zu verstehen, das weltweit die Verwüstungen anrichtet, die wir erleben. Wir dürfen an diesem Punkt der Geschichte dem Kapitalismus keine Konzessionen machen: Welches andere System können wir für den Klimawandel verantwortlich machen, für die prekären Arbeitsbedingungen von Millionen von Menschen, den Tod der am meisten Benachteiligten durch heilbare Krankheiten, für Hunger und Kriege, für das Fehlen von Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten für weite Teile der Weltbevölkerung, für die Prekarität der Gesundheitssysteme während gleichzeitig Millionen von Dollar zur Herstellung von Vernichtungswaffen ausgegeben werden, weil das lukrativer ist?
Es ist notwendig, von überall, wo uns dies möglich ist, die Alternative zu verteidigen, die gegen die Hegemonie gerichtet ist und diese besteht im Aufbau des Sozialismus, der Rechte und Garantien, die die Kubanische Revolution erobert und an denen sie festgehalten hat. Die Fähigkeit zu schätzen, die der kubanische Staat immer gezeigt hat und die heute wieder besonders deutlich wird, indem er das Recht jedes Menschen auf das Leben über alles stellt.
Und das ist in einer Welt, in der wir jetzt leben, keine Kleinigkeit. Wir möchten, dass unsere Gesellschaft sich weiter zum Guten hin verändert, dass es nicht an kritischem revolutionären Bewusstsein fehlt und dass dies systematisch ausgeübt wird, dass sich die Räume und die Wege der politischen Partizipation vervollkommnen, aber dass Veränderungen Kritik und Partizipation weiterhin die Verteidigung des Gemeinwohls durch den Sozialismus als Horizont haben.
http://de.granma.cu/mundo/2020-04-14/was-geschieht-mit-uns-nachdem-wir-das-virus-uberwunden-haben