Die Wahrheit siegt leise
Nach Freispruch für führende Linkspolitiker in Brasilien: Expräsidentin Dilma Rousseff kritisiert Rolle großer Medien
Von Hannah Lorenz
Die Verleumdungen bleiben in der Welt. Brasiliens 2016 durch ein Komplott gestürzte Präsidentin Dilma Rousseff wirft den Medien des Globo-Konzerns vor, sie würden ihm politisch nicht genehme Nachrichten über die linke Arbeiterpartei PT zu wenig beachten. Globo agiere »gegen die Pressefreiheit« twitterte Rousseff am Donnerstag (Ortszeit). »Die Lüge wurde als absolute Wahrheit behandelt und der Freispruch wurde versteckt«, warf sie der einflussreichen Tageszeitung O Globo vor. Die Politikerin verwies auch auf den großen Raum, den die Nachrichtensendungen des TV-Netzwerkes im September 2017 anders als heute ihren Berichten über die Beschuldigungen gegen führende Köpfe der PT eingeräumt hatten.
Die Story ist reißerisch: Der damalige Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot hatte Rousseff und Genossen – allen voran ihren Amtsvorgänger Luiz Inacio Lula da Silva – beim Obersten Gerichtshof wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Die Investitionspolitik während der PT-geführten Regierungen von 2002 bis 2016 habe demnach dem Zweck gedient, Schmiergelder in Milliardenhöhe einzusammeln. Am Mittwoch erklärte ein Bundesrichter in der Hauptstadt Brasília die Anklagekonstruktion für Humbug. Rousseff, Lula, die früheren Finanzminister Antonio Palocci und Guido Mantega sowie den ehemaligen PT-Schatzmeister João Vaccari Neto sprach er frei. Zuvor hatte im Oktober die Bundesstaatsanwaltschaft die Abweisung der Anklage beantragt. Im Urteil wird festgestellt, dass die Klage aus haltlosen Behauptungen besteht. Es habe sich um den Versuch gehandelt, »politisches Handeln zu kriminalisieren«. Als Medieninszenierung war er erfolgreich: Der Fall diente zur Dämonisierung der PT.
Auch keine tolle Presse hat gerade der nun im Ruhestand befindliche Ankläger. Im September sorgte PT-Feind Janot mit der Veröffentlichung seiner Memoiren und Interviews für Aufsehen. Darin berichtet er von seinem Plan, den Obersten Richter Gilmar Mendes während einer Sitzung im Mai 2017 zu erschießen und sich anschließend selbst zu töten. Als Motiv nannte er Verdächtigungen, die Mendes gegen seine Tochter gestreut haben soll, eine für den Baukonzern OAS tätige Anwältin. Erst in letzter Minute will sich Janot besonnen haben. Mendes sieht den Alkohol als dessen größten Feind. Der Richter, selbst eine schillernde Figur, kritisiert öffentlich die rechtswidrigen Praktiken der Korruptionsermittler der Operation Lava Jato. Ermittler, die auch Lula – für 580 Tage – ins Gefängnis brachten.
Wenig Gutes gibt es indes aus der Wirtschaft zu vermelden: Fast ein Jahr nach Antritt des faschistischen Präsidenten Jair Bolsonaro zeichnet sich weiter kein Aufschwung am Arbeitsmarkt ab. 12,4 Millionen Menschen haben offiziell keinen Job, das entspricht 11,6 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung. Für das dritte Quartal 2019 weisen die Zahlen des nationalen Statistikamts IBGE neue Rekorde bei Selbständigen sowie für den informellen Sektor aus. In diesem schlagen sich 11,9 Millionen Menschen ohne Arbeitsvertrag durch. Das sind 2,2 Millionen mehr als auf dem tiefsten Stand 2016 noch während der Regierung von Rousseff und PT. Am Freitag beschimpften Bolsonaro-Anhänger unter den Passagieren eines Inlandsflugs die frühere Staatschefin als »Gaunerin«. Diese habe Brasilien »kaputt gemacht«.
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