Lateinamerika Karibik Initiative – Konferenz 2019 des Auswärtigen Amtes am 28./29.5.2019 in Berlin
von Angelika Becker, 31.5.2019
Eigentlich waren es zwei Veranstaltungen. Am ersten Tag die LKI und am zweiten Tag gemeinsam mit re:publica: Future Affairs Berlin 2019: Digital Revolution – Resetting Global Power Politics?, weniger diplomatisch, mehr Fachleute und junge Menschen, unkonventioneller gekleidet.
Eingeladen worden waren die Außenminister der Region (außer dem Außenminister von Venezuela). 29 waren der Einladung gefolgt, außerdem die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, und die Exekutivsekretärin der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik – CEPAL, Dr. Alicia Bárcena, sowie Vertreter der deutschen Wirtschaft, darunter der Vorsitzende der Siemens AG, Joe Kaeser. Neben den offenen Foren gab es auch geschlossene Veranstaltungen zu den Themen Klimawandel und Städte als Zukunftslabore. Am Nachmittag fand die Gründung des Frauennetzwerks Unidas statt.
Thematisch war die Veranstaltung breit angelegt: Wirtschaft, Politik, Frauenrechte und Kultur, auch die USA, Japan, Indien und Afrika waren vertreten sowie ein chinesischer Dissident: Xiao Qiang.
- Es wurde eine Studie von McKinsey vorgestellt, die konstatiert, dass das Engagement deutscher Unternehmen in Lateinamerika weit unter ihren Möglichkeiten liegt, nur 2,6 % ihrer Exporte geht in diese Region, während China in einigen der Länder der Region schon der größte Handelspartner ist, darüber hinaus auch ein bedeutender Kreditgeber mit rund 6% Zuwachs pro Jahr. Und hier sind wir beim Thema, das die Konferenz an beiden Tagen bestimmte: es sollte eine Front geschmiedet werden gegen den wachsenden Einfluss Chinas in der Welt, sowohl im Bereich der Technologie allgemein als auch in der digitalen Welt. Dazu wurden die gemeinsame (Kolonial)geschichte, kulturell und demokratisch, beschworen, die Wertegemeinschaft und der Multilateralismus. Die bislang in Lateinamerika vorherrschende und die Strukturen des Subkontinents bestimmende Politik der USA wurde nicht explizit angesprochen, allenfalls als derzeit unberechenbar dargestellt.
- Im deutschen und europäischen Interesse liegt der baldige Abschluss des Handelsvertrages mit Mercosur (Mercado Común del Sur), also eines Freihandels-Abkommens, das in Lateinamerika zu einer gleicheren Gesellschaft und Wohlergehen beitragen soll. Herr Kaeser sprach offen davon, dass es dabei um den Wettbewerb um Ressourcen gehe, in einer „guided economy“. Die Rolle des Staates in den lateinamerikanischen Staaten ist unterschiedlich, oftmals eng verknüpft mit den wirtschaftlichen Eliten, wohingegen der Präsident von Costa Rica die Bedeutung des Staates für das Wohlergehen der Völker am Beispiel des staatlichen Gesundheitswesens in seinem Land herausstellte. Aus europäischer Sicht wäre mehr Rechtsstaatlichkeit, die Bekämpfung von Kriminalität und Korruption, die Stärkung der Zivilgesellschaft und der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel wünschenswert, die Länder des Südens betonen den Wunsch nach mehr Technologietransfer.
- Es blieb Aufgabe von Frau Bárcera, CEPAL, festzustellen, dass die europäischen Staaten bisher meist bilaterale Partner von Staaten der Region sind, die von einer hohen sozialen Ungleichheit gekennzeichnet sind, die durch das Kriterium eines „mittleren Einkommen“ nicht erfasst wird, dass strukturelle Veränderungen erforderlich sind und eine Steigerung der Produktivität die zentrale Aufgabe ist. Dazu ist aus ihrer Sicht die „innere Integration“ Lateinamerikas notwendig mit verbesserter Infrastruktur für die Produktion (Stichwort erneuerbare Energien und Technologie) und Qualifizierung der Bevölkerung – hier sieht sie eine Aufgabe für Europa. Und darüber hinaus brauchen insbesondere die Länder Zentralamerikas eine Schuldenerleichterung oder gar -streichung. Aber auch Daniel Barenboim (in Argentinien geboren, perfektes Spanisch; Thema „Kultur“) sprach von der noch ausstehenden Überwindung des Kolonialismus und der erforderlichen Entwicklung einer eigenen Identität, damit die Länder des Südens globale Akteure werden können, denn die Länder des Nordens „kennen uns nicht“.
- Frau Bachelet betonte die besondere Rolle der Frauen beim sozialen Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit, die ausschlaggebend für die Zukunft unseres Planeten sei. Die konkrete Situation der Frauen in den einzelnen Ländern stellt sich sehr unterschiedlich dar hinsichtlich der Teilhabe von Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Problem: die verbreitete sexuelle Gewalt gegen Frauen.
- Daher ist laut Maas die Gründung eines globalen Frauen-Netzwerks notwendig, was empowerment und best practise verallgemeinern soll zu den Themen: Gleichstellung – Gerechtigkeit – Demokratie und „ni una más“ (gegen sexualisierte Gewalt). Eine Gründungserklärung von Unidas gibt es offenbar nicht, auch die Herkunft der bisherigen Zusammensetzung blieb offen genauso wie der Adressat für eine Erweiterung des Kreises (in einem Artikel von Heike Händel wurde moniert, dass nicht an die bereits national existierenden Frauennetzwerke angeknüpft werde). Aber man will sich dem push back gegen Frauenrechte entgegenstellen. Gerade im Kampf für Frieden und Sicherheit sei die Rolle der Frauen von großer Bedeutung. Die Integration von Frauen in die demokratische Gesellschaft müsse zum Anliegen Aller gemacht werden. Dabei könne es nicht bei Resolutionen bleiben, die Strukturen müssten genutzt und verändert werden, insbesondere der Justizbereich ist männlich dominiert. Der Weg: als troublemaker auftreten, die Stimme erheben, aber nur digitale Plattformen reichen nicht aus, es müssen Anknüpfungspunkte zu realen Aktivitäten vor Ort gefunden werden (Teresa Bücker, Journalistin).
- Die „digitale Revolution“ hat sich bereits als game changer erwiesen, was deutlich macht: in einer offenen Gesellschaft muss es Regeln geben für die politische Vernetzung, die Zivilgesellschaft und die Unternehmen, gegen Desinformation. Für re:publica ist Voraussetzung: freie Software, eine Zusammenarbeit in Echtzeit und: wo ist die Organisation oder Plattform, wo man über die Ziele zum Nutzen der Menschen redet. Offenbar ist die digitale Welt zum Kampffeld geworden, mit flexiblen Grenzen zwischen Krieg und Frieden, für Demokratie, Werte und Interessen, ein Instrument der Macht, sei es sog. offener Gesellschaften, sei es autoritärer Gesellschaften, daher sei es notwendig, staatliche oder private Angriffe zu bekämpfen, auch zur Sicherung knapper Ressourcen. Die Nutzung digitaler Technik ist in der Welt unterschiedlich ausgeprägt in Abhängigkeit von den ungleichen Möglichkeiten der jeweiligen Gesellschaft.
Ein brasilianischer Vertreter vertrat die Position, dass in diesem globalen Konflikt China gewinnen wird, wenn sich die gegenwärtig ungeeignete US-Politik nicht ändert, die ausschließlich auf Druck aufgebaut ist. Dabei gehe es doch um globale Standards im Spannungsfeld zwischen den westlichen und autoritären Gesellschaften, oftmals schon auch bei Nutzung chinesischer Technik, wobei einerseits vor zu großer staatlicher Macht gewarnt wird, andererseits die Macht der privaten Unternehmen schon heute völlig intransparent ist. Auch hier war es Frau Bárcena vorbehalten zuzuspitzen: Wird die Demokratie überleben? Die Veränderungen überschreiten fast unser Fassungsvermögen und politische Steuerungskompetenzen. Die erhebliche Konzentration von Macht und Finanzen führt zu wachsender Ungleichheit, wenige Unternehmen und Länder beherrschen unsere Gehirne. Wo bleibt das Gemeinwohl dabei? Die digitale Revolution verändert auch unsere Wirklichkeit und unsere Aufmerksamkeit – wir sind so beschäftigt, dass wir keinen Einfluss mehr nehmen. Wir laufen auf eine zweifache Hegemonie zu: die der USA und die Chinas. Aus ihrer Sicht sind Demokratie und Multilateralismus zwei Seiten einer Medaille, es geht also um Partizipation im Interesse der Allgemeinheit. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass das Bewusstsein über diese Situation nicht ausreichend vorhanden ist, nur eine allgemeine Unzufriedenheit breitet sich aus. die zu Zweifeln an den demokratischen Institutionen führen.
- Hat sich der ungeheure Aufwand dieser Konferenz für das Auswärtige Amt gelohnt? Offenbar ein Baustein im globalen Kampf um die Macht über die Zukunft mit Frontstellung gegen China und für eine eigenständige Rolle Europas in diesem Konflikt.