Revolution der Nachhaltigkeit
Kuba setzt verstärkt auf Klimaschutz
Die Länder der Karibik tragen weit unterdurchschnittlich zur Produktion von Treibhausgasen bei, sind aber stark von Klimawandelfolgen wie der Zunahme von Hurrikans betroffen. Dennoch wird eine aktive Klimaschutzpolitik in der Region fast nur von Kuba verfolgt. Was sind die Hintergründe der kubanischen Anstrengungen in Sachen Klimaschutz?
von Edgar Göll
Die karibischen Inselstaaten sind bereits heute stark vom Klimawandel betroffen. Nach Einschätzung von Studien der Klima- und Klimafolgenforschung werden sie dies künftig in noch größerem Maße sein.1 Die negativen Effekte des Klimawandels zeigen sich in ausbleibendem Regen, zerstörerischen Wirbelstürmen, dem Anstieg des Meeresspiegels und der Versalzung des küstennahen Grundwassers.
Mehrere Karibik-Staaten liegen an der »Straße der Hurrikane«, jenem Gebiet im mittleren Nordatlantik, in dem aufgrund ansteigender Luftfeuchtigkeit sowie spezifischer Meeres- und Windströmungen immer häufiger Windwirbel entstehen, die zu starken Hurrikans werden. Solche Tropenstürme der höchsten Intensitätsstufe haben in den vergangenen Jahren beispielsweise auf Puerto Rico und Kuba verheerende Schäden angerichtet. Die Häufigkeit dieser Extremwetterphänomene steigt und führt immer wieder zu Katastrophen. Die Menschen in der Region leiden unter den Folgen. Die kumulierten Kosten dieser Desaster sind von den Staaten kaum zu verkraften. Zudem sind die Behörden häufig überfordert.
In einem Bericht der Organisationen FAO / ECLAC / ALADI von 2016 heißt es: »Paradoxerweise ist die Region, obwohl sie im Vergleich zu anderen einen geringeren Beitrag zum Klimawandel in Bezug auf ihre Treibhausgasemissionen leistet, besonders anfällig für ihre negativen Auswirkungen.« Im Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) vom Oktober 2018 wird betont, dass jede weitere Erwärmung der Atmosphäre und die damit verbundene Bodenerosion die Ernteerträge von Mais, Reis und Getreide gerade in Zentralamerika verringern und deren Qualität verschlechtern wird. Drastische Auswirkungen auf Landwirtschaft und Ernährungssicherheit sind vorprogrammiert. Nach Ansicht von FAO / ECLAC / ALADI erfordert die Beseitigung des Hungers in Lateinamerika und der Karibik einen Paradigmenwechsel hin zu einem vollständig nachhaltigen Agrarmodell, das natürliche Ressourcen schützt, eine gerechte sozioökonomische Entwicklung fördert und die Auswirkungen des Klimawandels mindert.
Klimaschutz als Lebensaufgabe
Wie andere Karibikländer steht Kuba vor schwierigen Herausforderungen, vor allem im Bereich der Wirtschaft und der Versorgung. Die kubanische Regierung hat die Bedeutung von Umweltschutz dabei früh erkannt, wie in Biografien führender Persönlichkeiten aus den 1960er Jahren deutlich wird. Im Kontext des UN-Gipfels für Umwelt und Entwicklung 1992 wurde Nachhaltigkeit in der Verfassung verankert. In der Folge wurden zahlreiche konkretisierende Gesetze erlassen und umsetzungsorientierte Programme gestartet. Auch in der neuen kubanischen Verfassung, die gerade per Volksabstimmung angenommenen wurde, ist in Artikel 13 definiert: »Der Zweck des Staates besteht darin, folgendes zu erreichen (…) Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, die gewährleistet: individuellen und kollektiven Wohlstand, die Erreichung eines höheren Niveaus an Gerechtigkeit, sowie die Erhaltung und Vermehrung der Errungenschaften der Revolution.« Klimapolitik ist ebenfalls als Ziel verankert.
Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist auf Kuba integraler Bestandteil von Politik und Gesellschaft. Auch wenn Soll und Ist teilweise stark auseinanderklaffen: In Bereichen wie Energie, Bildung, Landwirtschaft oder Tourismus sind bemerkenswerte Erfolge festzustellen. Das belegen international vergleichende Studien wie der SDG Index Report 2017. Laut ihm führen die skandinavischen Länder das Ranking an; Kuba liegt mit Platz 29 weit vor fast allen anderen Ländern der Karibik.
Aufgrund der Betroffenheit durch Hurrikane und andere Wetterphänomene begann die Forschung zum Klimawandel in Kuba bereits 1991 durch die Kubanische Akademie der Wissenschaften. Seither werden systematisch Gefahren-, Verletzlichkeits- und territoriale Risikostudien zur Katastrophenvorsorge durchgeführt. Als Bilanz all dieser Studien lässt sich festhalten: Das Klima in Kuba wird immer wärmer und extremer, es gibt große Schwankungen der Niederschläge, seit 1960 haben sich Häufigkeit und Ausmaß von Dürren erheblich erhöht und der Meeresspiegel ist schnell gestiegen. Vor allem wurde festgestellt, dass die Überschwemmungen der Küstengebiete durch verstärkte Meeres- und Wellenströmungen die größte Gefahr darstellen. Sie haben auch starke negative Auswirkungen auf das Naturerbe und die Bausubstanz.
Vor diesem Hintergrund wurde im April 2017 vom Ministerrat Kubas der Klimaschutzplan »Tarea Vida« (Lebensaufgabe) genehmigt. Das zuständige Umweltministerium hat umfangreiche Maßnahmen und Investitionen vorgesehen. Geplant wird kurzfristig bis sehr langfristig (bis ins Jahr 2100). Das Ziel besteht darin, die für Kuba prognostizierten starken klimatischen Veränderungen und die damit verbundenen Schäden abzuwenden oder zumindest zu minimieren. Dabei handelt es sich um einen ganzheitlichen, systemischen Ansatz, der folgende Bereiche umfasst: Sicherung der Verfügbarkeit und effiziente Nutzung des Wassers, Wiederaufforstung zum Schutz von Boden und Wasser, Schutz der Korallenriffe und deren Sanierung, Erneuerbare Energie und energetische Effizienz, Nahrungsmittelsicherheit, Gesundheit und Tourismus.
Umgesetzt wird dies beispielsweise im Bereich der Bauplanung, etwa indem Neubauten nicht mehr in Küstennähe erlaubt sind. Solche Pläne einzuhalten ist jedoch voraussetzungsvoll und dürfte nur selten im vorgesehenen Zeitraum und Umfang gelingen. Hinzu kommen erschwerende Bedingungen: Die Wirtschaftsblockade durch die USA dauert an, ebenso die Krise in Venezuela, dem engsten regionalen Partner Kubas. In einem wichtigen klimapolitischen Bereich jedoch konnten mittels großer Anstrengungen schon Erfolge verzeichnet werden: bei der Energie.
Erfolgreiche Energiewende
Mit dem Ende der realsozialistischen Staaten fielen 1991 abrupt 85 Prozent des kubanischen Außenhandels weg, das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte um ein Drittel. Diese Krise nahm Kuba zum Anlass, um im Bereich der Energieerzeugung und -nutzung umzusteuern. Es wurde mit alternativen Energiequellen experimentiert, insbesondere Biomasse, Wind- und Sonnenenergie. 2005 wurde die »Energierevolution« gestartet. Zu den Maßnahmen gehörte der flächendeckende Austausch von »Energiefressern« in Haushalten. Alte Haushaltsgeräte wie Ventilatoren, Elektrokocher, Dampfdrucktöpfe, Kühlschränke sowie Glühlampen wurden gegen energiesparende Varianten ausgetauscht.
Weitere Bausteine der Energiewende waren die Verstärkung des Stromnetzes, um Netzverluste zu reduzieren, der Neubau von effizienten Kraftwerken, die Dezentralisierung der Stromerzeugung, der Ausbau von regenerativen Energiequellen sowie die Anhebung der Stromtarife bei hohem Verbrauch. Flankiert wurde all dies durch eine Bildungs- und Werbekampagne, etwa durch TV- und Radiosendungen, Zeitungsberichte, Stadtteildiskussionen sowie Festivals an Schulen und Universitäten. Der volkswirtschaftliche Nutzen war insgesamt etwa zehnmal so hoch wie die Kosten von etwa vier Milliarden Euro. Vor allem aber wurden allein in den ersten sechs Jahren der Energiewende rund 20 Millionen Megawattstunden Strom eingespart.2
Klimaneutrales Costa Rica
Die Klima- und Nachhaltigkeitspolitik Kubas konnte erstaunliche Ergebnisse erzielen. Das war wohl möglich, weil Kuba ein konzernfreies Land ist. Entsprechende Sonder- und Profitinteressen haben hier geringe Durchsetzungschancen. Verbrauch und Emissionen sind aber auch deshalb niedrig, weil Kuba bislang nur ein geringes Produktionsniveau hat. In der Öffentlichkeit finden die staatlichen Maßnahmen weitgehend Zuspruch, zumal angesichts der Schäden, die durch Umweltverschmutzung aller Art verursacht werden, vor allem aber durch Hurrikans oder Tornados wie jüngst in Havanna. Hierbei spielen auch ökonomische Interessen eine Rolle, denn der Tourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen für Devisen. So gehörten die Tourismusinfrastrukturen der Nordküste Kubas zu den ersten Zielen der Reparaturmaßnahmen.
Zunehmend aktiv in Kuba sind auch internationale NGOs wie FANJ und ECOVIDA sowie zahlreiche Urban-Farming-Projekte. Kubanische Universitäten erforschen die Resistenz neuer Nutzpflanzenarten gegenüber den neuen klimatischen Bedingungen und sind in zahlreichen Projekten engagiert.
In den meisten karibischen Nachbarländern Kubas sind keine nennenswerten Klimaschutzaktivitäten zu verzeichnen. Eine Ausnahme stellt Costa Rica dar, welches bis 2021 klimaneutral werden will. Das Land ist bereits Vorreiter: Es gewinnt 96 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen (meist Wasserkraft) und hat seine Waldfläche in den letzten zehn Jahren um ein Zehntel vergrößert.
Anmerkungen
1 Der Beitrag basiert auf Studien des UNEP, des IPCC, der Weltbank sowie dem »SDG Index and Dashboards Report 2017« der Bertelsmann Stiftung und Sustainable Development Solutions Network.
2 Diese Schätzungen stammen aus: Dieter Seifried (2013): Energierevolution in Kuba. Freiburg, Büro Ö-quadrat, S.11.
Edgar Göll ist Soziologe und Zukunftsforscher in Berlin.