Ein reger, fröhlicher und doch ernsthafter Austausch in der cubanischen Botschaft am 13. 1. 2020 mit Yoerky Sánchez Cuellar
Foto: Uta Hermann
Er war Gast auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz: Yoerky Sánchez Cuellar, Chefredakteur der cubanischen Tageszeitung Juventud Rebelde, Abgeordneter der Nationalversammlung, Mitglied des Staatsrates und Poet. Am Montag danach lud die Botschaft Cubas mit dem Netzwerk Cuba zum Encuentro. Es war ein lockerer Austausch, ein freundschaftliches Gespräch mit der Solidaritätsbewegung – darunter Vertreterinnen und Vertreter des Netzwerks Cuba, von Cuba Sí, der FG BRD Kuba, der FBK, der SDAJ, KarEn und La Estrella de Cuba.
„Wer Cuba verteidigt, verteidigt die besten Werte der Menschheit und nicht nur ein Land“, so stieg der 34jährige Chef der Jugendzeitung Cubas in das Gespräch ein. Juventud Rebelde sei eine Zeitschrift der Jugend und nicht eine des Jugendverbandes der Partei. 1965 wurde sie von Fidel gegründet und soll über das Leben der Jugendlichen in allen Bereichen berichten und vor allem Themen mit hoher Qualität behandeln, welche die Jugend interessieren. Den Namen habe sie bei der Gründungsveranstaltung im Stadion erhalten, als auf Nachfrage von Fidel die einen juventud riefen und die anderen rebelde – da wurden eben beide Vorschläge zusammengefasst.
In den 65 Jahren hat sich Vieles verändert wie z.B. das Format, aber es ist auch mehr als eine Papierzeitschrift geworden. 7 Millionen besuchen die Webseite, 80 % davon aus Cuba und davon die Hälfte vom Handy aus. Sie ist Teil der sozialen Netzwerke, wird über Facebook und Youtube erreicht. Aber auch die gedruckte Zeitschrift entwickelt sich. Demnächst wird sie –wie auch die Granma – in Farbe erscheinen.
Arbeitet ihr mit Universitäten zusammen? Welche Möglichkeiten haben junge Korrespondenten, wollte Marion Leonhardt von der cuba libre wissen.
Yoerky: Das Redaktionskollektiv geht in Schulen und an Universitäten, um zu erfahren, welche Themen gesetzt werden sollen und wie man die Zeitschrift verbessern kann. Studenten können Praktika absolvieren und eigene Artikel schreiben. Es gibt Seiten speziell für Jugendliche, z.B. zur Technik, Sexualität, Ratschläge zum Studium.
Janek von der SDAJ fragte nach der Haltung der Jugend zur Revolution, zu ihrer Gesellschaft. Yoerky wies darauf hin, dass die jungen Menschen spürbar von den Auswirkungen der Blockade betroffen sind: im Bereich der Computerisierung (die dennoch große Fortschritte gemacht hat), im Sport, im Studium, in ihren spezifischen Lebensbedingungen, außerdem sind sie besonders Ziel der Diversion von außen, so dass die ständige und konkrete Information von großer Bedeutung ist, um ein Bewußtsein über die tatsächlichen Verursacher der Situation zu schaffen – die Aufgabe der Juventud Rebelde!
Auf die Frage, wie er mit dem Mangel an Papier umgehe, zeigte Yoerky drastisch die Konsequenzen der Blockade auf. Es gäbe keinen Mangel an Papier sondern einen Mangel an Geld. Wenn versucht wird, alle Finanzierungsquellen zu stoppen und es auch keinen Zugang zu Krediten gibt, dann stellt sich die Frage, wie zu gewährleisten ist, dass die Kinder ihre Schulhefte bekommen oder weiter an Computern arbeiten können. Eine Tonne Papier kostet 9000 Dollar. Um Schulhefte zu kaufen, wurde auf den Druck der Samstagsausgabe verzichtet und Granma, Juventud Rebelde und Trabajadores hätten vorerst an manchen Wochentagen die Seitenzahlen halbiert.
Die Blockade hat Auswirkungen in jedem Bereich. Auch wenn die Regierung versucht, diese in Bereichen wie der Gesundheitsversorgung durch Prioritätensetzung aufzufangen – an alle Medikamente kommt Cuba nicht ran, manche Therapien können nicht angeboten werden. Wenn mehr als 10 % us-amerikanische Bauteile in Produkten stecken, kann Cuba sie nicht kaufen. Die USA versuchen, all dies der cubanischen Regierung in die Schuhe zu schieben. Aber die Jugendlichen kennen die Gründe und reagieren mit Shitstorms und Demos bei den Verschärfungen der Blockade.
Hier wirkt sich auch die Inkohärenz der europäischen Länder aus, die zwar vor der UNO die Blockade verurteilen, sie aber in der praktischen Anwendung nicht bekämpfen. Europäische Firmen werden sanktioniert und akzeptieren das, auch weil die europäischen Institutionen sie nicht unterstützen. Es wäre wichtig, dass die Solidaritätsbewegung diese Inkohärenz aufzeigt und die politischen Ziele des Landes benennt.
Cuba hat trotz der Härte der Blockade und der Angriffe auf seine Finanzierungsquellen am Wachstum und Entwickeln der Gesellschaft festgehalten. Es sind Häuser gebaut worden, die Digitalisierung wurde fortgeführt, keine Schule geschlossen und weder Benzin- noch Elektrizitätspreise sind erhöht worden. Die sehr niedrige Quote der Säuglingssterblichkeit ist gehalten worden, es hat Lohnerhöhungen im staatlichen Sektor gegeben und ein Wirtschaftswachstum. Das ist zwar bescheiden mit 0,5 Prozent, aber immer noch höher als in der Region (0,1 %).
Auch wenn es richtig sei, dass Cuba mehr produzieren muss – so hätten sie den Vietnamesen gezeigt, wie man Kaffee anbaut und müssten ihn heute von ihnen kaufen –, so darf man nicht die negativen Auswirkungen der Blockade gerade auf die Landwirtschaft und die Lebensbedingungen dort und die Abwanderung vom Land in die Stadt unterschätzen. Cubas Feinde argumentieren, das sozialistische System verursache Mangel und Versorgungsprobleme, dabei ist es die verschärfte Blockade, die die Entwicklung entscheidend hemmt.
Angelika Becker wies daraufhin, dass es hier oft den Vorwurf gäbe, die Medien in Cuba seien nicht frei, weil sie nicht in privater Hand seien. In Cuba gehören die Medien dem Volk, wie sichergestellt sei das?
Yoerky erzählte, dass eine Zeitschrift aus Miami bei seiner Ernennung zum Chefredakteur abfällig geschrieben habe, in Cuba könne man gleichzeitig im Staatsrat, Poet und Chefredakteur sein. Die hätten nicht verstanden, dass das doch gar kein Problem sei, weil der Staatsrat dem Volke entstamme, seinen Willen umsetze und es deswegen keine grundlegenden Interessenkonflikte gäbe. In Spanien habe eine Familie einen Großteil der Presse aufgekauft mit dem Ergebnis gleichgeschalteter Titelseiten. In wessen Interesse berichten sie, in dem der Bevölkerung oder in dem eines privaten Unternehmens? Die Presse hat große Macht, und es ist ein großer Widerspruch, wenn die Gesellschaft von einer Mehrheit gestaltet wird, aber eine Minderheit über die Macht verfügt, sich alles privat anzueignen. Nachrichten müssten für die Bevölkerung da sein und dürften nicht von einer Minderheit bestimmt werden.
In Cuba bleiben die Medien in der Hand der Bevölkerung. Allerdings ist das Internet schwer zu kontrollieren. Es gibt Portale, die von außen versuchen, die Bevölkerung zu beeinflussen.
Justo Cruz fragte nach, was sich in Cuba durch die anstehenden Wahlen bei den Provinzstrukturen verändern wird. Am 18. 1. 2020 werden die Gouverneure der Provinzen von den Delegierten der Gemeindeversammlungen gewählt. Die Kandidaten werden vom Staatspräsidenten vorgeschlagen und müssen 51 % der Stimmen erreichen. Ist das nicht der Fall, gibt es einen neuen Vorschlag. Yoerky wies daraufhin, dass alle Ämter abwählbar seien, bis hin zum Präsidenten. Wie der Prozess der Abwahl vonstatten gehen soll, das wird noch in Übergangsgesetzen geregelt. Mitglieder der Regierung und der Präsident können nicht Mitglieder des Staatsrats sein, der als eigenes Organ zwischen den Nationalversammlungen tagt – eine neue Art von Gewaltenteilung. Statt der üblichen zwei Sitzungen im Jahr wird die Nationalversammlung häufiger tagen, um Machtbefugnisse und Rechenschaftspflichten zu regeln. Eine Sitzung wird sich z.B. allein mit dem neuen Familiengesetz beschäftigen. Alle gesellschaftlichen Sektoren möchten gern im Prozess der Gesetzgebung ihren zu regulierenden Bereich prioritär sehen.
Es gibt vier Prioritäten:
- Der ideologische Kampf
Auseinandersetzung mit dem Rechtsruck in Lateinamerika bei Finanzierung von Aufständen von außen und Stärkung des Widerstandes dagegen. - Der ökonomische Kampf
Hier geht es nicht nur um die Blockade, sondern um die Möglichkeiten, durch Widerstand und neue Exporte und Importersatz durch nationale Produktion Wohlstand zu schaffen. Das Zusammenbringen beider Währungen in eine wird dabei helfen.
- Verteidigung des Landes; auch militärisch
- Gesetzgebung voranbringen und damit die neue Verfassung umsetzen
Petra Wegener wies daraufhin, wie erfolgreich die Aktion „Unblock Cuba“ gewesen war und dass wir uns überlegen müssten, wie wir die fortführen können, z.B. aus Anlass des Tages des politischen Gefangenen. Eine Aufgabe müsse es auch sein, die Abonnements für die deutsche Ausgabe der Zeitschrift Granma Internacional zu erhöhen. Bei 18 Euro Abogebühren im Jahr müsste das doch möglich sein. Außerdem schlug sie vor, im Rahmen des Netzwerk Cuba die von der FBK geplante Aktion: „Lesung von 60 Texten gegen 60 Jahre Revolution“ auf breitere Füße zu stellen.
Justo Cruz machte auf die Rolle der Cubaner im Ausland aufmerksam, für die im April in Havanna eine erneute Konferenz organisiert wird. Cubaner im Ausland werden von Yoerky als wichtige Kraft für eine neue Entwicklung angesehen. „Sie sind Kinder Cubas, und ein Vater unterscheidet bei seinen Kindern nicht, ob sie im Ausland wohnen oder nicht“. Schon Fidel hätte gesagt, die Gemeinden außerhalb Cubas müssten respektiert werden.
Wie hätte es da einen besseren Ausklang geben können, als mit einem Grußwort der Organisation der cubanischen Emigranten in der BRD „La Estrella de Cuba“, die daraufhin wies, dass es auch eine patriotische Emigration gäbe, angefangen im 19. Jahrhundert mit dem Widerstand gegen den Kolonialismus und gegründet in Ethik, Liebe und Respekt vor Cuba. Ein Symbol dafür sei auch die Statue von José Marti vor der Botschaft, und diese sei von ihnen, von patriotischen Emigranten, finanziert worden.
Brigitte Schiffler