USA verlieren an Boden
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Diplomatische Offensive Moskaus in Lateinamerika: Mehrere Staaten wollen stärker mit Russland kooperieren. Washington im Hintertreffen
Von Volker Hermsdorf
Russlands Vizepremier Juri Borissow hat auf seiner Lateinamerikareise, die am Mittwoch in Caracas begann, auch Nicaragua und am Freitag zum Abschluss Kuba besucht. Nach offizieller Darstellung ging es dabei um wirtschaftliche Zusammenarbeit und militärische Kooperationen mit den drei befreundeten Ländern. Tatsächlich steckt aber mehr hinter Moskaus diplomatischer Offensive in einer Region, in der immer mehr Staaten Interesse an »strategischen Partnerschaften« mit Russland bekunden. Währen die USA mit der NATO-Osterweiterung und einer heftigen Desinformationskampagne verzweifelt versuchen, Russland zu schwächen, verlieren sie zugleich die Vormachtstellung im einstigen »Hinterhof«.
Außenpolitisch sind die US-Regierungen der vergangenen Jahre, deren diplomatisches Repertoire sich auf Drohungen, Sanktionen und Blockaden beschränkte, in der Region gescheitert. Der Staatsstreich in Bolivien wurde zum Bumerang, Putschversuche in Venezuela und Nicaragua waren ebenfalls ein Fiasko, und die Verschärfung der Blockade gegenüber Kuba – inmitten der Pandemie – zeigte der Welt das wahre Gesicht derer, die sich als Verteidiger von Menschenrechten ausgeben. In Lateinamerika stehen die USA vor einem Scherbenhaufen. Trotz aller Einmischungen der CIA und der von Washington dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wurden in Argentinien, Bolivien, Chile, Honduras, Mexiko und Peru US-freundliche Regimes durch Regierungen abgelöst, die in Russland einen potentiellen Partner sehen.
Die am Wochenende beendete Lateinamerikareise von Borissow war eine Folge von Telefongesprächen, die der russische Präsident Wladimir Putin Anfang des Jahres mit seinen Amtskollegen Miguel Díaz-Canel (Kuba), Nicolás Maduro (Venezuela) und Daniel Ortega (Nicaragua) geführt hatte. Putin bot den drei Ländern, die von Washington durch Sanktionen, Kampagnen zur Destabilisierung und Invasion bedroht werden, Hilfe beim Kampf gegen die Pandemie und weitere Unterstützung an. Laut Außenminister Sergej Lawrow verabredeten die Staatschefs, ihre »strategischen Partnerschaften, einschließlich militärischer und militärisch-technischer« Kooperationen, zu vertiefen.
Doch während Russlands Schulterschluss mit Ländern, die der Sicherheitsberater des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, John Bolton, als »Troika der Tyrannei« bezeichnet hatte, in Washington vermutlich kein Erstaunen auslöste, dürfte das Bemühen der wirtschaftlichen Schwergewichte Argentinien und Brasilien, sich aus der Abhängigkeit von den USA zu lösen, im State Department Alarm ausgelöst haben. Am 3. Februar traf Argentiniens Präsident Alberto Fernández in Moskau mit Putin zusammen. »Sie waren da, als der Rest der Welt uns nicht mit Impfstoffen geholfen hat«, dankte der Gast aus Südamerika für die Hilfe. Argentinien, das fast ausschließlich das Vakzin »Sputnik V« einsetzt, hat mit 78,4 Prozent eine höhere Quote an Zweitimpfungen erreicht als Deutschland (75,1 Prozent).
Argentinien könne für Russland »ein Sprungbrett sein könne, um die Zusammenarbeit mit anderen Ländern der Region zu entwickeln«, erklärte Fernández in Moskau. Russland steht derzeit aber nicht nur bei linken Regierungen Lateinamerikas hoch im Kurs. Am Montag vergangener Woche reiste Brasiliens ultrarechter Präsident Jair Bolsonaro – trotz Protesten von US-Außenminister Antony Blinken – zum Gespräch mit Putin nach Moskau. »Wir sind solidarisch mit Russland und wollen in Bereichen wie Verteidigung, Öl, Gas und Landwirtschaft zusammenarbeiten«, zitierte die argentinische Tageszeitung Página 12 Bolsonaro am Donnerstag.
Als verlässlicher Verbündeter bleibt Washington derzeit lediglich Kolumbien, das als einziges Land Lateinamerikas ein »globaler Partner« der NATO ist. Innenpolitisch sieht es für dessen rechten Präsidenten Iván Duque derzeit jedoch nicht gut aus. Kurz vor den Kongresswahlen am 13. März und der Wahl eines neuen Präsidenten am 29. Mai bewerten 60 Prozent der Kolumbianer laut der jüngsten Umfrage des Centro Estratégico Latinoamericano de Geopolítica (Celag) seine Amtsführung als »mittelmäßig oder schlecht«. Die Hälfte der Bevölkerung sei der Meinung, dass das Land einen Wandel braucht, 55 Prozent der Befragten hätten eine positive Meinung vom Kandidaten des linken Pacto Histórico, Gustavo Petro, berichtete der Nachrichtensender Telesur am Freitag.