Für eine respektvolle Erziehung, die keine Rechte wegnimmt, sondern Pflichten hinzufügt
Im neuen Familiengesetzbuch geht es nicht darum, dass Eltern die Kontrolle über ihre Kinder verlieren oder dass das Recht auf Korrektur verschwindet, sondern um eine positive, liebevolle Erziehung
Autor: Yaditza del Sol González |
„Aber wie wollen sie das elterliche Sorgerecht aus dem Gesetzbuch streichen? Werde ich keine Rechte mehr an meinen Kindern haben, oder was?“ „Und was ist das für eine fortschrittliche Autonomie, dass die Kinder jetzt tun können, was sie wollen?“ Dies sind nur einige der vielen Meinungen, die in den letzten Tagen in den sozialen Netzwerken über den Gesetzesentwurf zum neuen Familiengesetzbuch kursierten und die in vielen Fällen einen Mangel an Wissen über die Bedeutung der elterlichen Verantwortung, der fortschreitenden Autonomie oder des Kindeswohls widerspiegeln. Aber sie sagen uns auch etwas über die Medienmanipulation, die um diese Begriffe herum aufgebaut wurde, fast immer unter falschen Argumenten, ohne juristischen Rückhalt, in dem Versuch, ein Gesetzbuch zu diskreditieren, das keine Rechte wegnimmt, sondern alle schützt und die Familie in Kuba als Institution stärkt.
Roxanne Castellanos Cabrera, Professorin an der Fakultät für Psychologie der Universität Havanna und Koordinatorin des Projekts „Respektvolle Elternschaft“, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das neue Gesetzbuch sehr genau festlege, dass bei allen rechtlichen Entscheidungen, die Kinder und Jugendliche beträfen, ein Anhörungsprozess ermöglicht werden müsse, der der fortschreitenden Reife der Kinder und Jugendlichen entspreche.
„Was bedeutet das?“ „Warum ist das wichtig?“ Die Kindheit sei mehr als jede andere Entwicklungsphase durch eine große Entwicklungsdynamik gekennzeichnet, und die Familien würden immer wieder über die Intensität dieser Prozesse staunen und dies in dem bekannten Satz ausdrücken: Was dieses Kind alles weiß! Es lernt jeden Tag dazu! „Jede Mutter, jeder Vater oder jede andere Betreuungsperson merkt sehr deutlich, dass das, was für ein Kind heute noch eine unmöglich zu lösende Aufgabe ist, schon bald darauf die einfachste und natürlichste Sache der Welt für es sein kann.“ Das Gleiche gelte für die Entwicklung der Sprache und der Fähigkeit, zu verstehen, zu analysieren und zu denken, sagt sie.
Im Gegensatz dazu sei die Kindheit jedoch lange Zeit als eine Phase betrachtet worden, in der es nicht möglich ist, gültige Beiträge zu Themen zu leisten, die mit ihrem eigenen Leben zu tun haben, sagt sie.
Die Professorin weist darauf hin, dass die psychologische Wissenschaft davor warnt, Kinder in Erwachsenenthemen einzubeziehen – die Zweifel und Sorgen hervorrufen können, die ihnen noch nicht entsprechen – und ihnen Informationen zu allen Aspekten zu geben, für die sie ein spontanes und natürliches Interesse zeigen. Natürlich würden diese Antworten sehr grundlegend ausfallen, wenn sie jung seien, aber wenn sie heranwüchsen und mehr Wissen aufnehmen könnten, sollten sie umfassender werden, sagt sie. „Wenn man eine Erziehung praktiziert, bei der es normal ist, seinen Kindern von klein auf zuzuhören, fördert dies das psychologische Wachstum und führt dazu, dass die Kinder bei allen täglichen Aktivitäten viel mehr mitarbeiten.“ Dies geschehe, führt sie aus, weil die Kinder das Gefühl hätten, dass sie zählen, dass sie wichtig sind, und weil sie einen positiven Einfluss erhalten, der sie auf positive Weise ermutigt. „Diese Art der Erziehung ist sicherlich komplexer als diejenige, die predigt, dass Kinder keine Stimme hätten, weil ihnen das Bewusstsein dazu fehle. Es ist viel einfacher, Regeln aufzustellen, sie durchzusetzen und Übertretungen zu bestrafen, als den Grund für jede Regel zu erklären, einen Dialog zu führen, zu überzeugen und negative Konsequenzen zu ziehen, wenn sie nicht eingehalten werden, und zwar auf eine rationale und lehrreiche Weise.
Und genau darum gehe es bei dem Konzept der fortschreitenden Autonomie im neuen Familiengesetzbuch, betont sie: keine Entscheidungen für sie zu treffen, ohne sie vorher anzuhören und zu verstehen, wie sie denken, immer in Übereinstimmung mit dem, was sie erreichen können und wie weit sie gehen können, je nach ihrem Alter und ihren spezifischen Fähigkeiten.
Sie stellt jedoch klar, dass dies keineswegs bedeute, stets das zu tun, was Kinder wollen oder bevorzugen. Es sei nach wie vor ganz klar, dass es die Erwachsenen sind, die sowohl die vom Kind vorgetragenen Elemente als auch die übrigen objektiven Aspekte in ihrer Gesamtheit analysieren können, um die beste Entscheidung zu treffen, die dem Willen des Kindes näher oder ferner liegen könne, betont sie.
Wir sollten verstehen, dass Reife oder fortschreitende Autonomie ein Konzept ist, das dazu beiträgt, Entscheidungen über Kinder und Jugendliche gerechter zu machen, aber nicht bedeutet, dass das, was sie wollen, wortwörtlich gemacht wird. Es erkennt sie jedoch als Rechtssubjekte an und behandelt sie entsprechend.
WARUM SOLL DER BEGRIFF “ELTERLICHE AUTORITÄT” DURCH “ELTERLICHE VERANTWORTUNG” ERSETZT WERDEN?
Die Umbenennung von „Patria potestad“ in „elterliche Verantwortung“, die in den letzten Tagen so viele Kommentare und falsche Darstellungen in den sozialen Netzwerken hervorgerufen hat, hat eine einfache, aber tiefgreifende Grundlage: Sie entspricht der Realität der kubanischen Familie, die sich im Einklang mit der Sichtweise von Rechten in der Behandlung von Kindern verändert hat, erklärt Dr. Yamila González Ferrer, Vizepräsidentin der Nationalen Union der Juristen Kubas.
Sie führt sie mehrere Gründe für diese Entscheidung an. Sie weist darauf hin, dass die gemeinsame Inhaberschaft und Ausübung der elterlichen Gewalt in unserem Land seit 1950 bestehe und durch das derzeit geltende Familiengesetzbuch von 1975 gestärkt worden sei, das die Gleichstellung von Frauen und Männern auf die höchste Stufe seiner Zeit stellte.
Das bedeute, dass Mütter und Väter das gleiche Maß an Verantwortung, Funktionen, Aufgaben, Rechten und Pflichten haben, sagt sie. „Die einzigartige und unbestreitbare Macht des Mannes, des Vaters, des allmächtigen Vaters, gilt in den allermeisten kubanischen Familien schon lange nicht mehr, so dass es keinen Sinn macht, einen Begriff beizubehalten, der in der Praxis nicht mehr verwendet wird.
Andererseits sind Kinder und Jugendliche Rechtssubjekte, d. h. sie sind nicht Objekte oder Eigentum ihrer Mütter und Väter, sondern menschliche Wesen, die sich in einem Prozess der Bildung und Entwicklung befinden, sagt sie.
Ebenso sollte ihre fortschreitende Autonomie berücksichtigt werden, d. h. sie sollten in dem Maße, in dem sie wachsen, reifen und eigene Kriterien für die Dinge entwickeln, in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und ihre Rechte wahrzunehmen, betont sie. Dies bedeute, dass die Disziplin und die von den Eltern gesetzten Grenzen auf Vernunft und Überlegung beruhen sollten, nicht auf Zwang und Gewalt.
Die Konvention über die Rechte des Kindes von 1989, die von Kuba 1990 unterzeichnet und ratifiziert wurde, „forderte Mütter und Väter auf der ganzen Welt auf, Mutter- und Vaterschaft auf eine ganz andere Weise auszuüben als unsere Urgroßeltern“, sagt sie. „Die auf Angst basierende Autorität muss durch eine auf Liebe basierende moralische Autorität ersetzt werden.“ Hierzu führt sie einige Beispiele aus:
„Wenn Ihr sechsjähriges Kind allein zur Schule gehen will und Sie es ihm nicht erlauben, obwohl es das gerne möchte, müssen Sie ihm erklären, warum es das nicht darf, und ihm beibringen, dass es gefährlich ist, die Straße zu überqueren, ohne auf die Ampeln und die vorbeifahrenden Autos zu achten, und so weiter, bis das Kind reif und sicher genug ist, um es allein zu tun.
Und wenn ihr zehnjährifer Sohn sagt, dass er sich als Mädchen fühle und gern eines würde, sollten Sie nicht über ihn herfallen und ihn zurechtstutzen, sondern den Rat von Spezialisten suchen, die sich des Falles annehmen und Orientierungshilfe geben, damit er dann, wenn er das entsprechende Alter erreicht hat, die Entscheidung treffen kann, die er für richtig hält.”
Sie stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Entwicklung der Rechte von Personen auf der Grundlage ihrer Identität, einschließlich der Geschlechtsidentität, nicht Gegenstand des Familiengesetzbuchs sei und dass Entscheidungen im Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität in keinem Fall vor Erreichen der Volljährigkeit einer Person getroffen würden.
Man erlaube seiner 14-jährigen Tochter auch nicht, sich tätowieren zu lassen, aber man gebe ihr respektvoll seine Argumente an die Hand, rede mit ihr und versuche, ihr das verständlich zu machen, und sage ihr, dass sie damit warten müsse bis sie volljährig sei, aber man droht ihr nicht mit einem heißen Eisen auf der Haut oder mit Prügel für den Fall, dass sie mit ihrer tätowierten Haut zu Hause auftauche, betont sie.
Kurz gesagt, es gehe nicht darum, dass die Eltern die Kontrolle über ihre Kinder verlieren oder dass das Recht auf Korrektur verschwinde, sondern um eine positive, liebevolle Erziehung, bei der jedem zugehört werde, wobei stets der Reife- und Entwicklungsstand des Kindes zu berücksichtigt sei.
Folglich habe eine Tochter oder ein Sohn das Recht, gegenüber ihren Müttern, Vätern, Vormündern oder Betreuungspersonen Nein zu sagen, wenn sie sexuell missbraucht würden, wenn sie der Prostitution nachgehen müssten oder durch übermäßige Verpflichtungen daran gehindert würden, sich die Zeit zu nehmen, die sie zum Lernen, Spielen oder Ausruhen brauchen, denn all dies widerspreche ihrem besten Interesse, und als Gesellschaft hätten wir die Verantwortung, dies zu verhindern.