Abwahl angestrebt
Wahlkampfauftakt in Bolivien: MAS liegt in Umfrage klar vorn. Putschregierung setzt auf Desinformation und Lügenkampagnen
Von Frederic Schnatterer
Unter dem Zeichen der Coronapandemie haben am Sonntag (Ortszeit) offiziell die Kampagnen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Bolivien begonnen. Sechs Wochen haben die acht zugelassenen Parteien nun Zeit, sich um die Stimmen der ungefähr 7,3 Millionen Wahlberechtigten zu bemühen. Die auf den 18. Oktober terminierten Abstimmungen sind die ersten nach dem Putsch gegen den linken Präsidenten Evo Morales von der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) im November des vergangenen Jahres. Für den 3. Mai bzw. den 6. September geplante Wahlen waren zuvor wegen der Pandemie verschoben worden.
Waren vergangene Wahlkämpfe von öffentlichen Veranstaltungen und Massenkundgebungen geprägt, verbieten die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens solche in diesem Jahr. Statt dessen setzte Luis Arce, Präsidentschaftskandidat der MAS, am Sonntag auf einen Autokorso in Santa Cruz. Wie die argentinische Tageszeitung Página 12 berichtete, erklärte er gegenüber Medienvertretern: »Wir nehmen den Kampf für die Wiederherstellung der Demokratie und der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Stabilität auf. Das bolivianische Volk hat die Nase voll von den rechten Parteien und will wieder ein friedliches Land.«
Das versuchen die Putschisten zu verhindern – auch wenn alles darauf hindeutet, dass die MAS die Wahlen klar gewinnen wird. Eine vom Unternehmen »Ciesmori« zwischen dem 26. August und dem 3. September durchgeführte Umfrage, deren Ergebnis am Sonntag veröffentlicht wurde, sagt der Linkspartei einen Stimmenanteil von 37,3 Prozent voraus. Auf Platz zwei landet demnach der konservative Expräsident Carlos Mesa mit 24,2 Prozent – im Oktober 2019 hatte er bereits in der ersten Runde gegen Morales verloren. Abgeschlagen mit nur 14,4 Prozent steht Jeanine Áñez, die sich nach dem Staatsstreich selbst zur »Übergangspräsidentin« erklärt hatte.
Dementsprechend verzweifelt sind die Versuche der Rechten, Punkte gegenüber der MAS gutzumachen. Dabei setzt das Putschregime neben Verleumdungskampagnen gegen und juristischen Angriffen auf den Expräsidenten, der aus dem argentinischen Exil den Wahlkampf der Linkspartei organisiert, auch auf Lügenkampagnen in den sogenannten sozialen Medien. Bereits Mitte August war öffentlich geworden, dass die De-facto-Regierung von Áñez mehrere Millionen US-Dollar an die US-amerikanische Firma »CLS Strategies« gezahlt hatte. Am vergangenen Mittwoch berichtete nun die Washington Post, mit dem Geld sei unter anderem ein Netz an falschen Accounts bei Facebook und Instagram aufgebaut worden.
Wie das Onlineportal NODAL ebenfalls am Mittwoch berichtete, hatten die insgesamt 55 Profile und 42 Seiten auf Facebook sowie die 36 Instagram-Accounts die Aufgabe, die Politik der Áñez-Regime in ein gutes Licht zu rücken, während gleichzeitig die Opposition diskreditiert werden sollte. Dabei verfügten sie über eine Reichweite von ungefähr 509.000 Followern auf Facebook und knapp 43.000 auf Instagram. Wie Facebook am vergangenen Dienstag mitteilte, seien die Konten mittlerweile wieder gelöscht worden. Aus Argentinien warf Morales der De-facto-Regierung vor, »Millionen an öffentlichen Geldern« für »Lobbyarbeit in Washington« und das »Verbreiten von Fake News und Lügen« zu verschwenden, wie die bolivianische Tageszeitung Página Siete am Samstag berichtete. Zudem forderte der Expräsident, die Vorwürfe müssten von der Staatsanwaltschaft untersucht werden.
Derweil musste die Putschistenregierung an anderer Stelle bereits eine Niederlage einstecken. Am Sonntag teilte der Vorsitzende des Obersten Wahlgerichts (TSE), Salvador Romero, mit, dass auch die im Ausland lebenden Bolivianer mit Wahlberechtigung an der Präsidentenwahl am 18. Oktober teilnehmen können. Zuvor hatte es Versuche der Áñez-Regime gegeben, deren Abstimmungsmöglichkeiten unter dem Vorwand der Coronapandemie zumindest einzuschränken. Besonders die zahlenmäßig bedeutsamen Auslandsbolivianer in Argentinien und Brasilien (mehr als 160.000 bzw. 45.700 Wahlberechtigte) hatten in den vergangenen Tagen auf ihr Recht der Stimmabgabe gepocht. In beiden Ländern verfügt die MAS über breite Unterstützung.
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