Gewinner und Verlierer
https://de.granma.cu/mundo/2023-05-30/gewinner-und-verlierer
In Gesellschaften, die von dem Konzept der „Gewinner“ und der „Verlierer“ bestimmt werden, ist es schwierig als Verlierer zu überleben
Autor: Ernesto Estévez Rams |
Eine Studie des MIT, des berühmten Massachusetts Institute of Technology, berichtet, dass Amerikaner aus unterschiedlichen sozialen Schichten immer weniger miteinander interagieren.
Die Forscher sammelten Handydaten von mehr als einer Million Menschen in mehreren US-Städten, um die Mobilität zu untersuchen, und fanden heraus, dass Menschen mit niedrigem Einkommen nicht in die Wohnviertel von Menschen mit höherem Einkommen gehen und umgekehrt. Sie kommen zu dem Schluss, dass dies einen Rückgang des Interaktionsniveaus zwischen verschiedenen sozialen Schichten um bis zu 30 % im Vergleich zu den Raten vor COVID-19 ausmacht.
Die Wissenschaftler, die zu diesem Ergebnis kamen, sind besorgt über die Auswirkungen dieses Rückgangs auf die soziale Harmonie. Wenn man sich nicht mehr sieht, kann das zum Verlust der gegenseitigen Empathie führen.
Aber was die Empathie angeht, sind immerhin ein Viertel der in Kanada Befragten der Ansicht, dass Armut, ein Leben im Freien oder psychische Probleme Gründe sind, die es rechtfertigen, Euthanasie für Menschen, die dies wünschen, zuzulassen.
Euthanasie ist, einfach ausgedrückt, Sterbehilfe. Menschen, die aus irgendeinem Grund, z. B. wegen einer unheilbaren Krankheit oder aus anderen Gründen, den Entschluss gefasst haben, zu sterben, und dies mit medizinischer Unterstützung tun wollen. Diese Praxis ist in mehreren Ländern legal. Einer von vier Befragten ist der Meinung, dass Sterbehilfe auf Antrag erlaubt sein sollte, wenn sich eine Person die medizinischen Kosten nicht leisten kann.
Man könnte nun meinen, dass diese Umfrage rein hypothetisch sei. Das ist sie nicht. Die kanadischen Gesetze zur Euthanasie sind so unklar, dass es möglich ist, diese aus einer beträchtlichen Anzahl von Gründen zu beantragen. „Ausgehend von der Definition der kanadischen Gesetze kann praktisch jeder, der eine chronische Krankheit hat, wie z. B. ein Behinderter, zur Euthanasie zugelassen werden“, sagt Alex Schadenberg, Geschäftsführer der Coalition to Prevent Euthanasia.
Im Jahr 2021 starben 10 000 Kanadier durch Euthanasie. In diesem Jahr wird es in diesem Land legal sein, dass psychisch Kranke den Tod durch Euthanasie beantragen können.
Les Leandry, 65, hat laut Daily Mail einen Antrag auf Sterbehilfe gestellt, nicht weil er sterben will, sondern weil er den Gedanken an ein Leben in Armut nicht ertragen kann. Ein Arzt hat bereits sein Einverständnis gegeben, aber laut Gesetz braucht er die Zustimmung eines anderen.
Leandry, der an den Rollstuhl gefesselt ist und an Diabetes leidet, sagt, er werde einen Arzt nach dem anderen aufsuchen, bis er einen findet, der bereit ist, seinen Antrag zu unterschreiben. Aufgrund von Änderungen bei seiner Sozialversicherung lebt Les jetzt an der Armutsgrenze und ist in Gefahr, seine Wohnung zu verlieren und auf der Straße leben zu müssen.
Es gibt einen Präzedenzfall. Im Jahr 2019 beantragte Sean Tagert Sterbehilfe, die ihm auch gewährt wurde, weil er sich die benötigte medizinische Versorgung nicht leisten konnte, wie die AP berichtet. Euthanasie ist inzwischen die sechsthäufigste Todesursache in den USA.
Laut dem jährlichen U.S. News and World Report hat Kanada den dritthöchsten Lebensstandard der Welt und den fünfzehnthöchsten globalen Glücksindex der Vereinten Nationen. Wir haben bereits festgestellt, dass laut Research Co. bis zu einem Viertel der Befragten Euthanasie aus Armut befürworten, eine Zahl, die bei den unter 34-Jährigen auf Zustimmungswerte von 41 % ansteigt.
Das Ganze ist aber nicht auf Kanada beschränkt. Laut Evolution News ist das US-Recht ähnlich schwammig formuliert wie das seines nördlichen Nachbarn. In vielen Fällen hätten die Ärzte, die das Verfahren genehmigen, den Patienten nicht behandelt und ihn nur kurz getroffen, um festzustellen, ob er für die Sterbehilfe in Frage kommt, heißt es. In der Publikation wird darauf hingewiesen, dass Sterbehilfe sogar durch einen Austausch über eine digitale Anwendung, d. h. einen Chatroom, beantragt werden könne.
In Gesellschaften, in denen es „Gewinner“ und „Verlierer“ gibt, ist es schwierig, als Verlierer zu überleben. Nimmt man noch die systematische Isolierung der sozialen Schichten und die daraus resultierende Erosion der sozialen Empathie hinzu, wie sie in der MIT-Studie zum Ausdruck kommt, dann hat man die Zutaten für „glückliche“ Gesellschaften, deren Entfremdung sie dazu bringt, Euthanasie als Ausweg aus den strukturellen Problemen ihrer Gesellschaft in Betracht zu ziehen. Nur die „Gewinner“ verdienen es, zu leben.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts beschrieb Max Henríquez Ureña, ein dominikanischer Intellektueller, der damals in Kuba lebte, in der kubanischen Gesellschaft dieser Epoche „die Bewunderung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen für den Mann der Tat, eine Art Fetisch, der als Vorbild Beispiel diente und jenem entgegengestellt wurde, dem Kultur und Bildung wichtiger war als materieller Erfolg. In Kuba (…) mangelte es nicht an denjenigen, die ein Loblied auf diesen Mann der Tat sangen, dessen Vorbild im Selfmademan der USA zu finden ist, der Unternehmen gründet und Reichtum schafft“.
Und so ist es zu verstehen, dass gleich zu Beginn der bürgerlichen neokolonialen Republik das, was die kubanische Bourgeoisie und ihre Handlanger in der Gesellschaft als Erfolg ansahen, ideologisch der Idee des Yankee-Kolonisators untergeordnet war, wonach die Menschen in zwei Lager eingeteilt wurden: die „Gewinner“ und die „Verlierer“.
Für die „Gewinner“ – und dafür gibt es genug Beispiele – verdienten die „Verlierer“ weder besonderen Respekt noch Rechte, außer dem Recht, ausgeplündert zu werden. Mit anderen Worten: Wir waren alle Kubaner, aber einige Kubaner waren Gewinner und andere, die Mehrheit, waren Verlierer.
Wir sollten die Geschichte nicht vergessen und es nicht versäumen, unser geografisches Umfeld zu betrachten, auch das unserer „glücklichen“ Nachbarn, damit wir nicht für dumm verkauft werden können, jetzt, da einige die Idee des „erfolgreichen Kubaners“ als große Neuheit wieder ausgraben.
Wir sollten uns auch nicht von der Idee hinreißen lassen, dass wenn nur einige Menschen in Wohlstand leben würden, von deren Reichtum etwas auf den Rest der Gesellschaft tröpfeln würde. Es wird nicht dazu kommen, dass die „Wohlhabenden“ plötzlich wollen, dass der Rest von uns die Lösung darin sieht, um soziale Euthanasie zu bitten.
Hier haben wir eine Revolution gemacht, um dem ein Ende zu setzen.