Guaidó am Ende
Nach vier Jahren ist Schluss. Ab diesem Donnerstag ist das von Beginn an auf keine Weise legitimierte Amt des »Interimspräsidenten« von Venezuela Geschichte. Der Oppositionspolitiker Juan Guaidó hat ausgedient – zumindest an der Spitze der ebenfalls aufgelösten »Übergangsregierung« des südamerikanischen Landes. Das beschlossen drei der vier bedeutendsten Parteien, die das Gremium ins Leben gerufen hatten und im Rechtsbündnis »Einheitliche Plattform« (Plataforma Unitaria, PU) zusammengeschlossen sind, am vergangenen Freitag in einem via Zoom abgehaltenen Videotreffen. Nur Guaidós Voluntad Popular (VP), die kleinste Kraft der »Plattform«, sprach sich gegen die Entscheidung aus.
Bereits seit Wochen hatten entsprechende Gerüchte die Runde gemacht. Schließlich war das Ergebnis eindeutig: 78 Teilnehmer der Abstimmung sprachen sich für die Auflösung der in Venezuela selbst machtlosen Gegenregierung aus, 29 votierten dagegen, acht enthielten sich. Ihre angebliche Entscheidungsbefugnis begründen die Oppositionspolitiker damit, dass sie 2015 in das venezolanische Parlament gewählt worden waren. Damals konnte die Opposition die Nationalversammlung für sich gewinnen, ihr Mandat endete allerdings offiziell Anfang 2021. Die Parlamentswahl von Dezember 2020, aus der Unterstützer der Regierung des Sozialdemokraten Nicolás Maduro als Sieger hervorgingen, erkennen sie nicht an. Seitdem verlängerten die Parteien der Rechtsopposition das »Mandat« der Nationalversammlung von der letzten Wahl 2015 jährlich jeweils um ein weiteres Jahr. Ebenso am vergangenen Freitag.
Der Abstimmung vorausgegangen war eine hitzige Debatte, wie mehrere Medien berichteten. In dieser bezeichneten Unterstützer von Guaidó wie Andrés Velásquez von der ultrarechten Partei La Causa Radical (LCR) eine Auflösung der »Übergangsregierung« als »Attentat gegen die Judikative«. Freddy Guevara (ebenfalls wie Guaidó beim VP) erklärte, mit einer solchen Entscheidung werde »die Rechtmäßigkeit der Diktatur Maduros« implizit anerkannt. Nach der Abstimmung erklärte er: »Hier haben die parteipolitischen Interessen einiger über das nationale Interesse gesiegt.«
Gegenüber dem spanischen Fernsehsender RTVE bezeichnete Guaidó die Entscheidung am Sonntag als »nicht verfassungskonform«. Sie verstoße gegen Artikel 233, da sie eine »Selbstentäußerung der Macht« darstelle. Auf eben jenen Artikel stützte sich Guaidó, als sich der damalige Vorsitzende der Nationalversammlung am 23. Januar 2019 selbst zum »Übergangspräsidenten« ausrief. Der Artikel regelt die Vorgehensweise für den Fall einer Vakanz des Präsidentenamtes – laut der radikalsten Teile der Rechtsopposition ist diese gegeben, da die Präsidentenwahl 2018 von Maduro »illegitim« gewonnen worden sei. Dass Artikel 233 zunächst vorsieht, das Amt eines (tatsächlichen) Übergangspräsidenten an die Vize zu übergeben, wurde geflissentlich ignoriert. Ebenso, dass die Dauer einer (tatsächlichen) Interimspräsidentschaft laut Verfassung höchstens 90 Tage beträgt. Bis zum Ende der Frist müssen Neuwahlen organisiert werden.
Mittlerweile sind vier Jahre vergangen, in denen sich Guaidó an sein fiktives Amt geklammert hat – mit tatkräftiger Unterstützung vor allem aus den USA sowie dem Nachbarland Kolumbien unter der rechten Vorgängerregierung Iván Duques. Trotzdem war die Rechtsopposition in dieser Zeit weder in der Lage, die Regierung Maduro bei Wahlen zu besiegen, noch, den angestrebten Regime-Change mit Gewalt herbeizuführen. Vor allem auf letzterem lag der Schwerpunkt; die Liste der gewalttätigen Destabilisierungs- und Putschversuche mit dem Höhepunkt der gescheiterten Söldnerinvasion im Mai 2020 ist lang. Auch die unerbittliche, von den USA und der EU verantwortete Sanktionspolitik, an deren Folgen insbesondere die Zivilbevölkerung leidet, brachte nicht die gewünschten Ergebnisse.
Auch auf der diplomatischen Ebene schwand die Unterstützung für Guaidó mit der Zeit. Von den ursprünglich rund 60 Staaten, die den Rechtspolitiker als »Interimspräsidenten« Venezuelas 2019 anerkannten, ist mittlerweile nur noch ein Bruchteil übriggeblieben. In der Folge »diversifizierte« die Opposition in Zusammenarbeit mit Verbündeten ihre Strategie. Beispiele dafür sind insbesondere ihre Teilnahme an den Kommunal- und Regionalwahlen 2021, die letztlich enttäuschend ausfiel, sowie der seit August desselben Jahres laufende Dialog zwischen venezolanischer Regierung und Rechtsopposition in Mexiko-Stadt.
Die Auflösung der »Übergangsregierung« stellt den Höhepunkt eines seit Monaten an Schärfe zunehmenden Streits über die richtige Strategie innerhalb des PU-Oppositionsbündnisses »Einheitliche Plattform« dar. Heute sitzt die Regierung Maduro fester im Sattel als noch 2019, im kommenden Jahr steht die nächste Wahl für das Amt des Staatschefs an. Die PU-Bündnisparteien VP, Acción Democrática (AD), Primero Justicia (PJ) und Un Nuevo Tiempo (UNT) wollen im Juni 2023 einen gemeinsamen Kandidaten bestimmen, die erstgenannte will Guaidó ins Rennen schicken.
Hinter dem nun eskalierten Streit dürften allerdings auch profanere Gründe stecken: Geld und Pfründe. Denn während die selbsternannte »Übergangsregierung« in Venezuela eigentlich über keinerlei Macht verfügte, übernahm sie die Kontrolle über im Ausland beschlagnahmte Vermögenswerte des venezolanischen Staates. In den vergangenen Jahren machten in regelmäßigen Abständen Berichte über Korruption und Selbstbereicherung aus dem Umfeld von »Interimspräsident« Guaidó die Runde. Die Kontrolle über die Vermögenswerte soll fortan ein noch zu bestimmender fünfköpfiger »Rat für Verwaltung und Vermögensschutz« übernehmen. Unter diese Werte fallen außerdem weitere Gelder – so ein erst vor kurzem vom US-Senat bewilligtes »Programm zur Demokratieförderung« in Venezuela für das Jahr 2023 in Höhe von 50 Millionen US-Dollar.